Bei den Europawahlen am 9. Juni brachten CSV und DP es zusammen nur auf 41 Prozent der Stimmen. In seiner Erklärung zur Lage der Nation zwei Tage später kündigte CSV-Premier Luc Frieden vor allem Maßnahmen zum Abbau von Bürokratie an. Weil das der „anderen Politik“ nicht viel war, fiel es CSV-Finanzminister Gilles Roth zu, am 18. Juli, knapp dass die Sommerferien begonnen hatten, ausführlich vorzustellen, was Frieden fünf Wochen zuvor nur kurz erwähnt hatte: einen Entlaaschtungspak. Eine halbe Milliarde Euro schwer und ganz aus der Staatskasse finanziert. Gültig ab 1. Januar 2025.
Mit Ankündigungen wie der Inflationsbereinigung der Einkommensteuertabelle um weitere 2,5 Indextranchen konnte die Regierung sich wahrscheinlich in den Herzen vieler Wähler/innen positiv bemerkbar machen. Mit der Erhöhung des Steuerkredits für Alleinerziehende und der Anpassung der Berechnungsformel in der Klasse 1a ebenfalls, und mit der integralen Absetzbarkeit von Hypothekenschuldzinsen für ein Eigenheim während zwei Jahren auch. An die Adresse der Unternehmer/innen wiederum bekräftigte Gilles Roth, dass der Körperschaftssteuersatz um einen Prozentpunkt sinke, wie versprochen. Fügte hinzu, aktiv verwaltete ETF-Fonds würden von der Abonnement-Taxe befreit. Und das Jahresgehalt eines zugewanderten „Talents“ bis zur Höhe von 400 000 Euro nur zur Hälfte besteuert. Dass der unqualifizierte Mindestlohn in allen Steuerklassen durch einen erhöhten Steuerkredit steuerfrei werde, nannte Gilles Roth eine soziale Maßnahme. Was sie nicht nur ist: Dass die Allgemeinheit dafür aufkommt, bewahrt die Betriebe vor einer Mindestlohnerhöhung. Die steuerlichen Entlastungen, war Roth im Juli überzeugt, würden für Aufschwung und Wachstum sorgen. Also für mehr Steuereinnahmen.
Damit nahm der Finanzminister viel von dem vorweg, was er diesen Mittwoch in seiner Budgetsried in der Abgeordnetenkammer hätte bekanntgeben können. Im RTL-Fernsehen musste er sich am Mittwochabend prompt fragen lassen, „ob der Staat wirklich tief in seine Tasche greift“. Die meisten Maßnahmen seien ja schon seit Juli bekannt. Vielleicht wird Gilles Roth noch oft als Ko-Fraktionschef der CSV in der letzten Legislaturperiode erinnert. Der kurz nach Russlands Überfall auf die Ukraine die damalige Regierung wegen der Preise für Ölprodukte unter Druck setzte. Wie am 8. März 2022 in der Kammer nach einer Regierungserklärung zu dem Thema: „Dir Dammen an Dir Hären, mir hu Rekordpräisser op der Pompel a beim Masutt. D’Leit packen et net méi. D’Leit brauchen elo keng Geopolitik, si brauche keng Beléierungen, mee si brauche virun allem Alldags- an Terrainspolitik.“
Dabei versteht Gilles Roth, dass er als Minister nicht wie ein abgehobener Finanz-Technokrat wirken darf. Wenn seine haushaltspolitische Erzählung vor allem davon handelt, wie trotz „ëmmer nach donkele Konjunktur-Wolleken“ die Rechnung aufgehen kann. Wie auf dem kleinen „Lëtzebuerger Schëff“ die Segel so zu seetzen sind, „fir datt kee muss Anscht virun der Zukunft hunn“, geht es um die These, dass Steuererleichterungen Wachstum schaffen und mehr Steuereinnahmen, wie Luc Frieden im Wahlkampf insistiert hatte. Sodass nächstes Jahr die Einnahmen der Staatskasse schneller zunehmen als die Ausgaben und es zu dem „positiven Schereneffekt“ kommt, den Gilles Roth schon im März versprochen hat. Die dunklen Wolken haben damit zu tun, dass die Wirtschaftsleistung dieses Jahr laut jüngsten Statec-Schätzungen nur um 1,5 Prozent wachsen wird. Das wäre zwar fast das Doppelte der 0,8 Prozent in der Eurozone. Doch wären es nächstes Jahr 2,7 Prozent, fehlte noch immer etwas bis zu den im Durchschnitt 3,1 Prozent der Jahre 1995 bis 2023.
Im Grunde begann Gilles Roths Budgetsried bereits am Montag. Da legte er im Finanzausschuss der Kammer den Kassenstand für dieses Jahr bis Ende September vor: 14,1 Prozent mehr Einnahmen gegenüber September 2023. Ein Plus von 2,6 Milliarden Euro. Darin stecken allein 715 Millionen mehr aus der Körperschaftssteuer, von der 42 Prozent mehr eingenommen wurden. Der „positive Schereneffekt“ zeige sich jetzt schon, stellte der Finanzminister fest, Denn die Ausgaben des Zentralstaats haben im selben Zeitraum nur um 7,4 Prozent (1,4 Milliarden Euro) zugenommen. Die Politik der Regierung für einen Aufschwung mache sich bemerkbar.
Vielleicht ist dem so. Doch hat es Tradition, die Staatseinnahmen zunächst zu unterschätzen, um höhere Einnahmen anschließend als Ausdruck von Haushaltskunst, schlauer Wirtschaftspolitik oder einer Kombination beider darstellen zu können. In der Debatte zum Übergangshaushalt am 25. April hatte Grünen-Fraktionspräsidentin Sam Tanson Gilles Roth eine Bemerkung des Rechnungshofs vorgehalten: „[D]ass déi fënnef Prozent, wou dann net géif iwwert d’automatesch Besteierung bei deenen déckste Contributeuren d’Suen agedriwwe ginn, dass grad déi géifen e bësse gekuckt ginn a Fonctioun dovun, wéi eng Recettë gebraucht ginn“. Was Gilles Roths DP-Vorgängern freilich genauso in die Hände spielte. Wie vor ihnen Luc Frieden, Jean-Claude Juncker und so fort. RTL meldete am Montag nach dem Finanzausschuss, die Mehreinnahmen hätten „hauptsächlich“ damit zu tun, „dass Cargolux ihre Steuern aus den für sie wirtschaftlich guten Covid-Jahren bezahlt hat“. Gegenüber dem Land wollte ein Sprecher des Finanzministeriums das nicht kommentieren und sagte, „Haupttreiber“ der guten Entwicklung sei der Finanzplatz.
Mit Blick auf die Nettogewinne im vergangenen Jahr von 400,8 Millionen bei der Spuerkeess oder 577 Millionen bei der BGL wäre das verständlich. Vorausgesetzt, die Steuern auf diese Gewinne wurden schon dieses Jahr eingenommen, oder auf die ebenfalls im drei-
stelligen Millionenbereich von 2022. Wer weiß.
Dass die Regierung wirtschaftspolitisch und fiskalisch den Finanzplatz „hochhalten“ will, wie Gilles Roth im Parlament sagte und später im Fernsehen unterstrich, passt dazu. Von wirtschaftlicher Diversifizierung sprach er nur kurz. Erwähnte den Aufbau einer „Bodenstation“ in Luxemburg für das EU-Satellitenprojekt Iris 2, das die flächendeckende Internet-Anbindung verbessern soll. Dagegen soll Luxemburg für börsennotierte ETF-Fonds, bislang vor allem eine Spezialität der USA, zu einem „Zentrum“ werden. Deshalb die für ETF null Prozent Abonnement-Taxe.
Über alles soll 2025 der Zentralstaat 29,6 Milliarden Euro einnehmen, 1,5 Milliarden mehr als im Budget für dieses Jahr stehen. Steigen die Ausgaben von geschätzten 29,5 Milliarden Euro dieses Jahr auf 30,9 Milliarden nächstes Jahr, wäre der Zuwachs Letzterer mit 4,5 Prozent 0,7 Prozentpunkte kleiner als Ersterer und der „positive Schereneffekt“ gegeben. Das Defizit im Zentralstaat fiele dann mit 1,288 Milliarden Euro eine halbe Milliarde kleiner aus als im Mehrjahreshaushalt 2023-2027 vom März steht.
Trotz der angekündigten Steuererleicherungen rechnet der Finanzminister 2025 mit 6,84 Milliarden Euro Steuereinnahmen auf Löhne und Gehälter, 400 Millionen mehr als im Budget 2024. Aus der Körperschaftssteuer sollen trotz des um einen Prozentpunkt gesenkten Steuersatzes 3,16 Milliarden Euro in die Staatskasse fließen; 510 Millionen mehr als für dieses Jahr geplant. Die Einnahmen aus der Abonnement-Taxe sollen sich auf 1,34 Milliarden belaufen (+110 Millionen), die aus der Mehrwertsteuer auf 6,11 Milliarden (+490 Millionen). Die aus allen Akzisen auf 2,4 Milliarden oder 220 Millionen mehr. Dass Zigaretten um 5,5 Prozent teurer werden sollen, was sich im zweistelligen Cent-Bereich bemerkbar machen wird, dient viel weniger der öffentlichen Gesundheit als der Optimierung der Einnahmen: Die von Luxemburg autonom, außerhalb der Akzisen-Union mit Belgien, erhobenen Zigarettensteuer-Einnahmen sollen einen Sprung von 389 Millionen Euro im Budget 2024 auf 515 Millionen im Budget 2025 machen.
An neuen Ausgaben strich der Finanzminister in der Kammer Hilfen für sozial Schwache hervor: Die Regierung lege nicht nur auf das „Triple A“ Wert, auf ein „Triple S“ auch. Ehe DP-Familienminister Max Hahn Anfang nächsten Jahres einen Aktionsplan gegen die Armut vorlegen will, kündigte Gilles Roth die Erhöhung der Teuerungszulage (AVC) um zehn Prozent an. Die Energieprämie wird verdreifacht und soll künftig auch Bezieher/innen eines Einkommens zugute kommen, das bis zu 30 Prozent über der Grenze liegt, die zum Bezug der AVC berechtigt. In dem Fall sänke die Prämie aber degressiv.
Nicht sozial selektiv ist die rückwirkend zum 1. Oktober und bis Ende Juni nur zur Hälfte fällig werdende Registrierungsgebühr beim Kauf einer Wohnung. Wer in dem Eigenheim selber wohnen wird, erhält den Abschlag sowohl beim Kauf einer bestehenden Wohnung als auch beim Kauf einer neuen (als Vefa, vente en future état d’achèvement). Investitionen zur Weitervermietung werden nur als Vefa mit der halben Registrierungsgebühr begünstigt. Denn bisher macht ein Aufschwung im Wohnungsmarkt sich nur bei den bestehenden Wohnungen bemerkbar.
Für den öffentlichen Wohnungsbau sollen bis 2028 über drei Milliarden Euro bereitgestellt werden. Zwei Milliarden für den Spezialfonds für erschwinglichen Wohnraum; eine Milliarde für die Beteiligung des Staats an Wohnungsbauvorhaben von SNHBM und Fonds du Logement; 680 Euro Millionen für den Aufkauf von Wohnungen durch den Staat – davon 480 Millionen für den Aufkauf von Vefa aus dem Privatsektor.
Dass bei solchen politischen Engagements der „positive Schereneffekt“ auch länger erhalten bleibt, das Gesamtdefizit der öffentlichen Finanzen von 563 Millionen Euro nächstes Jahr auf 289 Millionen im Jahr 2027 sinken soll und die Staatschuld nie höher würde als 27,5 Prozent vom BIP, will der Finanzminister vor allem durch anhaltend hohe Einnahmen erreichen. Über Ausgabenkürzungen blieb er in seiner Rede im Parlament ähnlich vage wie schon im März. Als Spar-Minister möchte er nicht gelten. Lieber sagt er, sein Ziel sei, „die Mittel des Staates gezielt, intelligent und effizient auszugeben“. Bemerkt er anschließend, dass 2023 „die Ausgaben im Zentralstaat noch um 11,3 Prozent gewachsen sind“, kann der Eindruck aufkommen, das sei eine Fahrlässigkeit der vorigen Regierung gewesen und nicht vor allem durch die drei Solidaritätspakete bedingt, die 2022 und 2023 die Tripartite beschloss. Gilles Roth mag sowas.
Laut Mehrjahreshaushalt 2024-2028 sollen die Investitionsausgaben sollen hoch bleiben, im Jahresschnitt um 5,8 Prozent wachsen. Was jeweils 4,5 Prozent des BIP entspräche und deutlich höher läge als die 3,8 BIP-Prozent in den Jahren 2014 bis 2022. Das BIP selber würde 2028 die Hundert-Milliarden-Marke überschreiten: 101,26 Milliarden Euro. Für ein kleines Schiff eine Menge, aber mit dem Finanzplatz an Deck erklärlich.
Eine weitere Marke würde überschritten, wenn 2026 der 700 000-Einwohnerstaat Wirklichkeit wird, den CSV-Premier Jean-Claude Juncker 2002 nach dem Rentendësch als Schreckgespenst unter die Leute gebracht hatte. Das Statec rechnet Ende 2026 mit 702 400 Einwohner/innen. Und im Jahr 2028 mit 558 300 Arbeitsplätzen, an denen 311 700 Ansässige tätig wären und 262 000 Grenzpendler/innen.
Die Beschäftigtenzahlen sind auch deshalb von Bedeutung, weil 2028 die Sozialversicherung aufhören könnte, die „Mëllechkou” für die öffentlichen Finanzen insgesamt zu sein, wie Gilles Roth sich am Mittwoch im RTL-Fernsehen ausdrückte. Ein Überschuss in der Sozialversicherung verbesserte bisher nach den EU-Haushaltsregeln die Gesamtbilanz.
Der Mehrjahreshaushalt geht davon aus, dass der Überschuss in der Sécu nächstes Jahr noch 657 Millionen Euro betragen wird, danach linear sinkt, um sich 2028 in ein Minus von 15 Millionen zu verwandeln. Sofern die Beschäftigung bis 2028 um durchschnittlich 1,7 Prozent zugenommen hat. Läge sie 0,5 Prozentpunkte niedriger, würde die Sécu schon 2027 mit 32 Millionen Euro defizitär. Wäre der Beschäftigungszuwachs 0,5 Prozentpunkte höher, könnte es 2028 noch 332 Millionen Euro Überschuss geben.
Was daraus politisch folgen soll, erläuterte der Finanzminister in seiner Budgetsried nicht. Im Fernsehen sagte er, würden Wirtschaft und Finanplatz gestärkt, gäbe es mehr Beschäftigung. „Dann wird auch die Kurve der Sozialversicherung besser.“ Mit so viel Optimismus schien er seiner Kollegin Sozialministerin zu widersprechen, die gerade die „breite Konsultation“ darüber begonnen hat, ob der „Zwang zum Wachstum“ ein Problem fürs Rentensystem ist. Aber der Erzählung von der Politik, die Wachstum schafft, lässt sich zu gegebener Zeit ohne Weiteres hinzufügen, dass ein auf lange Sicht niedrig bleibender Rentenbeitragssatz ebenfalls für Wachstum sorge. Am Finanzplatz mit den hohen Gehältern würde das vermutlich besonders begrüßt.