d'Lëtzebuerger Land: Vor drei Jahren beschloss das Parlament einen dringlichen Neubau für die Nationalbibliothek. Seither hat man nichts mehr davon gehört.
Monique Kieffer: Es steht seit Jahren außer Zweifel, dass die Nationalbibliothek unter Platzmangel leidet. Die Zahl unserer Bücher nimmt zu, wir brauchen mehr Büros, einen größeren Freihandbereich für das Publikum. Sowohl die Direktion der Nationalbibliothek als auch die Kulturministerin sind sich dessen bewusst. Doch ein Neubauprojekt dieses Ausmaßes benötigt eine aufwändige Vorbereitung. Es galt, noch manche Fragen in Bezug auf Ausrichtung und Gestaltung des Gebäudes zu klären. Ich lege Wert darauf, dass die Planung mit der ganzen Belegschaft besprochen wird. Bei meinem Antritt als Interimdirektorin gab es in der Nationalbibliothek zahlreiche Probleme und viel Arbeit zu bewältigen. Zunächst waren wir vollauf mit der Umstellung unseres elektronischen Katalogs auf das neue System Aleph 500 beschäftigt. Es war nicht möglich, das Neubauprojekt gleichzeitig durchzuziehen. Ich bin zufrieden, dass das Kulturministerium uns die Unterstützung einer erfahrenen französischen Beraterfirma gewährte.
Für wann ist denn mit dem zweiten Teil des Gutachtens von Aubry [&] Guiguet zu rechnen?
Wir erwarten die Studie innerhalb des nächsten Monates.
Hat schon jemand daran gedacht, die Benutzer der Bibliothek nach ihren Bedürfnissen zu fragen und miteinzubeziehen? Was erbrachte beispielsweise die Leserumfrage, die Sie letztes Jahr unternahmen?
Wir bekommen regelmäßig Echos von den Lesern, neuerdings auch über E-Mail. Eine Studentin hatte in unserem Auftrag eine Umfrage im Rahmen ihres Volontariats in der Bibliothek gemacht. Allgemein ergab die Befragung einen hohen Grad der Zufriedenheit der Leser. Beanstandet wurden jedoch die Öffnungszeiten; die Bibliothek ist bekanntlich montags, werktags bis 10.30 Uhr und Samstag nachmittags für den Publikumsverkehr geschlossen. Um den Service zu verbessern, ist seit einem Jahr die Ausleihe über Mittag durchgehend geöffnet und die Öffnungszeiten der Mediathek wurden um sieben Stunden verlängert. Insgesamt wollen wir mehr auf die Leser zugehen. Unser neuer Ausleih- und Informationschalter ist Bestandteil dieser Strategie.
Sinkt nicht die Zahl der Leser?
Wenn ich mir die Zahlen der eingeschriebenen Leser und der ausgeliehenen Bücher in den ersten acht Monaten dieses Jahres ansehe, gehe ich davon aus, dass sie Ende des Jahres über den Ergebnissen von 2000 und 1999 liegen werden. Insbesondere unsere PC-Terminals mit freiem Internet-Zugang erfreuen sich zunehmender Beliebtheit, so dass zehn zusätzliche PCs in den nächsten Wochen installiert werden.
Wie stellen Sie sich nach dem Neubau die Verwendung des derzeitigen Gebäudes, des Alten Athenäums vor?
Bevor das Gutachten der französischen Experten dem Kulturministerium vorliegt, kann ich mich nicht zu diesem Punkt äußern.
Steht diese abwartenden Haltung nicht im Widerspruch zu den teilweise kostspieligen Investitionen, die bereits in dem Altbau erfolgen?
Ein Teil dieser Investitionen war bereits beschlossen und begonnen, als ich mein Amt antrat. Wir arbeiten eben in einem Altbau, den die Bauverwaltung unterhalten und auch an strengere internationale Sicherheitsnormen anpassen muss. Der neue Fahrstuhl ist eine wichtige Arbeitserleichterung für den Büchertransport aus den Magazinen, weil die anderen Fahrstühle zu eng oder zu weit ab gelegen sind. Wegen des Ausbaus der Computer-Anlagen mussten das Gebäude neu verkabelt und sie Stromversorgung verstärkt werden. Mit dem Ausbau des Kellers soll die allgegenwärtige Raumnot etwas gelindert werden.
Jener Keller, der zu feucht ist, um dort Bücher aufzubewahren?
Über den Bauarbeiten wurde dieses Feuchtigkeitsproblem erst entdeckt. Die Bauverwaltung ist derzeit bemüht, das Problem mit zusätzlichen Abdichtungen und einer verstärkten Entlüftung zu lösen. Ich möchte aber betonen, dass der Keller im Augenblick noch leer ist, nicht dass die irrige Ansicht aufkommt, dass derzeit wertvolle Bücher im Keller Schaden erleiden.
Ein anderes konservatorisches Problem ist der alte Fonds, der im Obergeschoss großen Temperatur- und Feuchtigkeitsschwankungen ausgesetzt ist.
Wir arbeiten eben in einem Altbau und in großer Raumnot. Die Bedingungen, unter denen der alte Fonds aufbewahrt wird, sind sicher nicht optimal, aber ich möchte betonen, dass die Bücher nicht direkt gefährdet sind. Das ist schon ein Unterschied. Und das ist leider ein Problem, mit dem weltweit viele Bibliotheken zu kämpfen haben, die in historischen Gebäuden untergebracht sind und in Jahrhunderten zusammengetragene Sammlungen geerbt haben.
Im Rahmen des Neubaus werde ich dem Kulturministerium ein mehrjähriges Konservierungs- und Restaurierungsprogramm vorschlagen, unter anderem gegen den Säurefraß unseres Zeitungsbestandes. Doch das alles kostet viel Geld und muss gut überlegt werden, denn selbst die Spezialisten sind sich nicht über die geeignetsten Konservierungstechniken einig. Wir brauchen auch eine kleine Abteilung in der Bibliothek und einen hauptamtlichen Konservator, die sich mit Konservierungs- und Restaurierungsfragen beschäftigen.
Augenblicklich beteiligen wir uns gemeinsam mit den Bibliotheken von Metz und Trier an einem von der EU geförderten Programm im Rahmen von Kultur 2000, das der Restaurierung von Inkunabeln dient. Dabei werden fünf Wiegendrucke aus Luxemburg restauriert; die Arbeit wird auch auf einer Web-Site dokumentiert werden.
Das Audit von Berenschot bemängelte einen gewaltigen Rückstand der Bibliothek bei der Katalogisierung ihrer Bestände. Konnte dieser Rückstau inzwischen verringert werden?
Leider nicht. Die Umstellung des elektronischen Katalogs auf unser neues System verlangte so viel Zeit von den Beschäftigten ? alleine die Schulung entsprach zwei Vollzeitarbeitsplätzen ? , dass wir diesen Rückstand noch nicht aufarbeiten konnten. Auch wurden einzelne Dienste, etwa die ausländischen Zeitschriften, erst einmal umorganisiert, um eine rationellere Arbeitsweise zu erlauben. Hinzu kommt, dass wir die Normen, nach denen Bücher eingetragen werden, stärker als in der Vergangenheit an internationale Standards anlehnten und wir uns darauf umstellen mussten, dass der Thesaurus, nach dem wir die Indexierung vornehmen, von einer Papier- auf eine elektronische Version umgestellt wurde.
Zurzeit handeln wir ein Abkommen mit dem Schweizer IDS-Verbund aus und verbessern unser Programm, damit wir Katalognotizen anderer Bibliotheken importieren und so Zeit gewinnen können. Die Katalogisierungsrate der Nationalbibliothek hat sich jedenfalls nicht verringert. Vielmehr bleibt ihr Anteil an den Katalogisierungen des gesamten nationalen Aleph-Netzes konstant.
Mit Hilfe des Staates und einer Stiftung der Deutschen Bank sind wir dabei, einen Handschriftenspezialisten einzustellen, der die rund 40 Echternacher Handschriften der Nationalbibliothek im Fachzentrum der Frankfurter Stadt- und Universitätsbibliothek katalogisieren wird.
Wie sind Sie nach über einem Jahr mit dem neuen Katalogprogramm Aleph zufrieden?
Ich bin ganz zufrieden und finde es ermutigend, dass es laufend von bedeutenden Bibliotheken in der Welt gekauft wird. Meiner Meinung nach ist es eines der besten Programme auf dem Markt, und wir werden nächstes Jahr die neue Version übernehmen. In Luxemburg sind seit Anfang 2001 mit Hilfe der Nationalbibliothek zehn weitere Bibliotheken dem Luxemburger Aleph-Verbund beigetreten, der nun 20 Mitglieder umfasst.
Sie haben bereits wiederholt die Notwendigkeit betont, die Bibliothek vermehrt zu digitalisieren.
Um die Attraktivität der Nationalbibliothek insbesondere für die junge Generation zu gewährleisten, müssen wir verstärkt auf die neuen Informations- und Kommunikationstechnologien zurückgreifen.
Im Rahmen von e-Luxembourg haben wir ein Programm genehmigt bekommen, um unsere verbliebenen Zettelkataloge einzuscannen. Bis Ende 2002 oder Anfang 2003 sollen so die Kataloge des allgemeinen Fonds, des alten Fonds und der Zeitschriften elektronisch zugänglich gemacht werden. Bis Ende nächsten Monats soll unsere Web-Seite zu einem Portal ausgebaut werden, das circa 550 Links zu kulturellen Inhalten bietet. Die Bibliographie nationale wird demnächst in einer Online-Version erscheinen.
Daneben wollen wir gezielt elektronische Fachzeitschriften und Nachschlagwerke abonnieren, ausgewählte Werke beispielsweise der Réserve précieuse digitalisieren und über Internet einem breiten nationalen und internationalen Publikum zugänglich machen. Derzeit besteht kein gesetzlicher Zwang, digitale Veröffentlichungen bei der Nationalbibliothek zu hinterlegen, wie dies beispielsweise für Druckwerke gilt. Die Conference of European National Librarians, der auch die Direktorin der Luxemburger Nationalbibliothek angehört, arbeitet auf europäischer Ebene daran, dass die entsprechenden Gesetze geändert werden, um auch digitalisierte Veröffentlichungen für die Zukunft zu erhalten.
Wie wertet die Bibliothek ihre Bestände in nächster Zeit mit Veröffentlichungen, Vorträgen und Ausstellungen aus?
Soeben haben wir die Texte unserer Vortragsreihe Forum 1998/1999 veröffentlicht, Tempus edax rerum, le bicentenaire de la Bibliothèque nationale de Luxembourg, sowie eine Broschüre, die dem hibernosächsischen Evangeliar der Russischen Nationalbibliothek gewidmet ist, das 1998 in Luxemburg zusammen mit der Echternacher "Riesenbibel" der Nationalbibliothek ausgestellt worden war. Letztes Jahr veröffentlichten wir Reliures des XVIe et XVIIe siècles conservées à la Bibliothèque nationale de Luxembourg von Emile van der Vekene, bis vor einigen Jahren Konservator unserer Réserve précieuse. Nach der augenblicklichen Ausstellung über Bücher der baltischen Staaten planen wir im Winter eine Ausstellung über jüdische Kulturschätze in Mähren, im Frühjahr wollen wir die Schätze unserer Abteilung der Künstlerbücher zeigen und mit einem Katalog dokumentieren. Vorgesehen sind noch Ausstellungen über Luxemburgensia in Trier und Frühdrucke in der Tschechei und in Luxemburg - letztere in Zusammenarbeit mit der tschechischen Nationalbibliothek. Wir setzen auch unsere Vortragsreihe Forum dieses Jahr und 2002 fort. Als nächstes ist am 19. Oktober ein Vortrag von Professor Charles Burnett über den frühesten Gebrauch arabischer Zahlen in lateinischen Handschriften und insbesondere in einer Echternacher, im Besitz der Nationalbibliothek, vorgesehen.