D’Lëtzebuerger Land: Herr Frieden, hatten Sie sich die Umstände Ihres Rückzugs in Sachen Bankgeheimnis, beziehungsweise des Umstiegs auf den automatischen Austausch von Steuerdaten, so vorgestellt?
Luc Frieden: Es war überhaupt kein Rückzug, sondern ein seit Monaten geplantes Vorgehen, um dem internationalen Trend Rechnung zu tragen. Dieser Trend ging nicht in Richtung Quellensteuer, sondern Richtung internationalem, automatischem Informationsaustausch. Das sieht man am Beispiel Fatca oder am gescheiterten Rubik-Abkommen zwischen Deutschland und der Schweiz. Deshalb waren die Enthüllungen der letzten Woche in Bezug auf Offshore leaks absolut irrelevant für unsere Entscheidung und unserer Kommunikation.
Aber das Interview, das Sie der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung gegeben haben, das vergangenen Sonntag erschien, hat die Sache doch beschleunigt?
Wenn man meine Äußerungen in der letzten Zeit genau verfolgt hat, hat man gesehen, dass ich schon seit Monaten davon überzeugt bin, dass wir in Richtung des automatischen Informationsaustauschs gehen müssen, und ich habe diesbezüglich sowohl mit den Vertretern der Banken im Haut Comité de la place financière, als auch mit den Medien regelmäßig gesprochen.
Glauben Sie denn, dass dieser Schritt, den die Regierung heute angekündigt hat, ausreicht, damit Luxemburg in der anhaltenden Steuerparadies-Debatte aus der Defensive kommt?
Wir werden an der Neugestaltung der internationalen Steuerlandschaft aktiv teilnehmen. Diese Debatte hat mehrere Dimensionen: die Besteuerung von multinationalen Firmen, die Besteuerung von Zinserträgen und natürlich die Verhandlungen mit den Vereinigten Staaten. Ich glaube, dass wir in Zukunft nicht in der gleichen defensiven Stellung sind, in der wir uns in den vergangenen Jahren manchmal befanden. Dennoch zieht die schwierige wirtschaftliche Lage in Europa nach sich, dass der Wind manchmal rauer wird, wenn sich einzelne Staaten gegenüber anderen positionieren.
In der Vergangenheit haben Sie immer vor großen Mittelabflüßen in Richtung anderer Finanzzentren außerhalb der EU gewarnt, falls es zum automatischen Austausch von Steuerdaten kommen sollte. Sie sagen, Sie haben im Vorfeld dieser Entscheidung mit den Banken gesprochen. Wie schätzen Sie denn augenblicklich die Folgen dieses Entschlusses ab, was Einlagen, Beschäftigung und die Luxemburger Wirtschaft insgesamt betrifft?
Mittel- und langfristig wird es zu einer Stärkung der internationalen Dimension des Luxemburger Finanzplatzes kommen. Niemand will Kunde in einem Finanzzentrum sein, das internationale Standards nicht einhält und deshalb ein Reputationsrisiko darstellt. Kurzfristig sind einige Banken besser auf die Umstellung vorbereitet als andere. Meinen Informationen zufolge haben die meisten Banken in den Jahren seit der Einführung der Quellensteuer 2005 sehr hart an der Steuerehrlichkeit ihrer Kunden gearbeitet. Diejenigen, die das noch nicht gemacht haben, werden das schnell nachholen müssen. Ich sehe bei manchen Banken also sicherlich die Notwendigkeit umzustrukturieren, aber in den meisten Häusern hat diese Umstrukturierung bereits stattgefunden. Dort wird der Übergang auf den automatischen Datenaustausch keine substanziellen Schäden zur Folge haben, sondern neue Möglichkeiten im internationalen Geschäft eröffnen.
Sie glauben also, dass sich die Mittelabflüsse in Grenzen halten werden?
Ja. Kunden, die nach Luxemburg kamen, um Steuern zu hinterziehen, haben sich schon in den vergangenen Jahren von hier verabschiedet.
Wie steht es mit den Auswirkungen auf die Beschäftigung? Ich erinnere an die Studie, welche die Private-Banking-Branche 2009 angefertigt hatte und unter anderem Ihnen vorgelegt hatte. Sie bezifferte den möglichen Verlust von Arbeitsplätzen auf bis zu 6 000.
Wir haben in der Zinsbesteuerungsrichtlinie von 2003 bewusst eine längere Übergangsfrist vereinbart. Die Richtlinie trat 2005 in Kraft. In diesen zehn Jahren hat sich das Geschäftsmodell im Private Banking substanziell verändert und tut es noch. In den kommenden Jahren wird es meiner Ansicht nach völlig unabhängig von der Einführung des automatischen Informationsaustausches insgesamt weniger Beschäftigte in der Vermögensberatung geben. Wir brauchen hochqualifizierte Mitarbeiter, die eine breitgefächerte Produkt- und Dienstleistungspalette anbieten können. Wenn die Mitarbeiterzahl in den kommenden Jahren nicht steigt, hat das meines Erachtens nach nichts mit der Entscheidung zu tun, welche die Regierung heute angekündigt hat.
Sprechen wir über die Schritte zur Umsetzung des Informationsaustauschs. Was passiert als nächstes?
Die Entscheidung der Regierung dieser Woche heißt, dass wir im Bezug auf Zinserträge vom Modell der Quellensteuer für EU-Ansässige auf den automatischen Datenaustausch wechseln werden. Wir werden diesbezüglich dem Parlament einen Gesetzentwurf vorlegen und werden 2014 dazu nutzen, um bei der Steuerverwaltung die notwendigen Informatikprogramme vorzubereiten, damit diese Datenübermittlung durchgeführt werden kann. In allen anderen Diskussionen, beispielsweise zur möglichen Erweiterung der Zinsbesteuerungsrichtlinie (auf andere Einkommensarten, Anmerkung der Redaktion) und anderer Diskussionen im Rahmen der EU und der OECD, werden wir uns aktiv und konstruktiv als internationaler Finanzplatz beteiligen. Mit der Entscheidung für den automatischen Datenaustausch haben wir und aus der Defensive in die Offensive bewegt. Wie in den vergangenen Monaten auch schon, werden wir diese Diskussionen entkrampft, aber auf gleicher Augenhöhe mit den anderen Staaten führen.
Konkret: Heißt das, Sie werden der EU-Kommission weiter das Mandat verwehren, das ihr erlauben soll, Verhandlungen über Abkommen über den Austausch von Steuerdaten auf Anfrage mit Drittstaaten zu beginnen?
Wir werden den Wortlaut des Mandats genau lesen. Aber dieses Mandat spielt nach Einführung des automatischen Informationsaustausches in Luxemburg keine größere Rolle mehr. Abgesehen davon, bin ich generell sehr dafür, dass in allen wichtigen Finanzzentren der Welt die gleichen Spielregeln gelten, und deshalb werden wir auch die Kommission dazu einladen, den automatischen Informationsaustausch in Diskussionen mit Drittstaaten und im Rahmen des G20-Staatengruppe aktiv zu vertreten.
Apropos Drittstaaten. Diese Woche hat in Washington eine erste Verhandlungsrunde für ein zukünftiges Fatca-Abkommen zwischen den USA und Luxemburg stattgefunden. Hat sich die Regierung schon entschieden, welches Modell sie dafür wählen will?
Diese Verhandlungen sind in der Anfangsphase und werden durch die Entscheidung von dieser Woche einfacher. Die Fatca-Verhandlungen sind ein Schlüsselelement in den Überlegungen der Luxemburger Regierung, weil wir die wirtschaftlichen Beziehungen zu den Vereinigten Staaten unbedingt aufrecht erhalten wollen. Wir werden keine Sonderregelungen in Anspruch nehmen und uns stark an den Abkommen inspirieren, die andere Länder bereits mit den USA abgeschlossen haben.
Das heißt, Sie haben noch kein Modell ausgewählt?
Wie ich schon sagte: Ich glaube, wir sollten keine Sonderregelungen beanspruchen und wenn sich bei den anderen Staaten eine Tendenz herausschält, sollten wir dieser Tendenz folgen. Wir haben uns noch nicht definitiv entschieden, aber es spricht vieles für Modell I.
Zurück zur EU: Die Zinseinkünfte sind bei Weitem nicht die einzige Steuerakte, die auf dem Verhandlungstisch liegt. Die Kommission hat vergangenen Dezember einen Aktionsplan vorgeschlagen, in dem es unter anderem um „aggressive Steuerplanung“ geht. Eine Initiative, durch die wiederum ein Teil der Luxemburger Finanzbranche im Fokus steht, der sich auf die Firmenstrukturierung und die „Steueroptimierung“ spezialisiert hat. Wie sehen Sie diese Entwicklung und wie werden Sie sich in den Verhandlungen positionieren?
Aktiv, konstruktiv, offensiv – so wird unser Verhalten in diesen Diskussionen sein. Es geht darum, wie sich Unternehmen in einer globalen Wirtschaft aufstellen können und wo sie Steuern bezahlen. Dies ist ein Thema, das alle Staaten in denen Finanzdienstleistungen angeboten werden, ein wichtiges Anliegen ist – Irland, die Niederlande, Großbritannien, Luxemburg – wir sind also in diesem Dossier nicht alleine. Ich möchte meinerseits sicherstellen, dass der europäische Binnenmarkt auch in Zukunft funktioniert. Luxemburg wird alles unternehmen, damit es nicht zu einer Renationalisierung der Märkte kommt. Das wird unsere Leitlinie bei diesen Gesprächen auf EU-Ebene und auf Ebene der OECD sein. Unter anderem deshalb werde ich mich kommenden Montag mit dem Generalsekretär Angel Gurría in Paris treffen.