Keine drei Wochen nach dem Tod des konservativen Sprach- und Literaturpapstes Fernand Hoffmann hatte sein Sohn Jean-Paul, selbst Linguist, sich am 9. Dezember letzten Jahres aus heiterem Himmel in einem ellenlangen Leserbrief zu Wort gemeldet. Worauf sich eine ebenso bizarre wie rüde Pressepolemik zwischen Hoffmann junior und dem nationalen Sprachretter Lex Roth im Luxemburger Wort und später auch in d'Lëtzebuerger Land entwickelte.
So als sei der vakante Posten des vaterländischen Sprachlehrers zu bekleiden, hatte Jean-Paul Hoffmann seine Überzeugung ausgedrückt, dass das Luxemburgische "se remettra des 'cures' stylistiques de M. Roth tout comme il s'est remis d'autres fléaux". Doch gleichzeitig hatte er an die Konstruktion nationaler Identität am Ende des Zweiten Weltkriegs erinnert: "C'est ce désir-là qui est à la source des âpres travaux du professeur de français et enrôlé de force que fut l'éminent linguiste luxembourgeois Robert Bruch. Et là où tant d'autres avant lui ont échoué, celui dont je me réclame l'héritier spirituel, réussit de façon magistrale."
Der mit 39 Jahren bei einem Verkehrsunfall getötete Linguist Robert Bruch lieferte1953 und 1954 in seiner Grundlegung einer Geschichte des Luxemburgischen und Das Luxemburgische im westfränkischen Kreis den wissenschaftlichen Unterbau für die wenige Jahre nach dem Krieg herrschende Ideologie: dass das Luxemburgische im Grunde gar kein richtiger deutscher oder, wie manchmal schamhaft behauptet, "germanischer" Dialekt sei. Schließlich sähen wir schon vor der zweiten Lautverschiebung vor 1500 Jahren "hier greifbar ein Ganzes von Gewohnheiten zusammenwachsen, das hier dem romanischen, dort dem germanischen Wortgut seine Züge einprägt", denn "die Franken führen 'westgermanische' Gewohnheiten ins Pariser Becken, und, mit diesen vermengt, gallo-romanische an die Mosel und den Rhein" (Grundlegung S. 48-49). Das Luxemburgische erscheint also als Brücke zwischen Deutschem und Französischem so wie Emile Mayrisch, die Ceca und später der Held von Dublin. Zum Dank gibt es heute eine Bruch-Straße auf Cents, einen Bruch-Saal im großherzoglichen Institut und ein Bruch-Gebäude in Neumünster.
Bruchs Erbschaft ist derzeit nicht zufällig heiß begehrt. Denn in ihrem Koalitionsabkommen machten CSV und DP 1999 ab: "(Le gouvernement) prendra des mesures concrètes pour une meilleure connaissance de la langue et de la culture luxembourgeoise, à savoir l'élaboration, par le Conseil permanent de la Langue luxembourgeoise, de dictionnaires luxembourgeois et plurilingues et la création, au Centre universitaire, d'une section de luxembourgeois (langue, littérature et culture luxembourgeoises); il encouragera les efforts entrepris à l'étranger pour mieux faire connaître la spécificité luxembourgeoise." Während eines Kolloquiums über Forschungspolitik im Oktober letzten Jahres hatte Kultur- und Hochschulministerin Erna Hennicot-Schoepges ein großes Projekt zur Erforschung alles Luxemburgischen angekündigt.
Das Centre universitaire bereitet derzeit die Ausschreibung der Leitung der neuen Sektion für "Luxemburgistik" vor, wie die wissenschaftliche Heimatkunde inzwischen schon genannt wird. Für Luxemburger Linguisten, die bisher leichter eine Arbeits- und Forschungsstelle in Trier als hierzulande fanden, ist dies natürlich eine Schlüsselposition. Die politisch aussichtsreichsten Kandidaten dürften europäisch gesinnte Nationalkonservative zwischen Robert Bruch und Lex Roth sein, identitätsversessen und wissenschaftlich, ohne extremistisch zu wirken.
Aber es geht um mehr als um akademische Arbeitsplatzbeschaffungsmaßnahmen. Mit dem Vorsitz über die geplante Luxemburgistik geht es auch ein Stück um die Lufthoheit über dem Zolver Knapp, der entgegen Dicks' Ansicht doch noch zu einem ganz kleinen Parnass aufgetürmt werden soll.
Denn war die Sprachforschung in der Vergangenheit in den Händen des großherzoglichen Instituts, wo Sekundarlehrer und interessierte Laien beschaulich zusammensaßen, so hat inzwischen ein Generationswechsel stattgefunden. Junge, teilweise an ausländischen Universitäten tätige Linguisten nahmen sich energisch des Luxemburgischen an. Vom großherzoglichen Institut wurde die Kompetenz auf einen durch Ministerialerlass vom 5. Januar 1998 gegründeten Conseil permanent de la langue luxembourgeoise (CPLL) verlagert - ein Wechsel, der durch die Kampagne gegen das Luxemburger Wörterbuch (1950-1977), "un ouvrage antisémite, anticlérical, xénophobe et obscène" (tageblatt, 07.11.96) erleichtert wurde.
Der CPLL tut aber weit mehr, als die Arbeit der vor einem Vierteljahrhundert aufgelösten Wörterbuchkommission wieder aufzunehmen und ihr Werk durch eine politisch korrekte Neuausgabe zu ersetzen. Denn der Ausschuss hat sich, ohne öffentliche Debatte über die politischen Absichten und Folgen, ein völlig neues Ziel für die Nationalsprache gesetzt.
Mit dem entstehenden Nationalstaat im 19. Jahrhundert war das Luxemburgische zuerst als "Lëtzebuerger Däitsch" angesehen worden, danach als deutscher und moselfränkischer Dialekt und mit dem erstarkenden nationalen Selbstbewusstsein bis zum Ende des 20. Jahrhunderts als Ausbausprache, auf halbem Weg zwischen Mundart und Vollsprache. Als Ausbausprache gehört das Luxemburgische geographisch zwar zum Westrand der deutschen Dialektkarte, aber als Kommunikationsmittel wird es auch in vielen Situationen gebraucht, in denen Sprecher anderer Dialekte auf die Hochsprache zurückgreifen würden. Doch wie Luxemburg eine Provinz ohne Metropole, so ist das Luxemburgische ein Dialekt ohne Hochsprache.
War die für die nationale Identität schmeichelhaftere Definition der Ausbausprache bisher weitgehend akzeptiert, so herrschte auch ein Konsens, dass die Weiterentwicklung des Luxemburgischen von der Ausbausprache zur in allen privaten und öffentlichen Lebenslagen mündlich und schriftlich benutzbaren Vollsprache, wie des Holländischen zu Beginn der Neuzeit, weder wahrscheinlich noch wünschenswert sei - auch wenn Luxemburg heute dieselben materiellen Möglichkeiten dazu hat wie die Niederlande des goldenen Zeitalters.
Doch gerade hier verabschiedet sich der CPLL von den Linguisten der Vorgängergeneration. Er versteht "Ausbausprache" nicht mehr, wie in der Vergangenheit, als leistungsfähigere Mundart, sondern als baldige Vollsprache. Denn der CPLL beabsichtigt, durch die Förderung mittels Kursen und Publikationen und die Normierung mittels reformierter Rechtschreiberegeln, Wörterbüchern, Wortneuschöpfungen, Korrekturprogrammen für Computer und Grammatikbüchern das Luxemburgische gezielt zur Vollsprache auszubauen. Eine Vorstellung, die ältere Linguisten mit Unbehagen erfüllt hätte - Fernand Hoffmann bekämpfte 1984 noch das Gesetz über die Nationalsprache als möglichen Auslöser eines Sprachenkriegs wie in Belgien. Selbst die Actioun Lëtzebuergesch stritt bisher eher gegen das Aussterben des Lëtzebuergeschen als für seinen Ausbau zur Vollsprache. Und auch in poltischen Kreisen war Sprachenpolitik bis zum Ende des Kalten Kriegs ein Tabu, weil liberale Gemüter "Dirigismus" auf "Bolschewismus" reimen.
Dabei erfreut sich der CPLL der kräftigen Unterstützung der rechten CSV/DP-Koalition, die die Meinung zu vertreten scheint, dass im Schengen- und Euro-Land die "Leitkultur" des Luxemburgischen den nationalen Zusammenhalt im globalisierten Standortwettbewerb und die Integration der zahlreichen Einwanderer mehr denn je gewährleisten soll. Denn nie zuvor stellte eine Regierung so viele Mittel zur Erforschung und Pflege des Luxemburgischen bereit. Premier Jean-Claude Juncker beteiligt sich eigenhändig an der Erschließung neuer Sprechsituationen für die Ausbausprache und gab vor einem Jahr erstmals dem Parlament eine Erklärung zur Lage der Nation auf Luxemburgisch ab. Ende letzten Jahres beschloss die Regierung die vermehrte Beantwortung parlamentarischer Anfragen auf Luxemburgisch. Und seit der Gründung der "Communotéit vun den onofhängege Staten" (GUS) bemüht sich RTL darum, gezielt hausgemachte Neologismen in Umlauf zu bringen - der neueste ist die "Maul- a Kloekränkt".