Vielleicht spielt Deutschlands Finanzminister Wolfgang Schäuble ja gerne Domino. Jedenfalls hat der Schatzmeister aus Berlin einen guten Dreh gefunden, die allseitige moralische Entrüstung nach den weltweiten Enthüllungen über Steuerhinterzieher für seine finanzpolitischen Anliegen zu nutzen. Als vor einer Woche die Offshore-Leaks für Aufruhr in den Medien sorgten, erklärte Schäuble, er hoffe, dass die Aufdeckung der Steuer-Fluchtoasen zu einer engeren Zusammenarbeit der Staaten bei der Suche nach Steuersündern führen könnten.
So wollte er offenbar neuen Schwung in die Offensive gegen Steueroasen bringen, die 2009 unter dem Eindruck der Finanzkrise von den G20 gestartet worden war und die nach anfänglicher Verve ins Stocken geraten war. Schäuble möchte nun dem Vernehmen nach beim Treffen der G20-Finanzminister nächste Woche in Washington mit weiteren Initiativen gegen die internationale Steuerhinterziehung glänzen. Und die Strategie scheint aufzugehen. Denn immerhin bröckeln die beiden letzten gallischen Dörfer in Sachen Bankgeheimnis in der EU.
Luxemburg und Österreich, sehr zum Missfallen anderer EU-Staaten bisher die beiden einzigen Länder in der Europäischen Union, die sich mit Hinweis auf ihr Bankgeheimnis weigerten, einer automatischen Weitergabe von Informationen über Zinserträge von ausländischen EU-Bürgern in ihrem Land an die Steuerbehörden der anderen Mitgliedstaaten zuzustimmen, sind auf Linie gebracht.
Wie Luxemburg erhebt Österreich bisher auf die Guthaben von Ausländern eine anonyme Quellensteuer von 35 Prozent der Zinserträge, die zum großen Teil an die Herkunftsländer überwiesen wird, ohne den Namen zu nennen. Das sichert den beiden Staaten gute Plätze in einem Negativranking: NGO Tax Justice Network listet Luxemburg hinter der Schweiz und den Cayman Islands auf Platz 3 der weltweit wichtigsten Steueroasen, Österreich rangiert hinter Ländern wie Hong Kong, Singapur, den Jungferninseln oder Panama auf Platz 17.
Nachdem nun Luxemburg in Gestalt von Finanzminister Luc Frieden den Abschied von diesem Prinzip erklärte, war Wien plötzlich isoliert. Zwar versuchte die konservative Finanzministerin Maria Fekter am Rande eines Treffens mit EU-Wettbewerbskommissar Joaquin Almunia in Brüssel vor einer Woche noch, zumindest rhetorisch das österreichische Bankgeheimnis zu verteidigen und nannte den automatischen Informationsaustausch einen „Datenfriedhof“.
Doch das Aufbäumen währte nur wenige Tage, da wurden auch in konservativen Kreisen Argumente für eine Abschaffung laut. Die in der Koalition führenden Sozialdemokraten zeigten sich ohnehin rasch konzessionsbereit. Kanzler Werner Faymann beeilte sich, in einem Interview darauf hinzuweisen, dass Österreich im Vergleich mit Luxemburg ohnehin weniger restriktiv vorgehe und im Falle eines begründeten Verdachts einer Behörde Daten liefere.
„Und jetzt wollen wir darüber reden, ob wir wirklich dauernd alle Daten hin und her schicken müssen, oder ob es eine andere, effizientere Form gibt“, umschrieb Faymann den Beschluss Österreichs, die heilige Kuh Bankgeheimnis zu schlachten, im Massenblatt Kurier. Argumentativ eilten sofort rote Schwergewichte wie der frühere Finanzminister Hannes Androsch dem Kanzler zu Hilfe: „Wir werden uns nicht in eine Ecke stellen können auf Dauer, wenn wir nicht in den Geruch kommen wollen, Geldwäsche zu decken“.
Der Chef des renommierten Wirtschafts-Forschungsinstitutes Wifo Karl Aiginger sieht auch eine moralische Verpflichtung des Landes: Das Bankgeheimnis sei im Kontext der Korruptionsfälle und -skandale der vergangenen Jahre schon aus Imagegründen nicht länger aufrecht zu halten. Österreich müsse massiver als in der Vergangenheit gegen Geldwäsche und Korruption vorgehen: „Bei Verdacht auf Steuerhinterziehung, Schwarzgeld oder Korruption hat ein Bankgeheimnis keine Berechtigung.“
Anders als Juncker möchte sich der Regierungschef in Wien jedoch nicht auf einen Zeitplan festlegen – schließlich ist in Österreich Wahljahr, mit wichtigen Urnengängen in mehreren Ländern und der Parlamentswahl im Herbst. Dafür erhielt Österreich nun eine verdeckte Rüge der EU-Kommission. Die drängt darauf, endlich die EU-Reform zur Zinsbesteuerung anzugehen, die seit 2008 durch die Haltung Luxemburgs und Österreichs blockiert wurde und die den EU-Ländern die effektive Besteuerung ihrer Bürger ermöglichen soll - selbst dann, wenn diese Konten im Ausland unterhalten. Der Austausch soll sicherstellen, dass Vermögenszuwächse steuerlich erfasst werden. Zugleich erschwert das System die Hinterziehung von Vermögen.Der Kampf gegen Steueroasen ist in den Augen Wolfgang Schäubles auch eine Frage der Legitimation und Legitimität staatlichen Handelns. „Würden wir noch einmal eine Krise bekommen wie 2008, dann stünde nicht nur die marktwirtschaftliche Ordnung auf dem Spiel, sondern unsere gesamte Gesellschaftsform der westlichen Demokratie“, warnte er – in der Süddeutschen Zeitung, einem jener Medien, die in einer internationalen Kampagne aufdeckten, wie Reiche die Möglichkeiten nutzen, ihr Geld in Ländern mit permissiven Gesetzen in Sicherheit zu bringen.