In den letzten 20 Jahren erlebte das Lëtzebuergesche einen von Linguisten nicht vorhergesehenen Ausbauprozess: Es wird heute in gesellschaftlichen Situationen gesprochen und geschrieben, die bis vor kurzem dem Französischen oder dem Deutschen vorbehalten waren. Ein überregionales Standardlëtzebuergesch festigt sich, die Rechtschreibung ist dabei, sich ziemlich erfolgreich zu vereinheitlichen. Das Ansehen des Lëtzebuergeschen ist gestiegen - auch in der Linguistik.
Wenn allerdings die zuständige Sektion des Institut grand-ducal einen Workshop Forschungsperspektiven zum Lëtzebuergeschen - das Luxemburgische als Herausforderung für die Linguistik organisiert, wie am letzten Wochenende in Luxemburg und Mersch, dann wird deutsch geredet wie auf Ballermann. Denn mangels eigener Universität ist die Erforschung des Lëtzebuergeschen ziemlich fest in der Hand vor allem deutscher Germanisten. Auch wenn sich am Wochenende wiederum zeigte, dass bei allem guten Willen im Ausland Lebende nur vage Vorstellungen davon haben können, wer hierzulande welche der gängigen Sprachen in welcher Situation gebraucht.
Die mit den demographischen Veränderungen einhergehenden sozialen, ökonomischen und politischen Ursachen dieses überraschenden Ausbauprozesses des Lëtzebuergeschen interessierten allerdings nur am Rand. Auch am Rand warf der Heidelberger Soziolinguist Klaus Mattheier deshalb ein, dass die Soziolinguistik im Programm des Workshops fehle. Er bedauerte zudem, dass es noch keine einzige Studie zur Jugendsprache gebe, obwohl diese oft Rückschlüsse auf die weitere Entwicklung der Sprache erlauben könnte.
Die ebenfalls politisch aufgeladene Debatte, wo das Lëtzebuergesche gerade in der Entwicklung vom geographisch deutschen Dialekt zur funktional germanischen Sprache angekommen ist, schien derzeit kaum ein Thema mehr. Dafür empfahlen sich die Linguisten das Lëtzebuergesche als Leckerbissen für seine im deutschen Sprachraum einzigartige Vielfalt an Pluralbildungen. Die feministische Sprachhistorikerin Damaris Nübling aus Mainz staunte über die "ungebändigte Allomorphik", und ihre Zürcher Kollegin Elvira Glaser bedauerte, dass die Syntax bisher ein Stiefkind der Forschung gewesen sei. Sie fand aber Anhaltspunkte dafür, dass die Syntax des Lëtzebuergeschen in eine größere, eher süddeutsche Sprachlandschaft passe.
Dagegen konnte Jérôme Lulling zufrieden melden, die Wörterliste seines Korrekturprogramms für Computer um Zehntausende weitere Eintragungen verlängert zu haben. Und das Trio Johannes Kramer, Joseph Reisdoerfer und Geneviève Bender berichtete, dass der 140 Seiten umfassende Buchstabe A des Dictionnaire étymologique des éléments français du luxembourgeois druckreif sei. Gleichzeitig wurde schon bedauert, dass das Werk sich auf die Wörter französischen Ursprungs beschränke.
Einig waren sich alle Linguisten aber, dass noch viel zu tun sei. Dringend nötig sei die Aufarbeitung der historischen Quellen als Grundlage für weiter Forschungen zur Sprachgeschichte und eine historische Grammatik, meldete Claudine Moulin, die in Bamberg an einem Forschungsprojekt zur Sprachgeschichte arbeitet. Die Direktorin des Merscher Literaturzentrums Germaine Goetzinger musste ausrichten, dass gerade wegen des "Aufblühens der Literatur" das Fehlen eines Nachschlagewerks Luxemburger Autoren bedauert wurde.
Und so richteten alle Anwesenden noch einmal einen dringenden Appell an das nicht vertretene Kultur- und Forschungsministerium, damit Mittel und Planstellen bereitgestellt werden, um die Erforschung des Lëtzebuergeschen auch hierzulande aus dem Getto der Feierabendwissenschaft zu befreien. Ein Institut wurde sich gewünscht, das mit Forschungsstellen an ausländischen Universitäten zusammenarbeiten könne. Die Ministerin soll deshalb die Ergebnisse des Workshops zugeschickt bekommen.
Doch wie es mit dem Lëtzebuergeschen selbst weitergehen soll, wissen auch die Fachleute nicht so recht. Manfred Peters aus Namur fragte sich, ob das derzeitige Gefüge der verschiedenen hierzulande gebrauchten Sprachen für die nächsten 20 bis 30 Jahre stabil oder lediglich eine Übergangssituation sei, ob eine stärkere Standardisierung dem Lëtzebuergeschen mehr nutze oder schade. Er schätzte mit Blick auf die demographische Entwicklung, dass sich das Lëtzebuergesche ohne sprachpolitische Maßnahmen nicht halten könne. Eine Meinung, die auch François Schanen aus Montpellier zu teilen schien, während Johannes Kramer ganz marktwirtschaftlich meinte, dass "Laisser-faire dem Lëtzebuergeschen 'was Gutes" tue.