„Ech stinn dozou“ und „ech soen dat éierlech“, erklärte CSV-Finanzminister Gilles Roth vor drei Wochen im Parlament in einer Aktuellen Stunde über die hierzulande niedrigen Tabaksteuern. Dass die eigentlich nicht „kohärent“ seien mit einer Politik für die öffentliche Gesundheit. Doch als Finanzminister könne er auf die eine Milliarde Euro Einnahmen für die Staatskasse aus dem Tabakgeschäft nicht verzichten.
Roths Vorgänger sahen das auch so. Aber das potenzielle fiskalische Problem ist wahrscheinlich noch größer. Schätzungen nach gehen mehr als 80 Prozent der Tabakwaren in Tankstellen über die Ladentheke. Damit ist die Tabakakzisen-Nische Teil der viel größeren Tankgeschäft-Nische. Würde diese verschwinden oder stark schrumpfen, stünden für die Staatskasse mehr als nur eine Milliarde Euro an Einnahmen auf dem Spiel. Dass es dazu kommt, ist nur eine Frage der Zeit.
Der Finanzwissenschafts-Professor Dieter Ewringmann von der Universität Köln kam 2016 auf 2,1 Milliarden Euro Einnahmen, als er im Auftrag der damaligen DP-LSAP-Grüne-Regierung eine „Tanktourismus-Studie“ anfertigte. In seine Berechnung bezog Ewringmann alle niedrig besteuerten Waren ein, die an Luxemburger Tankstellen angeboten werden: Benzin und Diesel, Tabakprodukte, Alkohol und Kaffee. Er erfasste sowohl die Einnahmen aus Akzisen als auch die aus der TVA. Obendrein die direkten Steuereinnahmen auf den Gehältern der an den Tankstellen Beschäftigten und auf den Gewinnen der Betreiberfirmen. Die besondere Konzessionsabgabe, die Betreiber von Autobahntankstellen an den Staat entrichten, berücksichtigte er auch (d’Land, 2.12.2016).
Heute könnten es ohne Weiteres mehr als 2,1 Milliarden sein, schon wegen Inflation und Index. Einen gewissen Eindruck davon liefert der Anhang zum Jahresbericht 2023 des Finanzministeriums. Er schlüsselt auf den Seiten 250 und 255 nicht alle Details zum Tankstellengeschäft auf, aber immerhin ein paar. An Tabakzakzisen wurden voriges Jahr 1,027 Milliarden Euro eingenommen. Sowie 264 Millionen Euro TVA auf Tabakprodukte. Die Akzisen auf Benzin und Diesel brachten 840 Millionen Euro ein, die auf Alkohol 57,8 Millionen. Selbst ohne TVA auf Kraftstoffe, Alkohol und Kaffee, ohne direkte Steuereinnahmen und ohne die Konzessionsabgabe, ergibt allein was im Anhang dieses Jahresberichts steht, 2,11 Milliarden Euro im Total. Wenngleich, um genau zu sein, nicht alles davon den Tankstellen zugerechnet werden kann; Zigaretten und Alkohol werden schließlich nicht nur dort verkauft.
Eine interessante Erhebung nahm PWC im Jahr 2012 vor: Nach den Preisen von damals habe jeder ausländische Kunde an Luxemburger Tankstellen neben Benzin oder Diesel auch „Zusatzprodukte“ im Wert von (damals) durchschnittlich 40 Euro erworben. Die PWC-Erhebung war die erste, die öffentlich andeutete, dass mehrere in Luxemburg gezielt niedrig besteuerte Kategorien von Waren in ihrer Attraktivität miteinander interagieren.
2014 stellte auch die Luxemburger Zentralbank Ermittlungen über den Tanktourismus an. 21 Prozent der Treibstoffkäufe damals hätten Grenzpendler getätigt, schrieb die BCL. Da sie jeden Tag beruflich nach Luxemburg fahren, biete sich das Einkaufen im Großherzogtum für sie an. Im Wohnsitzland tanken würden sie erst dann, wenn ihnen dort „sehr deutliche Preisvorteile nicht nur beim Tanken, sondern auch beim Einkauf anderer Produkte“ winken würden (d’Land, 2.12.2016).
Das Finanzministerium teilt auf Anfrage mit, über „weitere Fakten“ zum Kaufverhalten der Tankkunden nicht zu verfügen: „Die Verkäufe in den Tankshops werden nicht im Einzelnen aufgeschlüsselt.“ Doch das verhindert nicht, dass die verschiedenen Waren durchaus in einer Paketfunktion gesehen werden und daraus politisches Handeln folgt. Wie im Herbst 2014, als die damalige Regierung beschloss, die Tabakakzisen für 2015 und 2016 ein kleines Stück zu senken; eine befristete Senkung erlaubt die EU-Tabaksteuerrichtlinie von 2011. Im Rahmen des „Zukunftspak“ von DP-Finanzminister Pierre Gramegna sollte ab 2015 der Mehrwertsteuersatz um einen Prozentpunkt steigen. Wären die Tabakakzisen geblieben, wie sie waren, hätte die erhöhte TVA die Endpreise für Zigaretten und Rolltabak in Bereiche klettern lassen, die deutsche Kunden nicht mehr als attraktiv genug gegenüber den Preisen daheim angesehen hätten, fürchteten Gramegna und seine Beamten. Was umso gefährlicher erschien, als schon seit 2013 an Luxemburger Tankstellen nahe der deutschen Grenze ein Rückgang aller Verkäufe beobachtet worden war, von Sprit über Tabak bis zum Kaffee. Also beschloss die Regierung eine Geste an die deutsche Tabakkundschaft, um das Geschäft im Paket abzusichern und nicht neben dem Absatz von Tabak auch noch den von Sprit in Gefahr zu bringen (d’Land, 7.11.2014).
Sofern man dieses Beispiel verallgemeinern kann – und vermutlich kann man das –, stützen die niedrigen Tabakpreise die Spritverkäufe, die niedrig besteuerten Treibstoffe die Tabakverkäufe und so fort. Alkoholika werden in Luxemburg nur in Form von Alcopops und als reiner Alkohol nennenswert besteuert, Kaffee gar nicht. Letzteres interessiert besonders Deutsche, denn auf der anderen Seite der Mosel liegen auf jedem Kilo Röstkaffee 2,19 Euro Kaffeesteuer vor der Mehrwertsteuer von 19 Prozent.
Wie prächtig die Luxemburger Akzisennische insgesamt funktioniert, sieht man unter anderem an den Transferzahlungen aus Luxemburg an Belgien im Rahmen der Wirtschafts- und Währungsunion, die seit der Einführung des Euro nur noch eine Akzisenunion ist. Verschiedene Akzisen erheben beide Länder für sich, andere erheben sie gemeinsam – auf Tabakwaren und Petrolprodukte, aber zum Beispiel auch eine kleine Akzise auf Bier. Was gemeinsam erhoben wird, fließt in einen gemeinsamen Topf, der Erlös wird umverteilt. Seit vielen Jahren schon ist das Großherzogtum, weil hier große Mengen verkauft werden, Akzisen-Nettozahler an das viel größere Königreich. Wurden 2012 noch 20 Millionen Euro an Belgien überwiesen, waren es voriges Jahr 45 Millionen. Gilles Roths Mehrjahreshaushalt geht davon aus, dass diese Summe Jahr für Jahr um 2,5 Millionen zunehmen wird, um 2027 schließlich 55 Millionen Euro zu erreichen.
Eine Frage ist natürlich, wie lange Luxemburg sich den extrem gewordenen Unterschied in der Tabakbesteuerung gegenüber den Nachbarländern politisch wird leisten können. Die Tanktourismus-Studie von 2016 wies neben 2,1 Milliarden Euro Einnahmen jährliche Kosten von 3,5 Milliarden aus, von denen jedoch nur 800 Millionen zulasten Luxemburgs gingen. Studien-Autor Ewringmann hatte die Kosten anhand deutscher und Schweizer Modelle simuliert; erfasst wurden Umwelt- und Gesundheitskosten. Wer weiß: Vielleicht fiele die Lastenteilung zwischen Luxemburg und den Nachbarländern heute wegen der großen Tabaksteuerunterschiede und, wenn man so will, des Exports von Lungenkrebs noch ungerechter aus als damals modelliert wurde.
Eine andere Zukunftsfrage lautet, ob in absehbarer Zeit die Elektromobilität die Nachfrage nach Benzin und Diesel an den Tankstellen so stark sinken lässt, dass das Geschäftsmodell unhaltbar wird und der Staatskasse eine Menge Einnahmen verloren gehen. Vielleicht schaltet die Politik vorher um: vom Tanktourismus mit Diesel und Benzin auf einen Tanktourismus mit Strom. Genau genommen, müsste sie nicht mal umschalten, denn Strom ist in Luxemburg billig im Vergleich mit den Nachbarländern. Abgesehen vom Beitrag pro Kilowattstunde zum „Kompensationsfonds“, der den Netzbetreibern Mehrkosten ausgleicht, wenn sie heiheem produzierten grünen Strom zu einem garantierten Einspeisepreis ins Netz nehmen, statt Elektrizität an der europäischen Strombörse zu ordern, liegt auf Strom hierzulande nur eine winzige Stromsteuer. 1998 wurde sie eingeführt, um die Pflegeversicherung mitfinanzieren zu helfen. Der Erlös liegt ziemlich stabil bei drei Millionen Euro jährlich. Für clients résidentiels, worunter Haushalte und kleine Betriebe fallen, die nicht mehr als 25 Megawattstunden im Jahr verbrauchen, wird pro Megawattstunde ein Euro Stromsteuer fällig. Für einen typischen Haushalt mit vier Megawattstunden Jahresverbrauch sind das vier Euro im Jahr. Sodass einiger Spielraum für ein fiscal engineering besteht.
Dass die Regierung Überlegungen in diese Richtung anstellen würde, ist nicht bekannt. In der vorigen Legislaturpe-
riode stimmte der damalige Energieminister Claude Turmes (Grüne) zu, dass diese Frage „politisch wichtig“ sei, sie schon beantworten zu wollen, wäre aber „Kaffeesatzleserei“. Das war vor fünf Jahren (d’Land, 1.3.2019). Wahrscheinlich wäre das noch immer Kaffeesatzleserei, denn haushaltspolitisch gesehen, funktioniert die Tankgeschäft-Nische noch. Wie sie geografisch beschaffen ist und sich strukurell auswirkt, hatte 2009 der Wissenschaftler Daniel Ullrich von der Universität Luxemburg für den Atlas der Großregion ermittelt: In den Nachbarländern finde man mitunter bis zu 25 Kilometer von der Grenze mit Luxemburg entfernt kaum noch Tankstellen. Allenfalls als Zusatzangebote von Autowerkstätten und Supermärkten.