Ja, der Schereneffekt. Oder die „klare Trendwende“, mit der CSV-Finanzminister Gilles Roth den Haushaltsentwurf 2025 und den Mehrjahreshaushalt pries, als er sie am 9. Oktober deponierte. Im März hatte er für dieses Jahr noch mit einem Haushaltsloch von 1,91 Milliarden Euro gerechnet. Im Oktober nur mit 1,42 Milliarden.
Die Handelskammer lobte am Dienstag: So sieht verantwortliche Politik aus! Denn die Einnahmen sollen bis 2028 stärker zunehmen als die Ausgaben. Obwohl der Körperschaftssteuersatz 2025 um einen Punkt sinken soll, ETF-Fonds von der Abonnementtaxe befreit werden, Expats Steuervergünstigungen winken, die Inflationsanpassung der Einkommensteuertabelle für natürliche Personen weitergeht, Alleinerziehende entlastet werden, und so fort.
Natürlich weiß man bei der Handelskammer, dass die Einnahmen in der Regel unterschätzt werden. Dass in derart hohen wie den 2,6 Milliarden mehr Ende September dieses Jahres gegenüber September 2023 „One-shot-Steuereinnahmen“ stecken, wie Generaldirektor Carlo Thelen einräumte. Es geht mehr um die politische Richtung, das Trickle-Down-Versprechen von Luc Frieden im Wahlkampf. Der Erlös aus der Köperschaftssteuer soll 2025 trotz, oder gerade wegen, der Senkung des Steuersatzes 19 Prozent höher liegen als 2024. Das sieht gut aus.
Der Rechnungshof sieht es weniger rosig. Er bedauert in seinem Haushaltsgutachten „l’absence d’une quantification des rétombées positives escomptées sur l’activité économique et les investissements à court et/ou moyen terme“. Sollen durch Steuererleichterungen die Wettbewerbsfähigkeit der Betriebe gestärkt und der Standort attraktiver gemacht werden, müsste das „konkret definiert“ werden und „messbar“ sein.
Die Cour des comptes weist auf „nicht nachhaltige“ Einnahmequellen hin. Die Erhöhung der Tabakakzisen um 5,5 Prozent solle offensichtlich nur „die Kasse füllen“, aber nicht den Tabakkonsum senken. Dass damitausgelichen werden soll, was durch den rückläufigen Tanktourismus wegfällt, mache es umso dringlicher, nach „alternativen Einnahmequellen“ zu suchen. Der Rechnungshof rät zu einer „fiscalité nutritionnelle (...), notamment par le biais d’une taxation des produits nocifs pour la santé“. Die CO2-Steuer, die 2025 auf 40 Euro pro Tonne steigen soll, empfiehlt er, bis 2030 auf 120 Euro anzuheben.
Für zu „konservativ“ hält auch Olivier Cano Gilles Roths Haushaltspolitik. Cano, Tax and Economic Policy Advisor bei Brunswick Group und Dozent bei Sciences Po in Paris, hat Haushaltsentwurf und Mehrjahreshaushalt für die Fondation Robert Krieps durchgesehen. Politische Ziele wie die Unterstützung der Kaufkraft, die Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit und die Ankurbelung des Wohnungsbaus seien „ambitioniert“, wenn zugleich die Staatsschuld unter 30 BIP-Prozent gehalten werden soll. Bei näherem Hinschauen aber entfielen die größten Ausgabensteigerungen auf „Königsministerien“ wie Verteidigung, Innere Sicherheit und Justiz. Sowie auf den Wohnungsbau – aber wird der genug stimuliert?
Cano, der aus Luxemburg stammt, zweifelt daran. Die 488 Millionen Euro bis 2028 seien zum Erwerb von 800 Vefa-Wohnungen gedacht. Die kämen zu den 114 hinzu, über die die vorige Regierung entschieden hatte. Viel zu wenig, verglichen mit dem Bedarf von 6 000 bis 7 000 zusätzlichen Wohnungen pro Jahr. Sozial gezielt sei die Ausrichtung des Budgets ebenfalls nicht: Weil von der Inflationsanpassung der Steuertabelle mehr profitiert, wer mehr verdient; weil die Erhöhung der Teuerungszulage um zehn Porzent inflationsbereinigt nur eine um 1,42 Prozent ist; weil kleine Betriebe eine Senkung des Körperschaftssteuersatzes nötiger haben als große; und weil die Steuerbefreiung um 50 Prozent von ExpatJahresgehältern von bis zu 400 000 Euro der Behauptung gleichkomme, sie würden keine öffentlichen Leistungen nutzen, müssten sie also auch nicht finanzieren helfen.
Auch Cano geht auf die CO2-Steuer schließlich ein. Zwischen den 40 Euro ab 1. Januar hierzulande und den 44,6 Euro in Frankreich und 55 Euro in Deutschland sei Spielraum zur Anpassung nach oben. Dass das die Spritakzisen killen würde, glaubt Cano nicht, sondern, dass es mehr Einnahmen für Investitionen in die Energiewende und zur sozialen Rückverteilung bringt. Bis eines Tages pro Tonne mindestens 175 Euro pro Tonne erhoben werden, wie die OECD geraten hat.