August, Sommerloch, Urlaubszeit. Jahrzehntelang wurde das Reisen einfacher. Der Schengen-Raum wurde größer. Ausgediente Militärbasen wurden in Billigflughäfen für die arbeitende Klasse umgewandelt, für die ein Ticket in der Economy Class bis dahin unerschwinglich war. Knapp außerhalb Europas sorgten autoritäre Regimes dafür, dass billige Arbeitskräfte die all-inclusive Drinks auf dem Weg zu Sehenswürdigkeiten aus der Antike servierten.
Doch seit ein paar Jahren wird es zunehmend schwieriger, ein geeignetes Urlaubsziel zu finden. Der Schengen-Raum wird wieder kleiner, weil Regierungen Grenzen schließen lassen, entweder um Flüchtlingsströme zu stoppen oder um Terroristen nach ihrem Ausweis zu fragen. Die EU-Strukturgelder sitzen nicht mehr so locker, und das Wettbewerbsrecht wird auch an Regionalflughäfen strenger durchgesetzt. Seit dem Arabischen Frühling sorgen weniger Diktatoren dafür, dass der Islam in Nordafrika von der Variante „exotisch“ statt „extrem“ ist. An den Badestränden Südfrankreichs und in den europäischen Metropolen herrscht ebenfalls Terrorgefahr. Und wer kann sich am süditalienischen oder griechischen Strand wirklich auf seinen Schundroman konzentrieren, wenn Hilfsorganisationen neben der Sonnenliege Flüchtlinge notversorgen, die sie gerade aus dem Meer gefischt haben?
Da erscheint der Urlaub zuhause plötzlich als attraktive Alternative. Und bei genauerer Betrachtung birgt er nicht nur finanzielle Vorteile, weil man keine Reisekosten anhäuft, sondern auch weil man viel weniger Stress hat.
Das fängt schon bei der Buchung an. Wer zuhause bleibt, spart sich viele Stunden wertvoller Lebenszeit, die vor dem Computer damit verbracht werden, bis zur völligen Verunsicherung auf unterschiedlichen Webseiten nach Angeboten zu suchen, die nicht vergleichbar sind: eine Viertelstunde, um zu verstehen, dass die eine Seite Preise in Euro, die andere sie in Dollar anzeigt. Eine halbe Stunde, um zu merken, dass sich hinter dem günstigsten Ticket eine Reisedauer von 36 Stunden mit vier Zwischenlandungen versteckt, was den Zehntageurlaub um fünfeinhalb Tage verkürzen würde. Fünf Minuten, um herauszufinden, wo sich in den Einstellungen die Reisedauer für eine innereuropäische Strecke auf erträglichere zwölf Stunden beschränken lässt. Eine weitere halbe Stunde, um auf allen Webseiten zu testen, was sich preislich ändert, wenn man ein oder zwei Tage früher oder später fliegt, beziehungsweise zurückkommt, was eine ganz erstaunliche Menge an Variablen ergibt.
35 Minuten, um mit Kreditkarte Nummer eins (aus unerklärlichen Gründen abgelehnt) und Nummer zwei alle Schritte der Buchung zu durchlaufen, nur um eine Millisekunde vor Transak-
tionsabschluss adrenalindurchflutet festzustellen, dass bei diesem Preisangebot nur Handgepäck erlaubt ist, was dank Sicherheitsregeln nicht einmal die Mitnahme der Familientube Sonnencreme in den Tauchurlaub ermöglicht. Fünf Minuten, in denen man die Realität leugnet und nicht einsehen will, dass trotz eines halben Dutzend so genannter Billigfluggesellschaften in Findel Luxair immer noch das einzige Angebot macht, das zeitlich und praktisch gesehen durchführbar ist.
45 Minuten, um für einen ähnlichen Ticketpreis ein Reiseziel in Fernost zu suchen und zu finden, mit allen Datumsvariablen. Eine Minute, um im Reiseführer nachzuschlagen, dass alle getesteten Datumsvariablen in die Regenzeit fallen. Fünf Minuten, um schier zu verzweifeln und den Partner anzuschnauzen, warum er oder sie sich nicht darum kümmert, dann einsehen, dass das keinen Sinn hat. Sieben Minuten, um mit den Ursprungsdaten das erstgewählte Reiseziel mit der Luxair zu buchen. Zehn Sekunden, um sich zu schwören, dass man beim nächsten Treffen dem Bekannten, der dort arbeitet, aber gehörig die Meinung geigt. Oder vielleicht sogar auf seiner Facebook-Seite, für den größeren Kollateralschaden?
Auch im Vergleich zu jenen, die mit dem Auto verreisen, oft junge Eltern, haben die Daheimbleiber weniger Stress. Das fängt beim Packen an und geht unterwegs weiter: Den Kofferraum wie beim Tetris-Spielen einpacken, mit Genugtuung den Rest der Familie informieren, dass alles drin ist. Ungläubig feststellen, dass der Rest der Familie zwei weitere Kubikmeter Krempel mitnehmen will, zähneknirschend die Fassung bewahren, um den Urlaub nicht im Streit zu beginnen.
Neues Tetris-Spiel beginnen, das die halbe Nacht dauert, wenn man eigentlich frühmorgens wegfahren wollte, um den starken Verkehr zu meiden. Vor der Abfahrt alle Familienmitglieder zum Toilettengang nötigen und ihnen das Trinken verbieten. Übernächtigt losfahren. Kurz nach Metz halten, weil jemand die Toilette braucht; feststellen, dass kurz nach Metz mindestens 20 weitere Leute die Toilette brauchen. Sich über die hygienischen Zustände an französischen Raststätten ärgern, die in 30 Jahren unverändert schlecht sind.
Navi neu programmieren. Trotz anfänglicher Ablehnung das Hinzuziehen von Google Maps erlauben, um die Stauwarnungen zu erhalten. Mithilfe der Faltkarte über Schleichwege navigieren. Kurz vor Ankunft feststellen, dass man die Unterlagen fürs Ferienhaus zu Hause vergessen hat. Sich darum streiten, wer sie einpacken sollte. Sich fragen, ob es politisch korrekt und gesellschaftlich akzeptabel ist, wenn die Eltern nach dem Familienurlaub Urlaub von der Familie brauchen, um sich zu erholen.
Für den Urlaub zuhause spricht auch, dass man sich bei Ausflügen mit den gängigen Fremdsprachen verständigen kann. Der Heimurlaub mindert auch das Risiko von Verdauungsstörungen beispielsweise durch allzu exotische Speisen. Schließlich wissen Sie, wo in der Nachbarschaft wann welches Restaurant geöffnet hat und ob es dort schmeckt.
Wer befürchtet, sich durch den Urlaub in Balkonien vor Freunden und Bekannten lächerlich zu machen, weil er noch vor Kurzem entweder Synonym für Geldnot war oder für provinziellem Mangel an Aufgeschlossenheit und Abenteuerlust, kann mittlerweile ruhigen Gewissens daheim bleiben. Denn es gibt inzwischen nicht nur den englischen Fantasiebegriff Staycation, der wesentlich trendiger klingt, als die alte Heibleifskäerchen. Und nachdem US-Präsident Donald Trump, von einem internationalen Aufschrei der Entrüstung begleitet, das Pariser Klimaabkommen gekündigt hat, war die Zeit nie günstiger, um alle, die ausschließlich Bio-Produkte essen wollen, aber dreimal jährlich in Urlaub fahren, als Umweltheuchler zu beschimpfen.