Als der député-maire, Seeräuber und Sklavenhändler Sir Francis Drake sich mit einem etwas mulmigen Gefühl anschickte, entlang der Pazifikküste Südamerikas zu segeln, schrieb er ein berühmtes Gebet. Es liest sich etwa so wie die Erklärung zur Lage der Nation, die Premier Xavier Bettel am Dienstag im Parlament vortrug: Luxemburg müsse sich erneuern, nach vorne schauen und gestärkt aus der Krise hervorgehen, das Land müsse sich vorbereiten, auf die Zukunft vorbereiten, die Zukunft vorbereiten (S. 2), schließlich sei Luxemburg ein starkes Land, eine starke Nation mit vielen starken Frauen und Männern, denn Freiheit und Unabhängigkeit verdanke es diesen starken Frauen und Männern (S. 7), ein Land mit Anpassungsfähigkeit, das seinen Bestand der Bereitschaft verdanke, sich anzupassen, das keine Angst vor der Erneuerung habe (S. 9), wo sich alle zusammen für die Zukunft engagierten (S. 10), ständige Erneuerung brauche auch die Demokratie (S. 11), und angetreten sei die Regierung mit dem Ziel, das Land zu reformieren, zu modernisieren, auf die Zukunft vorzubereiten, und diese Reformen setze sie fort (S. 15), denn sie habe eine große Verantwortung vor der Zukunft (S. 17), sie wolle neue Fundamente gießen, die Bestand hätten, und sei zuversichtlich, dass es gemeinsam gelinge, das Land auf die Zukunft vorzubereiten (S. 18), denn Luxemburg sei ein Land der Erneuerung, das Krisen gemeistert habe, um gestärkt eine Zukunft aufzubauen (S. 19).
Vor einem Jahr ging schon die Rede vom „Zukunftspaket“, der „Zukunftskeess“ und der „Zukunftsabgabe“. Doch am Dienstag sprach der Premier und DP-Präsident in seiner Erklärung gleich 25 Mal von der Zukunft und genau so tautologisch wie DP-Ehrenpräsidentin Colette Flesch, die vor mehr als 30 Jahren in einer Fernsehdebatte dekretierte: „Den Avenir läit an der Zukunft.“ Wie die viel beschworene Zukunft aussehen soll, wusste Xavier Bettel allerdings nicht, und je weniger er es weiß, desto manischer redet er von ihr.
Denn die schwungvollen jungen Männer von DP, LSAP und Grünen wollen die Zukunft gepachtet haben, um die CSV alt aussehen zu lassen. Obwohl eine Mehrheit der Menschen im Land seit einigen Jahren befürchtet, die Zukunft schon hinter sich zu haben. Selbst Xavier Bettel hatte vergangenes Jahr in seiner Erklärung zur Lage der Nation gemeint, dass „das, was seit einigen Jahren als Krise bezeichnet wird, in der Zwischenzeit die neue Wirklichkeit ist“ (S. 58).
Die neue Regierung von DP, LSAP und Grünen ist eine Koalition wirtschafts-, sozial- und ökoliberaler Selbstständiger und Führungskräfte, Beamter und Angestellter, denen eine zusätzliche Anzahl Juncker überdrüssiger Wähler im Oktober 2013 provisorisch zu einer knappen Mehrheit verhalf. Doch laut den von Luxemburger Wort und RTL veröffentlichten Meinungsumfragen haben Letztere der Koalition schon wieder den Rücken gekehrt, 60 Prozent der Wahlberechtigten hätten inzwischen kein Vertrauen mehr in die Regierung und ihre Fähigkeit, die Herausforderungen der Zukunft zu meistern.
Dabei war die DP/LSAP/Grünen-Koalition unter dem Applaus von Unternehmerlobbys und Antiklerikalen zu einer liberalen Modernisierung des durch die Finanz- und Wirtschaftskrise überholten CSV/LSAP-Staats angetreten, zum Umbau des Wirtschafts- und Sozialmodells. Doch während der Statec noch zu errechnen versuchte, wie viele Steuereinnahmen der Staat durch den automatischen Informa-tionsaustausch und die Mehrwertsteuererhebung auf dem elektronischen Handel in den Kundenländern verliert, stand das Land Ende vergangenen Jahres plötzlich am Pranger, weil es im industriellen Maßstab sehr günstige Steuervorentscheide für interna-tionale Konzerne produzierte. Die Klagen gegen den Betreiber seines neuen Freihafens auf dem Findel brachten es danach zusätzlich in Verruf.
Xavier Bettel musste am Dienstag einräumen: „Die Affäre Luxleaks hat dem Image unseres Landes geschadet und es ist eine große Anstrengung nötig, um das kaputt geschlagene Porzellan zu kitten beziehungsweise zu ersetzen.“ (S. 6) Nun müsse „ein neuer, transparenterer Ansatz bei der Besteuerung von Betrieben, die sich in Luxemburg niederlassen“ versucht werden. Plötzlich will Luxemburg „ganz vorne sein, wenn es heißt, Transparenz zu schaffen und Missbrauch abzuschaffen“. So sei es dabei „von den schwarzen und grauen Listen zu verschwinden“, und noch dieses Jahr werde es voraussichtlich positiv vom Global Forum der OECD bewertet, nachdem ihm noch 2013 vorgeworfen war, dessen Regeln zu missachten (S. 6).
Wie in der viel beschworenen Zukunft das neue Geschäftsmodell aussehen wird, wenn der Wettbewerbsvorteil der „schwarzen und grauen Listen“ verschwunden ist, beschrieb der Premier nicht. Stattdessen vertraute er der Heilkraft der Unternehmensberater und der Werbebranche, die helfen sollen, „eine Strategie zur Vorbeugung und Krisenkommunikation auszuarbeiten“, und „Mittel und Wege“ zu finden, um „unseren Ruf besser zu schützen“. Man habe „erste Konzepte ausgearbeitet, wie wir unser Image verbessern können“, aber das funktioniere nur, „wenn wir auch den Weg der Transparenz konsequent weitergehen“. Denn „Image und Grundlage müssen übereinstimmen. Wir können nur positiv kommunizieren, wenn wir auch positiv handeln“, so der Regierungschef im perfekten Werbesprech.
Um „das Profil und damit die Qualitäten Luxemburgs deutlicher herauszuschälen“, werde am Nation Branding gearbeitet. Die Regierung sei also auf dem richtigen Weg: „Unser Markenzeichen müssen wir noch bestimmen; was uns ausmacht, ist aber fest definiert.“ Dem Markennamen würde auch das Ausländerwahlrecht nützen, denn es würde „ein Trumpf auf unserer Fahne, der uns auch als Wirtschaftsstandort hoch angerechnet“ würde (S. 10). Selbst die Straßenbahn werde „ein Teil des Nation Branding, der Frage, wie wir uns als Land darstellen, das zukunftsorientiert denkt und handelt“ (S. 5).
Um weiter ausländisches Kapital anzuziehen, muss das transparentere Land noch unternehmerfreundlicher werden. Die Universität sei „ein wesentlicher Punkt beim Bemühen, uns wirtschaftlich breiter aufzustellen“ (S. 4), und auch die geplante Steuerreform werde Rücksicht „auf die Besonderheiten des Wirtschaftsstandorts Luxemburg“ nehmen (S. 19). Konkreter wurde der Regierungschef auch hier nicht in seiner Erklärung, die nur noch halb so lang war wie ein Jahr zuvor.
Aber wie viel Sozialpolitik bleibt neben der ökonomischen Disziplinierung mittels eines ausgeglichenen Staatshaushalts nötig, um diese Ziele politisch durchzusetzen? Nach der Einigung mit den Sozialpartnern über eine großzügigere Regelung des Elternurlaubs konnte der Premier auch hier nicht viel Neues sagen. Die vor einem Jahr eingeführte Beschäftigungsgarantie für jugendliche Arbeitsuchende galt bisher lediglich für „über 70 Prozent dieser Leute“, und die 5 000 Arbeitsuchenden, welche die Unternehmer binnen drei Jahren mit Hilfe des Arbeitsamts einstellen wollen, bleiben ein vages Versprechen. Dafür eröffnete der Premier, dass der versprochene Mietzuschuss von 125 bis 240 Euro monatlich „in einem gewissen Sinn eine deutliche Erhöhung des Mindestlohns darstellt, ohne dass dies zu Lasten unserer Betriebe und der Wettbewerbsfähigkeit unseres Landes geht“ (S. 16). Voilà die von Unternehmerverbänden vorgeschlagene Mindestlohnbezuschussung und das auch noch ohne dass die Grenzpendler diese „direkte Hilfe, keine Geldleistung, sondern eine Sachleistung“ erhielten!
Und für den Fall, dass Werbesprech und Mietzuschuss nicht reichen, die Gegner einer Radikalisierung der politischen Mitte trotzdem zu „Fanatismus und Extremismus“ neigen, richtet die Regierung ein „Zentrum fir politesch Bildung“ ein. Vorbild ist die 1952 zur Umerziehung der Deutschen gegründete Bundeszentrale für politische Bildung.