Der Luxemburger Automarkt ist ausgesprochen groß für das kleine Land. Aber auch so undurchsichtig, dass niemand genau weiß, weshalb eigentlich so viele Autos verkauft und gefahren werden

Von der Vespa zum BMW

d'Lëtzebuerger Land vom 12.04.2013

Das Automotive Breakfast der Unternehmensberater von KPMG am Karfreitag war gut besucht. Autohändler und Importeure waren gekommen, Manager von Leasingfirmen, Regierungsbeamte, Journalisten, und, und, und. „Wir hatten eingeladen, wen wir kennen im Automobilbereich“, sagt Bruno Magal, Manager bei KPMG, „und noch heute erhalten wir Anfragen zu unserer Studie über den Luxemburger Automarkt“.

So eine Studie hat KPMG zum ersten Mal herausgegeben, will das in Zukunft aber regelmäßig tun. Magal erklärt, in der Erstausgabe seien „ein paar Dinge herausgestellt worden, die noch nicht so bekannt sind“. Zum Beispiel, dass Luxemburg laut Weltbank im Jahr 2010 den sechsten Platz der Weltrangliste über das Verhältnis aller zugelassenen Fahrzeuge – von PKWs über Schwerlaster bis hin zu Bussen – pro Kopf der Bevölkerung belegte. Nur noch kleinere Staaten, wie San Marino, Monaco, Liechtenstein und Island, schnitten noch „besser“ ab. Und die USA. Für KPMG bestehe aber generell ein „noch nicht gedeckter Informationsbedarf“ über den Automarkt hierzulande, sagt Magal. Weshalb die Beratungsfirma unlängst eine Abteilung eigens dazu eingerichtet hat. In Deutschland unterhält sie dergleichen schon.

Luxemburg auf einer Stufe mit der VW-und-BMW-Nation? Das kann überraschen. Aber der Automarkt des kleinen Großherzogtums ist vergleichweise riesig. Die Berater von KPMG sind nicht die ersten, die den Fahrzeugbestand auf die Einwohnerzahl hochgerechnet und mit dem Ausland verglichen haben. Als vor dem Autofestival 2008 die Garagistenverbände Adal und Fegarlux die Rechnung für den Fuhrpark aus PKWs und leichten Nutzfahrzeugen anstellten, erklärten sie Luxemburg in dem Bereich sogar zum Weltrekordinhaber. Das Statistikinstitut Statec wiederum schrieb im vergangenen Herbst, betrachte man allein den PKW-Bestand pro 1 000 Einwohner, sei derjenige hierzulande mit 666 Autos der weltweit zweitgrößte nach dem Monacos mit 771 Einheiten. Und um bei den PKWs zu bleiben: Die 50 398 Neuzulassungen im vergangenen Jahr ergeben, auf eine Bevölkerungszahl von 520 000 umgelegt, einen 2,6 Mal stärkeren Pro-Kopf-Zuwachs als die 3,08 Millionen neuen PKWs im 82-Millionen-Einwohnerstaat Deutschland. In Fahrzeughandel und -reparatur (diesmal inklusive Motorräder) wurde 2010 ein Umsatz von 3,43 Milliarden Euro erzielt und waren mit 6 569 mehr Arbeitskräfte beschäftigt als in der Stahlindustrie.

Dass der große Markt im kleinen Land nicht „durchsichtig“ genug sei, sagen viele, meinen aber damit nicht unbdingt dasselbe. Ernest Pirsch zum Beispiel, der Präsident des Garagistenverbands Fegarlux, bedauert, „dass wir Händler eigentlich erst im Mai so richtig wissen, wie das Autofestival gelaufen ist“. Und das, obwohl die Garagisten natürlich abonniert sind auf die Informationen aus der Datenbank der SNCA, wie der für die Fahrzeugzulassung zuständige Teil der SNCT neuerdings heißt. Dort wird quasi in Echtzeit jede Neuzulassung mit ihren technischen Daten registriert, jede Abmeldung vermerkt, jeder Besitzerwechsel erfasst. Aus den Zulassungsdaten filtert die SNCA monatliche „Indikatoren“ heraus, die sich gegen eine Gebühr konsultieren lassen.

Doch was der Fegarlux-Präsident vermisst, ist schon eine spezielle Form der Marktbeobachtung: Sie müsste den Zeitabstand zwischen dem Kauf eines Autos beim Händler und der Auslieferung an den Kunden überbrücken. Der kann monatelang sein und den Markt nach einem Autofestival erst einmal nicht gut aussehen lassen. In Belgien werde das Problem gelöst, indem die Auto-Importeure untereinander ihre Zahlen austauschen und ihre Händler über den Wettbewerb der Marken und Modelle auf dem Laufenden halten, erzählt Pirsch. „In Luxemburg wäre so etwas schon aus Datenschutzgründen schwierig.“

Dass der Autohandel gerade dieses Jahr solche Informationen gerne hätte, leuchtet ein. SNCA-Direktor Armand Biberich erkennt mit Blick auf seine Datenbank Anzeichen dafür, „dass die Krise angekommen ist“. Von Januar bis März sanken die Neuzulassungen bei Garagisten gekaufter Neuwagen um 7,52 Prozent. Der Import neuer Autos, die bei ausländischen Händlern gekauft wurden, ging um 14 Prozent zurück. Dagegen wechselten allein von januar bis März rund 16 000 Gebrauchtwagen den Besitzer, was fast einem Drittel des Gebrauchtwagenhandels 2012 entsprach. Geht das so weiter, wird 2013 ein Second-Hand-Rekordjahr. Schon 2012 war eines.

Viel mehr Ungewissheit als über den Erfolg des Autofestivals besteht jedoch darüber, weshalb der heimische Automarkt überhaupt so groß ist, der Fuhrpark immer weiter wächst, und wer sein Auto wofür nutzt. 2012 war die heimische Bevölkerung um 2,38 Prozent gewachsen, was der stärksten Zunahme in zehn Jahren entsprach. Der PKW-Park wuchs um 2,89 Prozent und damit stärker als die Bevölkerung. Ob das am Leasing-Geschäft liegt?

Gut möglich, wie die Marktstudie von KPMG nahe legt: Der Leasing-Anteil an den PKW-Neuzulassungen lag 2012 bei 29 Prozent beziehungsweise 14 470 Autos. Schwerer fällt die Antwort, ob es sich dabei in erster Linie um Firmenwagen handelt, die manche Betriebe ihren Mitarbeitern zur Verfügung stellen: Die SNCA erfasse nur den Besitzer und den Halter eines Fahrzeugs, nicht aber den Nutzer, sagt Biberich. „Least ein Betrieb einen Firmenwagen, wird der Betrieb dessen Halter, Besitzer bleibt das Leasing-Unternehmen. Den Nutzer kennt keiner, weil der in unserer Gesetzgebung nicht vorkommt. Anders als beispielsweise in Großbritannien, wo der User definiert ist.“ Leasing-Statistiken enthielten deshalb stets „eine Unschärfe“.

Nicht zuletzt dieser Bereich ist einer, in dem KPMG verstärkt tätig werden und ihn mit fiskalischer Beratung koppeln will: gegenüber Leasingfirmen, aber auch gegenüber Unternehmen mit eigener Firmenwagenflotte – und offenbar auch gegenüber der Politik. Auf ihrem Automotive Breakfast am Karfreitag begannen die Consultants damit schon, als sie erklärten, der Gesetzesvorschlag der beiden grünen Abgeordneten François Bausch und Camille Gira gehe zu weit. Denn ginge es nach Bausch und Gira, würde die Steuer für einen gelasten Firmenwagen, die auf die Lohnsteuer des Nutzers aufgeschlagen wird, abhängig von den CO2-Emissionen des Wagens. KPMG rechnete vor: Angenommen, ein Mitarbeiter nutzt einen Firmenwagen, dessen Neupreis bei 35 000 Euro lag und der pro gefahrenem Kilometer 142 Gramm CO2 ausstößt. Bezöge er ein Monats-Bruttogehalt von 4 000 Euro und fiele er in die Steuerklasse 1, dann würde er nach den neuen Regeln um fast 200 Euro im Monat mehr belastet als derzeit. Das werde nicht nur „substanzielle Auswirkungen“ auf die Leasing-Branche haben, es habe auch Signalwirkung an Unternehmen in jenen Sektoren, wo Führungskräften traditionell besondere Vergünstigungen geboten werden. Welche das sein könnten, illustrierte KPMG mit dem Remuneration Survey, an dem sich regelmäßig rund 50 Banken, Versicherungen und Fondsgesellschaften beteiligen: Im vergangenen Jahr verfügten an die 75 Prozent aller Direktoren und Geschäftsführer der befragten Unternehmen über einen Leasing Plan; desgleichen fast 80 Prozent der Business Unit Manager, gut die Hälfte aller Abteilungsleiter und rund ein Viertel aller Teamchefs und Experten.

Natürlich lässt sich darüber diskutieren, wie realistisch es ist, von einem Firmenwagen zum Preis von 35 000 Euro auszugehen, der 142 Gramm CO2 pro Kilometer ausstößt, wenn längst Mittelklasselimousinen und Allrad-SUVs auf dem Markt sind, deren Emissionsverhalten so gut ist, dass sie vor nicht allzu langer Zeit noch mit einer Car-e-Öko-Prämie vom Staat gefördert worden wären. Das Beispiel illustriert aber, welche Schwierigkeiten ein Markt mit „Unschärfe“ für die Politikfindung mit sich bringen kann – und weshalb mehr „Durchsichtigkeit“ eigentlich wünschenswert wäre. Wenn das Leasing-Geschäft ein nicht zu vernachlässigender Wachstumsfaktor für den heimischen Automarkt ist, dann ist es zum Beispiel auch umso schwerer zu sagen, welche „Mitnahmeeffekte“ die von Januar 2009 bis Mitte 2011 geltende Verschrottungsprämie nach sich zog, und inwiefern die 11,5 Millionen Euro aus der Staatskasse eine willkommene Subventionierung für Neuwagenkäufe waren, die ohnehin stattgefunden hätten. Vielleicht war ja deshalb eine solche Analyse hierzulande nie vorgesehen.

Den Automarkt, vor allem aber die Hintergründe der Autonutzung besser zu verstehen, ist eine Frage, die die Landes- und Mobilitätsplanung stark beschäftigt. „Wir haben schon viel studiert und simuliert, aber an Feinwissen haben wir noch immer nicht genug“, räumt Romain Diederich, Direktor der Landesplanungsabteilung im Nachhaltigkeitsministerium, ein. Man wisse, dass Firmenwagen oft für Grenzpendler zur Verfügung gestellt werden, was Auto-Statistiken pro Kopf der Einwohner verzerrt. Man kenne auch die große Bedeutung des Autos als Statussymbol. Wie die sich historisch entwickelt hat, kann der SNCA-Direktor anhand seiner Datenbank umreißen: „In den Fünfzigerjahren hatten die wenigsten ein Auto. Da war ein Arbeiter froh, mit einer Vespa oder einer Lambretta zur Schmelz fahren zu können.“ In den Sechzigern hätten sich dann immer mehr Leute einen VW Käfer leisten können, in den Siebzigern habe „die Tendenz zum Zweitwagen für die Frau“ eingesetzt, dann „die zum Drittwagen für die Kinder“. In den Achtzigern und in den Neunzigern kam dann, wo Jahrzehnte zuvor der Motorroller als Fahrzeug zur Arbeit diente, „das Motorrad als Spaßmobil zurück“.

Diederich glaubt jedoch, dass der in Luxemburg hohe PKW-Bestand nicht nur mit Statussymbolik zu tun hat. Das liege auch an der Bewegung „raus aus den Städten“, die in den letzten zehn bis 15 Jahren stattgefunden habe. „Auf dem Dorf aber wird dann versucht, auf urbane Weise zu leben. Das funktioniert natürlich nicht ohne Auto.“

Dieses Jahr soll die Landesplanung konkreter werden. Staatliche Pläne, für Wohnen und Verkehrswege etwa, sollen erscheinen. Ob ihre Umsetzung hilft, Leben in der Stadt wieder attraktiver zu machen, könnte sich auch daran ablesen lassen, inwiefern der SNCA-Direktor mit einer Beobachtung Recht behält: „Vielen Jugendlichen ist ein Auto ziemlich egal.“ Aus Gesprächen mit Fahrschulen weiß er, dass „Null Bock auf Führerschein“ eine durchaus weit verbreitete Haltung ist. Fragt sich nur, ob die jungen Leute das noch so sehen, wenn es an die Suche nach einer eigenen Wohnung oder an die Gründung einer Familie geht. Dass die starke Autonutzung hierzulande auch eine Folge der hohen Wohnungskosten ist, liegt auf der Hand. Dass es den großen Markt im kleinen Land noch ein Stück komplexer macht, ebenfalls.

Peter Feist
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