Die Zeit drängt ein wenig für die Autohändler. Bereits vergangenen Juni trat der neue Rechtsrahmen für den europäischen Autohandel in Kraft, durch den, wie auch der europäische Branchenverband Cecra findet, sich das Gleichgewicht zwischen Händlern und Konstrukteuren zu Gunsten Letzterer verlagert hat. „Die Konstrukteure entscheiden alles“, sagt Fegarlux-Präsident Ernest Pirsch. Am 31. Mai 2013 lief die Sonderregelung für die Automobildistribution von 2002 aus, die so genannte Gruppenfreistellungsverordnung (GVO), mit der der damalige EU-Kommissar Mario Monti den Wettbewerb fördern und eine EU-weite Harmonisierung der Preise herbeiführen wollte.
Dazu war es den Händlern erlaubt worden, mehr als eine einzige Automarke an einem Verkaufspunkt zu vertreiben, und wer einmal eine Zulassung als Markenhändler hatte, konnte auch andernorts ohne Erlaubnis des Herstellers weitere Verkaufspunkte einrichten. Die Monti-Regeln erlaubten außerdem den Verkauf eines Betriebes, ebenfalls ohne vorherige Zustimmung der Konstrukteure. Die GVO führte für unbefristete Konzessionsverträge eine Kündigungsfrist von zwei Jahren ein. Wenn ein Konstrukteur einem Händler die Zulassung entziehen wollte, musste er seine Entscheidung begründen, eine Begründung, die im Streitfall von einem Schiedsgericht geprüft werden konnte. All das gilt seit vergangenem Juni nicht mehr.
Obwohl die Monti-Regeln die Händler stärkten, hatten sie vor zehn Jahren gemischte Gefühle (d’Land, 13.11.2003). Denn im Gegenzug dafür, dass die Automobilkonstrukteure die Kontrolle über Größe des Verteilungsnetzes verloren, wurden „qualitative“ Kriterien eingeführt. Die Autohäuser durften mehrere Marken unter einem Dach anbieten, neue Verkaufspunkte eröffnen, ihren Betrieb verkaufen – immer unter der Bedingung, dass sie diese qualitativen Bedingungen einhielten. Das ist es, was Pirsch meint, wenn er sagt, dass die Konstrukteure alles bestimmen: „Von der Farbe der Fassade, über die Fliesen, die Lampen, ...“ Sie bestimmen sogar, welche Sessel es im Showroom gibt, erzählt Adal-Präsident Ed Goedert, beziehungsweise, ob die Kunden beim Verkaufsgespräch überhaupt sitzen oder eher an einem Verkaufstresen stehen. Die Optik des Autohauses muss jeweils mit derjenigen der Marke übereinstimmen. Wenn die Marke für eine neue Marketing-Kampagne den Look ändert, heißt es für die Autohäuser nachziehen. „1 000 Quadratmeter Fliesen ersetzen“, erklärt Pirsch, „sind da keine Ausnahme.“
Ob die Kunden mehr Autos kaufen, weil sich die Fliesengröße oder -farbe ändert? Von den Händlern verlangt das hohe Investitionen, auch weil sich die Konstrukteursbedingungen nicht auf die Markenästhetik beschränken. Sie diktieren, welche Software im Betrieb benutzt wird, setzen Standards für die Mitarbeiterausbildung und auch das Wartungsequipment ist markenabhängig. Um den Händlern ausreichend Zeit zu lassen, die Investitionen abzuschreiben, hatte Monti eine Kündigungsfrist von zwei Jahren vorgesehen. Seine GVO hatte die Konstrukteure zudem dazu verpflichtet, den Händlern die Restbestände an unverkauften Autos und Ersatzteilen abzunehmen, für den Fall, dass sie die Konzession kündigen. Für die Händler ein wichtiger Punkt, denn zwischen qualitativen Regeln und Absatzsockeln sind die Händler gezwungen, hohe Stückzahlen vorzubestellen. Aber was tun mit 50 bis 100 Autos, wenn man sie nach einer Konzessionskündigung eigentlich nicht mehr verkaufen darf?
„Wir gehen jetzt zurück auf die Situation von vor 2002“, sagt Ed Goedert. „Rechte, die logisch und legitim waren, werden uns nun wieder weggenommen.“ Ein Autohaus wie seine Firma Autopolis aufzubauen, wo er elf Marken vertreibt, wäre unter den heutigen Regeln nicht mehr möglich. Vor allem gut etablierte europäische Topmarken stellen strikte Bedingungen – Marktneulinge, beispielsweise aus Asien oder Osteuropa, zeigen sich anscheinend flexibler – für den künftigen Betrieb im Multi-Marken-Autohaus. Zum Beispiel die strikte räumliche Trennung der Verkaufsflächen. Das bringt beispielsweise mit sich, dass da, wo Kunden vorher vom Ausstellungsbereich einer Marke zum anderen schlendern konnten, nun der Weg mit einer Mauer versperrt werden muss. Oder von den Händlern verlangt wird, separate Firmen für den Vertrieb einzelner Marken zu gründen. Was, wie Ed Goedert aus Erfahrung weiß, wegen des Verwaltungsaufwands, der separaten Buchhaltung, dem Verlust der Flexibilität beim Einsatz der Mitarbeiter Zusatzkosten im fünfstelligen Bereich verursacht. Den Multi-Marken-Häusern bleibt nicht viel anderes übrig, als sich zu fügen, weil die neuen Regeln vorsehen, dass – binnen Fünfjahresverträgen – 80 Prozent der Verkäufe von der „Hauptmarke“ kommen müssen. Was heißt, dass die Entwicklung einer Nebenmarke von vornherein eingeschränkt ist. Deswegen passt sich Goedert an, gründet Sonderfirmen, baut Trennwände. Würden seine Konstrukteure, die neue Regeln à la lettre anwenden, könnte das aufgrund der Dynamik zwischen den Marken dazu führen, dass seine Verkaufszahlen gezwungenermaßen drastisch reduziert würden. Dabei gibt der Multi-Marken-Betrieb den Händlern eine gewisse Sicherheit; wenn sich eine Marke nicht so gut verkauft – vielleicht weil der Konstrukteur keine neuen Modelle entwickelt oder solche, die beim Konsumenten nicht ankommen – hat man noch ein anderes Standbein.
Auch Ernest Pirsch empfindet die neuen Regeln der EU-Kommission als U-turn. „Da kommt man nicht mehr ganz mit.“ Das alles wieder auf Anfang geschaltet wird, stimmt allerdings nicht. Denn eigentlich sind die Konstrukteure seit dem vergangenen Jahr noch allmächtiger als vor der GVO. Während sie die Kontrolle über Größe und Aufteilung des Verkaufsnetzes wieder zurückgewonnen haben, behalten sie das Recht, die qualitativen Standards zu fixieren. Ohnehin legen sie die Margen fest: Ein Teil fix, ein Teil variabel, mit von Konstrukteur zu Konstrukteur unterschiedlich anspruchsvollen Auflagen und Absatzzielen. Wer da im Wettbewerb um die Kunden noch individuelle Rabatte gewähre, riskiere schnell mit Verlust zu verkaufen, warnt Pirsch, oder eben gar nicht.
Angesichts dieser Umstände riskiere die Rentabilität in der Branche immer weiter zu schrumpfen, warnen Goedert und Pirsch, wie auch der europäische Händler-Dachverband Cecra. Gerade mal 0,9 Prozent Gewinn bleibe den europäischen Autohändlern im Schnitt von ihrem Umsatz übrig. „Ein guter Händler, ist einer, der Geld verdient, statt welches draufzulegen“, sagt Goedert. Wer drei bis 3,5 Prozent schaffe, sei ein „Top-Betrieb“. Ein Drittel der belgischen Autohändler habe vergangenes Jahr mit Verlust gearbeitet, so Goedert. Wenn solche Autohäuser nach und nach verschwinden, mache das zwar weniger Schlagzeilen, als wenn ein Konstrukteur entscheidet, einen Produktionsstandort zu schließen, stellt Goedert fest, doch in der Summe stünden mindestens so viele Arbeitsplätze auf dem Spiel.
Eine Situation, die durch die schlechte Konjunktur in Europa nicht gerade einfacher wird. Zwar gehe es den Luxemburgern Autohändlern – allein die zehn größten von ihnen beschäftigten Ende 2012 über 2 100 Mitarbeiter – im Vergleich zu den europäischen Kollegen relativ gut, meint Pirsch. Das Statistikamt Statec sieht das freilich etwas anders. Denn 2013 wurden in Luxemburg 7,5 Prozent weniger Neuwagen zugelassen als 2012. Im Durchschnitt der Eurozone sanken die Neuzulassungen hingegen nur um 5,5 Prozent.
Überraschen kann es schon, dass die EU-Kommission binnen zehn Jahren mit den gleichen Argumenten – Konsumentenschutz, freier und fairer Wettbewerb – eine politische Kehrtwende einlegt, erst die Händler, dann wieder die Konstrukteure stärkt. Zumal sie den Mitgliedstaaten die Möglichkeit lässt, über das Vertragsrecht, auf nationaler Ebene, die von ihr vorgegebenen Regeln wieder außer Kraft zu setzen. So hat das Österreich gemacht und dadurch die GVO-Regeln von 2002 auch nach 2013 aufrechterhalten. Und so hatte das auch die Mittelstandsministerin Françoise Hetto-Gaasch (CSV) vergangenen Juni geplant, als sie den Gesetzentwurf 6592 relatif aux règles spécifiques s’applicant aux accords verticaux de distribution dans le secteur automobile hinterlegte. Der sieht beispielsweise die Mindestkündigungsfrist von zwei Jahren vor, aber auch, dass die Konstrukteure die Händler für die von ihnen getätigten „Marken“-Investitionen entschädigen, wenn sie die Zusammenarbeit kündigen und die Auto- und Ersatzteilbestände zurückkaufen, zu denen sie die Händler zwingen. Doch dann gab es Neuwahlen und Hetto-Gaasch war nicht mehr Ministerin. Ihr Gesetzentwurf hängt seither in der Warteschleife. Im Februar erstellte der Konkurrenzrat dazu ein Gutachten, beanstandete darin, dass die im Gesetzentwurf vorgesehenen Schutzmechanismen sich auf den Automobilsektor beschränkten. Diese Maßnahmen gegen unausgewogene Kräfteverhältnisse in der Lieferkette müssten in allen Handelsbranchen gelten, argumentierte der Konkurrenzrat.
Dass die Vorstellungen darüber, was ein fairer und freier Wettbewerb ist, auseinandergehen, zeigt auch das Gutachten der Handelskammer, die kritisierte, dass die im Entwurf geplanten Regeln „d’ordre public“ seien, es also künftig nicht möglich sei, außerhalb dieses gesetzlichen Rahmens Distributionsverträge abzuschließen. Im neuen Wirtschafts- und Mittelstandsministerium ignoriert man beides. Denn der Staatsrat hat seinerseits keine formalen Einwände gegen den Entwurf, weshalb der zuständige Minister Etienne Schneider (LSAP) den Entwurf seiner Amtsvorgängerin unverändert in die zuständige Parlamentskommission weitergeben will. Laut Franz Fayot, Präsident der Wirtschaftskommission, werden die Abgeordneten den Entwurf aber nicht vor Ende Mai auf die Tagesordnung setzen können, weil vorher noch andere Entwürfe anhängig sind.
Für die Autohändler allerdings drängt die Zeit, weil nun ein Jahr nach Inkrafttreten der neuen EU-Regeln die Konzessionsverträge erneuert werden, in denen die Konstrukteure die Händler in die Pflicht nehmen. „Weil das Gesetz nicht rückwirkend greift, müsste es vor dem Sommer kommen, damit es die neue Verträge abdeckt“, sagt Pirsch. Und damit die Investitionen absichert, zu denen die Händler darin verpflichtet werden. Die könnten viele Kollegen nicht stemmen, ohne dafür Kredite aufzunehmen. Kredite, welche die Banken ungern geben, wenn nicht absehbar ist, ob dem Kunden binnen sechs Monaten die Konzession entzogen wird oder nicht. „Das nennt man bei den Banken Riskio-Management“, sagt Pirsch ein wenig zynisch.