„Thomas gehört zu mir – wenn du das noch nicht herausgefunden hast.“ – „Nein. Denn das, was – was zwischen ihm und mir – geschehen ist, das kannst auch du nicht einfach auslöschen.“ – „Die paar Tage? Was ihr zusammen getan habt? Dieser Anflug von Wahnsinn und was weiß ich?“
Die beiden Damen, die einander so trefflich den Dialog eines schwülstigen Nachmittagsfilms an den Kopf zu werfen scheinen, sind die Protagonistinnen einer längeren Erzählung von Peter Faber aus dem Jahr 1932. Die große l’Amour handelt von einem Bildhauer, seiner treuherzigen Frau und deren bester Freundin, einer überdrehten Fabrikantentochter, die es vor lauter Langeweile und Blasiertheit auf eine Affäre mit dem Künstler anlegt. Die Ehefrau ermuntert zum Seitensprung mit der Fabrikantentochter, der womöglich kreative Kräfte wecke und aus der Schaffenskrise helfe. Mann und Freundin verlustieren sich also ein paar Wochen in einem Häuschen auf dem Land. Doch siehe: Reuevoll (und von kreativen Kräften ungemein sprühend) kehrt der Künstler zu seiner endlos verständnisvollen Angetrauten zurück, um nach einem schweren Autounfall endgültig zu erkennen, dass sie, die ihn über Monate so rührend pflegte, seine wahre Liebe ist. Der zur Bürgerlichkeit zurückfindende Freigeist – man möchte inbrünstig seufzen.
Man war allerdings gewarnt worden. Selbst der Klappentext der vom Centre national de littérature neu herausgegebenen Erzählungen, die 1939 zuerst erschienen waren, zitiert das unzweideutige Urteil von Emil Marx über Die große l’Amour: „Ein Schmarren also. Wie gesagt Courths-Mahler mit Kultur.“
Rob Zeimet zeichnet im Kommentar das Porträt eines weltoffenen, vielseitigen und sozial engagierten „Moltonaso“, wie sich Faber selbstironisch nannte. Neben den Erzählungen schrieb Faber Stücke für Laienaufführungen, Pfadfinderlieder und Musikkritiken, in denen er dem eher konservativen Luxemburger Publikum den Jazz näher brachte. Als Schriftsteller sah er sich im Übrigen selbst nicht: Er sei zu faul und habe zu wenig Talent, wie er in einem Interview mit der Zeitschrift A-Z freimütig bekundete, aus dem auch Zeimet zitiert.
Der Herausgeber beleuchtet alle Facetten von Fabers kultureller Aktivität und verwendet viel Mühe darauf, den Autor interessant und sympathisch erscheinen zu lassen. Wie gern sähe man anschließend Marx’ hartes Urteil durch die eigenen Leseeindrücke revidiert!
Doch es kommt anders: Der Kitsch, die hölzernen Dialoge und die vielen, vielen weinenden Frauen bezeugen den Dilettantismus, mit dem der Autor zu Werke ging. Viele der Geschichten wirken unfertig, die Handlung sprunghaft und die psychologische Darstellung der Figuren teilweise völlig unplausibel. In nicht wenigen der Erzählungen bemüht sich Faber um eine mehr oder weniger sorgsame Exposition einer problematischen Situation, die dann nie zur Auflösung kommt. Nach einer Reiberei nimmt beispielsweise ein Mann Reißaus vor seiner Frau, haust tagelang mit seinem besten Freund im Wald, fühlt sich befreit und gereinigt, vermisst sogar die Frau – und knutscht am Ende wild mit einer Fremden, die er über zwei Flaschen Wein in der Dorfkneipe kennengelernt hat und nun für die Liebe seines Lebens hält. Licht aus, Ende. Was aus der Frau wird, die in der Stadt auf ihn wartet und die der Autor dem Leser zuvor mit detailgenauem innerem Monolog näher gebracht hatte, das weiß der Kuckuck.
Der Kommentar verschweigt zwar nicht, dass Fabers Erzählungen einige „formale und inhaltliche Mängel“ (vgl. S. 236) aufweisen, zeigt aber nicht auf, um welche Art von Mängeln es sich dabei handelt. Ein dezidierteres Vorgehen in dieser Hinsicht wäre der Wissenschaftlichkeit der Ausgabe zugute gekommen. Auch den Vorzügen, die er Fabers Texten zuschreibt, mag man nicht vorbehaltlos zustimmen. Zeimet erkennt einen Humanisten in Faber, der den Menschen am Rande der Gesellschaft Aufmerksamkeit zukommen lasse und soziale Probleme mit einer „mitleidend distanzierten Erzählkunst“ anschneide. Diese Einschätzung verwirrt. In den Erzählungen wimmelt es von dümmlichen und gemeinen Charakteren. Ein Erzieher in einem Jungenpensionat schnippt den Schülern beim Silen-tium Rotzkrümel auf die Hefte, ein Paar entfremdet sich über einem gemeinsam gekauften Lottoschein, Verkäuferinnen halten zwei hintereinander in den Laden tretende Väter mit ihren Töchtern fälschlicherweise für Liebespaare und ergehen sich gedanklich in hämischen Kommentaren, die angetrunkenen Bewohner eines Viertels verprügeln einen jüdischen Straßenverkäufer so übel, dass er im Krankenhaus stirbt.
Eine naheliegende Idee wäre, den Erzählungen des begeisterten Musikers Faber etwas Positives abzugewinnen, indem er sie auf ihren Bezug zur Musikalität untersucht. Dabei entfaltet Faber in kleinen, auf wenige Sätze beschränkten Momenten ein ungeheures Talent für die Darstellung von Geräuschkulissen. Hervorgehoben sei beispielsweise die Beschreibung der Stadtgeräusche in Die Stimmen der Stadt – Stoff für künftige Hausarbeiten.