In Folge eins der „Visites d’ateliers“ (d’Land, 4.8.2017) kommt Lucien Kayser nicht umhin, neben dem eigentlichen Schaffensporträt von Marco Godinho die Bedeutung des Ateliers an sich zu hinterfragen: „L’atelier (...) d’artiste est désormais nulle part et partout à la fois“, schlussfolgert er im Untertitel.
Vergleichbare Umstände zwingen auch mich dazu, dieser Herausforderung einige Zeilen zu widmen. In meiner Begegnung mit der jungen rumänischstämmigen Schauspielerin Larisa Faber (*1986) einigen wir uns auf einen Widerspruch: Wo eigentlich befindet sich das Atelier einer Schauspielerin? Auf der Couch bei der Textbegegnung, im Proberaum eines Theaters, beim Joggen um den Baggersee, auf der Bühne, doch, herrje, auf welcher?
In der Vorbereitungsphase zu dieser Künstlerbegegnung löst Larisa Faber die Ausgangsfrage auf die Schnelle: In Luxemburg fällt ihr insbesondere die Banannefabrik in der Rue des Puits unweit des Kasemattentheaters ein. Dort befindet sich das Büro des Künstlerkollektivs Maskénada, einst geleitet von Claude Mangen, heute von Serge Tonnar. „Hier hat irgendwie vieles angefangen, hier übernahm ich die ersten Rollen in Luxemburg. Hier hat man mir den Start erleichtert, wichtige Kontakte wurden geknüpft.“ Ein Stück künstlerische Heimat also. Ein zentrales Atelier im klassischen Sinne lässt sich so leicht nicht finden.
Ein Klingelton. Begegnung im gekachelten Treppenhaus. Larisa Faber wirkt noch etwas aufgewühlt. Zupft an ihrem Oberteil herum. Ein paar Lacher. Etwas Smalltalk lockert die Begegnung auf. Ihre Begrüßungsworte werden von diffusen Hintergrundgeräuschen geschluckt: „Nett, Sie kennenzulernen.“ Ich muss antworten: „Wie bitte?“ Ein hektischer, unbeholfener Anfang ohne eingeschaltetes Diktafon steht im radikalen Gegensatz zu einer 31-jährigen Künstlerin, die in der Couchgruppe wenig später in die Lockerheit findet, ihre beruflichen Überzeugungen in Worte fasst und über eine Theater- und Filmkarriere, die doch erst am Anfang steht, wie ein Wasserfall erzählt.
Eben noch betraten wir die große Bühne der Banannefabrik. Eine tiefe, schwarze Fläche am Fuß der Tribüne, ein Tisch, ein weißer Ventilator. „Hier habe ich aber noch nicht gespielt“, erklärt sie. Gemeinsam mit dem Fotografen Sven Becker begeben wir uns zum Foyer. Ob sie sich an ihre erste Erfahrung mit dem Theater erinnern könne?
„Genau genommen sind meine ersten Erfahrungen mit der Bühne Besuche von Ballettinszenierungen gewesen. Gut kann ich mich an eine Schwanensee-Vorstellung erinnern. Meine Mutter war jedoch besonders davon beeindruckt, dass ich als Kleinkind vor dem Sprechalter in der Lage war, während einer gesamten Nussknacker-Inszenierung stillzusitzen. Ich selbst kann mich daran natürlich nicht mehr erinnern.“
Erst viel später wurde ihr klar, dass das Physical Theatre ihr besonders am Herzen liegt und sie dieses auch hätte studieren können. „Jahre vorher, mit 15, traf ich aber bereits eine völlig unbedarfte Entscheidung: Ich werde Schauspielerin. Über die finanziellen und alltäglichen Tücken des Schauspielerdaseins machte ich mir damals kaum Gedanken. Im Verlauf meiner Karriere, nach meiner Ausbildung in London, zweifelte ich nie an meiner Schauspieltätigkeit. Die Angst vor mangelnden Aufträgen spielt aber immer wieder mit.“
Aufgewachsen in Rumänien, brachte die Mutter sie nach Ceauşescus Sturz nach Luxemburg, ihr Stiefvater adoptiert sie. Fünf Jahre Ausbildung am Drama Centre London. In Luxemburg bedarf es einiger Geduld, bis sie, heiß auf Rollen, ihre Karriere in die Gänge kommen sieht.
Sie antwortet auf die naive Frage nach Lampenfieber, Blackouts, Premieren-Angst. Ihre Augenbrauen ziehen sich nach oben, ihre Hände sprechen Bestimmtheit. An einen Moment auf der Bühne erinnert sie sich. Da war der Text weg, die Choreografie vergessen. „Aber hey! Im Gegensatz zu anderen Künstlern haben wir Schauspieler den Vorteil, dass das Publikum vorab den Text nie so kennt, wie ihn der Regisseur verändert hat. Selbst wenn ich hinstürze oder mich verzettele, kann ich noch etwas anderes daraus machen. Die Bühne ist für mich der sicherste Ort der Welt.“
Deshalb mag Larisa Faber auch Regisseure wie Linda Bonvini (Frrrups, 2014) oder Markus Schleinzer (Angelo, 2017), die es ihr erlauben, eine Figur zu entdecken, zu erspüren. „Vor allem am Theater gehört am Ende die Bühne den Schauspielern.“ Wir müssen beide kichern. Wir sind beide einverstanden, daran liegt es nicht. Larisa Faber muss über die Festigkeit ihrer beruflichen Vorstellungen schmunzeln. Sie eiert nicht herum.
Wir steigen die Treppe hoch zum Büro von Maskénada. In ihrem künstlerischen Zuhause hängt Larisa Faber sich über das Steintreppengeländer, blickt vor gelblichen, schadhaften Fensterglasscheiben in die Linse von Sven Becker. Dabei trägt sie ein Konvolut mit sich, an dem sie später herumkritzeln wird. Ihr eigener Text.
Sie spielt nicht nur und liebt nicht nur körperliche Ausdrucksformen, sie schreibt auch. In Disko Dementia verarbeitet sie ihre Eindrücke von der Behandlung ihrer dementen Großmutter, die Krankheit aus der Perspektive einer Tochter. Linda Bonvini wird es im Herbst 2018 inszenieren, Serge Tonnar die Arbeit dramaturgisch begleiten, sie selbst vielleicht eine Rolle übernehmen. In diesen Momenten hält Larisa Faber inne. Irgendwo zwischen Dankbarkeit für die künstlerische Unterstützung und Erinnerung an die eigenen Erlebnisse mag diese Stille anzusiedeln sein.
Dani Jung, Chargée de direction, öffnet uns die Tür zum Maskénada-Büro. Fotos werden hier geschossen. Einem Voyeur gleich blickt Sven Becker mit seinem Objektiv durch die Fensterrahmen des Büros. Larisa Faber beim Lesen, beim Anmerken ihrer Rohfassung. Sie arbeitet gerade am zweiten Entwurf.
Dann spricht sie über ihre Titelrolle in Fräulein Else (2014), ihre erste große Rolle seit ihrer Rückkehr nach Luxemburg. Auch an ihren Beitrag in Frank Hoffmanns herrlichem Revisor (2012) erinnert sie sich gern zurück. Ihre rumänischen Sprachkenntnisse haben bisher jedoch nur in Claude Mangens Dracula (2012) eine Rolle gespielt. Mehr als drei Sätze in der Sprache des karpatischen Grafen hat man ihr allerdings nicht zugestanden, lacht sie.
Larisa Faber hat noch viel vor, es sprudelt nur so an Plänen, Überzeugungen und künstlerischem Heißhunger aus ihr heraus. Eine Rolle kennt sie sehr genau. Sie bezieht sich auf Shakespeares Ophelia, die sie in den Londoner Jahren der Ausbildung sehr genau erarbeiten durfte. Sie beeindruckt die Mischung aus Intelligenz und Zerbrechlichkeit. Diese Figur möchte sie einmal spielen, unbedingt im englischen Original.
Am Schluss unseres Gesprächs, das uns durch die Räumlichkeiten der Banannefabrik geführt hat, reichen wir uns zum Dank und zum Abschied die Hand. Ob sie wisse, warum ich gerade sie im „Atelier“ habe besuchen wollen? Sie verneint mit fragendem Blick, ihrem typischen Lachen. 2014 hatte sie einen Auftritt in Raoul Biltgens Kaleidoskop-Inszenierung De Wollëf kennt heem – eine Produktion mit Höhen und Tiefen. Herausgeragt habe aus dem Ensemble fähiger Darsteller und Produktionsmitglieder eine Schauspielerin, die mir bis dato unbekannt war und mit einer recht erfrischenden Interpreta-
tionskunst überraschte.
Die positive Kritik habe ihr damals geholfen, entgegnet sie. Denn als junge Darstellerin habe sie es nur mit Hauen und Stechen geschafft, ihre Sichtweise der Figur durchzusetzen. Sie war halt überzeugt, dass sich ihre Deutung richtig anfühle. Ab September geht sie übrigens wieder ihrem Hobby als Karateka nach.
Sie arbeitet anschließend wohl an ihrem Disko Dementia weiter. Vor der Heimfahrt prüfe ich mein Facebook-Konto. Eine Nachricht von Larisa Faber. Sie habe da noch etwas nachzureichen über eine gemeinsame Arbeit mit Simone Mousset am Centre de création chorégraphique 3CL. Larisa Faber hat viele, viele Pläne, ihre Vorstellungen tragen klare Linien – wenige Jahre nach dem Stoß aus den Startlöchern.