Ich wünsche mir einfach einen Leser,der mich zulässt,der zwischen den Zeilen lesen kann.Und mich nie fallen lässt.Auch nicht, wenn er mit mir durch ist. (S.34)
Es ist schon ein kleiner Schatz, dieses Buch von Sabrina Notka, welches Ende vergangenen Jahres bei den Éditions Guy Binsfeld erschienen ist und in dem das ABC des Buchwesens aus der Perspektive eines Buches erzählt wird. Ein Buch über Bücher also, geschrieben aus der Sicht eines Buches. Dies mag zunächst als kreatives Experiment, als originelle und lustige Idee erscheinen. Und ja, witzig ist das Buch allemal. Auf frische, humorvolle und gewitzte Art bringt Sabrina Notka dem Leser die Geschichte und Abläufe von Literatur und Buchwesen näher und macht so aus einer, für den ein oder anderen womöglich trockenen Materie ein erfrischendes Leseabenteuer, welches Lust auf mehr macht.
Ein Schmunzeln geht dem Leser mehr als einmal über die Lippen, so zum Beispiel, wenn Notka das Café als Singlebörse für Bibliophile entblößt (ein Ritterschlag für das mitgenommene Buch, denn wenn „ein Buch ein Cafébuch sein darf, hält der Leser den Inhalt für relevant genug, um sich selbst durch die Lektüre als attraktiv und gebildet auszuzeichnen“, S.96), oder das erzählende Buch vor Biblio-Arachnophobie warnt („Bitte beachten Sie, viele Bücher haben Angst vor Spinnen [...] Bücher sollten generell mit so wenig Spinnern wie möglich in Kontakt gebracht werden“, S.87, meine Hervorhebung).
Aus trockenen Fakten wird eine spannende und abwechslungsreiche Reise, die die Thematik des Buchwesens anhand von Beispielen, Anekdoten und Zitaten niederlegt. So kann sich der Leser nicht nur ein grobes Bild über das A bis Z des Mediums Buch machen – von „A wie Autorenflüsterer“ über D wie „Drucker-Zeugnisse“, bis hin zu Z wie „Zoologie der bibliophilen Tierchen“ – sondern verschiedene Aufgabestellungen ermöglichen es dem Leser darüber hinaus, eine aktive Rolle einzunehmen und selbst zum Stift zu greifen. In einem Zeitalter, in dem die Literatur scheinbar immer mehr an Bedeutung verliert und auch die Verlage versuchen, Bücher mit Hilfe digitaler Medien attraktiver zu gestalten und sich jedoch dabei immer weiter vom Medium Buch mit allen seinen einzigartigen Merkmalen entfremden, kommt eine solche Herangehensweise sehr gelegen. Bücher sollen einen für sich einnehmen, auf eine Reise mitnehmen, zum Nachdenken anregen und Fragen aufwerfen, sind sie doch „Zellstoff für graue Zellen aus dem Zellstoff grüner Zellen“. Dazu braucht es weder I-Pad noch Bildschirm (man nehme die aktuellen semi-digitalen Kinderbücher) sondern nur eine originelle Idee, einen guten Stil und eine gute Geschichte. Unter Büchern hat dies und schafft es (hoffentlich), so manch einen Lesemuffel wieder fürs Lesen und für Literatur zu begeistern.
Die Begeisterung der Autorin jedenfalls, ihre Liebe zu Büchern und Literatur ist spürbar und so mancher Bücherwurm (oder Leseratte, man nehme das Kapitel „Kleine Zoologie der bibliophilen Tierchen“) findet sich zwischen den Zeilen des Buches wieder. So muss ich mir doch ein kleines Lächeln verkneifen, wenn Notka bei einer Anekdote zu Powells City of Books schreibt: „Einkauf? Aber warum so bescheiden? Zweikauf, Dreikauf, vierhundertfacher Aufkauf, schlagen Sie zu. Mein Tipp: Planen Sie am besten mehrere Besuchstage ein und chartern Sie ein kleines Frachtflugzeug.“ (S.45).
Was Notka in ihrem Buch jedenfalls deutlich macht, ist, dass Literatur nichts Abstraktes, nichts Unpersönliches ist. Sie betitelt Buchhändler als Partnervermittler, erzählt von Liebe zwischen Buch und Leser, von angeketteten Büchern („Free the Books! Free the Books!“, S.65) und spricht davon, dass Weltliteratur „Kopf und Herz der Menschen erreichen“ muss (S.133). Klar wird: Literatur ist etwas sehr Intimes und Individuelles, denn: „Jeder Leser macht aus einem Buch ein anderes Buch. Jedes Wort, das Sie erfassen, gehört Ihnen. Sie können sich mit ihm identifizieren, es ablehnen, ihm erlauben sich tief in Ihr Herz zu pflanzen oder sich mit ihm einfach nur etwas die Zeit vertreiben. Ein Buch wird für Sie das sein, was Sie es sein lassen“ (S.19).
So benutzt Notka an einer Stelle ihres Werkes den Begriff „Buchseele“ (S.23), und dieser Begriff ist doch mehr als treffend. Ja, Bücher haben eine Seele, Bücher spenden Freude, Trost, regen zum Denken an, Stellen Tatsachen in Frage, stellen Aussagen auf den Kopf, wirbeln auf, lenken ab, entführen in andere Welten, erweitern Horizonte...
Doch Unter Büchern ist mehr als eine witzige Lektüre, ein schneller Zeitvertreib. „Ich werde Fragen aufwerfen – das machen gute Bücher so“, warnt das Buch am Anfang von Notkas Werk. Und genau das tut es. Hinter lustigen Anekdoten und bissigen Kommentaren versteckt sich eine viel ernstere Realität, die immer wieder beiläufig erwähnt oder satirisch hinterfragt wird. Es ist die Frage nach der Zukunft der Literatur. Bissige Kommentare zu E-Books, Sätze, wie „Literatur ist sowieso eine ganz gehörig schwierige Materie, Lesen ist anstrengend, macht eh keiner mehr“ (Einleitung), humorvolle Aussagen zu Daseinsängsten von Lexika („Wir müssen dem Lexikon jetzt unbedingt zuhören. Es ist emotional instabil und fühlt sich wertlos. Seit Jahren hat es keiner mehr zur Hand genommen, weil alle nur noch dieses Google fragen“, S.39), Fragen nach dem Stellenwert des Lesens („Ist Lesen nur noch eine fein dosierte Übersprunghandlung zur Versüßung allzu langweiliger Alltagsmomente? Ich fürchte ja das Schlimmste.“, S.55), Interviews zum konkurrierenden E-Book („Sofern die Leute überhaupt noch lesen“, S.69) oder Feststellungen wie die, dass es ein allgemein beobachtetes Massenphänomen ist, dass Menschen Bücher durchblättern ohne sie zu lesen (S.151), deuten allesamt auf unausweichliche Fragen hin:
Wie sieht die Zukunft des Buchwesens aus? Wie steht es mit dem Lesen in unserer digitalen Gesellschaft, in der die meisten Menschen lieber auf einen Bildschirm starren, als die Nase in ein Buch zu stecken. Hat das gedruckte Buch überhaupt noch einen Stellenwert, eine Daseinsberechtigung? Dies sind Fragen, die Unter Büchern mal direkter, mal indirekter, aber immer mit viel Witz und Humor aufwirft, und sie lassen einen nicht mehr los.
Wir leben in einer Gesellschaft, aus der das gedruckte Wort, die Literatur im klassischen Sinne, langsam zu verschwinden scheint. Unser Zeitalter ist ein Digitales, ständig starren die Menschen auf Bildschirme und Smartphones, sind permanent abgelenkt und wir leben, wie der Schriftsteller Vargas Llosas bezeichnend schreibt, in einer Gesellschaft geprägt von Sensation und Zerstreuung. In dieser digitalen und visuellen Kultur werden wir mit einer unfassbaren Anzahl von Bildern und Informationen konfrontiert, mit denen wir nur passiv umgehen können, meistens ohne einen zweiten Gedanken an sie zu verschwenden. Kein Platz ist da für Begriffe wie innere Konfrontation, kritisches Hinterfragen oder intellektuelle Autonomie. In diesem Klima hat es die Literatur im klassischen Sinne sehr schwer, das Lesen verliert an Bedeutung. Die Menschen lesen heutzutage keine Literatur, sondern Informationsblöcke, nur schwerlich kann man sich noch länger auf eine Sache, geschweige denn ein Buch konzentrieren. Wohin geht also der Trend? Kann die Literatur sich noch durchsetzen? Und wie können wir die Menschen wieder für das Lesen begeistern?
Solche Gedankengänge und Fragen werden durch ein scheinbar unschuldiges Buch aufgeworfen (doch, „Bücher sind gefährlich“, S.37). Und es wird Zeit, dass wir alle uns diesen Fragen stellen. „(Was) wird denn noch gelesen? Wo geht der Konsum hin?“ Wir müssen unsere Beziehungen zur Literatur in Frage stellen, uns fragen, in welche Richtung sich ein Medium entwickelt, welches einen mitnehmen kann, auf Abenteuer, „das in fremde Welten entführen kann.“ (S.52).
Eins ist jedoch sehr zu hoffen: Solange es Bücher gibt wie dieses; Bücher, die die Liebe zur Literatur einfangen und vermitteln können, ist zu hoffen, dass so mancher Leser – inmitten einer Welt von Bilderflut und Massenmedien – noch fürs Lesen zu begeistern ist. In diesem Sinne werden hoffentlich viele Sabrina Notkas letzte Aufgabe erfüllen: „Ich gebe Ihnen das letzte Wort. Beenden Sie mich. [...] Vervollständigen Sie diesen Satz. Schreiben Sie, was Sie fühlen: Ich liebe Bücher, weil...“