Siegfried Kracauers kleine Ladenmädchen gingen nicht nur ins Kino. Sie hörten weder auf die Kirche, noch auf die Nazis, sondern lasen abends Groschenromane. Romanhefte aus holzigem Papier, die ihnen in industriell gefertigter Rührseligkeit von den Zuständen in den ihnen fernen oberen Kreisen erzählten.
Bis zum Zweiten Weltkrieg beherrschten die deutschen Verlage europaweit den Markt für Heftserien mit Indianer-, Detektiv- und Liebesgeschichten. Und obwohl es auch unter den Nazis Kampagnen gegen die jugendverderbende „Schund- und Schmutzliteratur“ gab, wurden „in der Zeit des ‚Tausendjährigen Reiches‘ […] ca. 111 Heftserien herausgebracht“, zählt Heinz J. Galle (Volksbücher und Heftromane, Lüneburg, 2009, Band 2, S. 187). Denn nicht nur die kleinen Ladenmädchen spürten ein Bedürfnis, aus dem Alltag von Diktatur und Krieg zu flüchten. „Eine Zunahme des Lesens von Heftromanen war von der Partei seit 1938 registriert worden. Mit Beginn des Krieges nahm die Beliebtheit der Groschenromane noch zu,“ berichtet Galle (S. 242) und wundert sich: „Das Erstaunlichste war jedoch, dass die meisten Heftreihen zwischen 1939 und 1940 starteten, also zu Kriegsbeginn!“ (S. 188).
Von dieser kriegsbedingten Konjunktur für Ablenkung profitierte nach dem deutschen Überfall auf Luxemburg auch der Verlag François Bourg-Bourger, eine 1884 gegründeten Traditionsdruckerei im hauptstädtischen Bahnhofsviertel, mit ihrer Romanserie Luxroman.
Wie es sich für das Genre gehörte, gibt es im Luxroman mehr Schauspieler, Anwälte und Schlossherren als im gesamten Reich, die einen edel, die anderen verkommen. Eine gefährlich schöne Schlossherrin verdreht mit Unterstützung eines Heiratsvermittlers aus Wien den Baronen den Kopf, um an ihr Vermögen zu kommen (Madame Blaubart). Ein Graf bezieht ein verfemtes Schloss und erweist sich als Sohn der Gutsherrin, die ihm auf dem Sterbebett ihre Stieftochter zur Frau gibt (Die Sonnenjungfer). Im Schloss eines Barons wird ein Edelsteindiebstahl aufgeklärt, bis der Kunsthändler die vermeintliche Hoteldiebin und der vermeintliche Hoteldieb die Sekretärin kriegen. Vornehme Leute rasen mit Luxuswagen quer durch Europa, wo es in Wahrheit die Wehrmachtpanzer sind. (Die Gemme der Kaiserin).
Auch die unbeschwerten Alpenurlauber sind Legion, während deutsche Soldaten Mitte 1941 die Sowjetunion überfallen. Ein bedeutender Arzt wird in einem Kurort erschossen. Seine Frau hatte eine Beziehung zu einem Künstler. Er war es nicht und stirbt trotzdem (Kilometerstein 106). Ein Fabrikantensohn erschießt einen Nebenbuhler und flüchtet in die Berge. Ein Geschäftsmann soll seine Frau bei einer Bergtour umgebracht haben. Als ein Jäger seinen künftigen Schwiegervater als Wilderer stellt, wird endlich alles gut (Sonne über den Bergen).
In den Luxromanen der kleinen Ladenmädchen spiegeln sich nicht nur ihre Träume vom sozialen Aufstieg, notfalls mittels einer Ehe mit einem Fabrikantensohn, sondern auch von ihrer Selbstverwirklichung als Frau. Eine junge Frau will unerhörterweise Radiotechnikerin werden. Sie verhilft einem Untermehrsohn zu seinem Glück und heiratet einen anderem Radiotechniker (Das blonder Radiogespenst). Meist ist die Selbstverwirklichung schmerzvoll. Eine Atomphysikerin schwankt nach Ausbruch des Kriegs zwischen der Arbeit und der Liebe zu einem Kollegen beziehungsweise einem Arzt (Liebe und Atom). Eine aufopferungsvolle Ärztin muss sich zwischen der Erforschung eines Impfstoffs und der Liebe eines Patienten entscheiden (Irrwege durch den Sommer). Oft endet der Selbstbefreiungsversuch reaktionär: Eine Waisenmädchen bekommt einen Architekten. Weil die Kinder auf sich warten lassen, entfremdet sich das Paar. Zur Erholung reist sie jahrelang umher. Doch als ihr Sohn verunglückt, finden es wieder zusammen (Florianne). Eine Professorentochter bringt es nicht zur Selbstständigkeit und wird dann von ihrem Ehemann unterdrückt. Sie flüchtet ohne ihr Kind in die Großstadt, wo sie von falschen Freunden ausgenommen wird. Sie geht ins Wasser, auch das misslingt (Liebe darf nicht sterben).
Ausnahmsweise haben die Geschichten einen direkten Zeitbezug. Dann werden sie rasch Propaganda: Dank des Naziwerks Kraft durch Freude kann sich eine Fabrikarbeiterin während des Kriegs Urlaub am Bergsee leisten. Durch ihre Schönheit und proletarische Herkunft versetzt sie die bürgerliche Urlaubsgesellschaft in Aufregung. Zur Belohnung fährt sie am Ende mit einem Rechtsanwalt nach Hause (Venus im Heu).
In einer anfänglich auf den Heftrückseiten gedruckten Eigenwerbung nannte sich Luxroman „die hochwertige Wochen-Roman-Serie“ – im Gegensatz zur Schundliteratur. Denn die Serie „bringt die spannendsten Stoffe in künstlerischer Darstellung, leuchtet hinab in die Sehnsüchte und Leidenschaften des Menschenherzens, besingt alle Seligkeiten und süssen Schmerzen der Liebe, bringt das gesunde Lachen und den Frohsinn des Herzens...“ Zu der Zeit, Ende 1941, waren bereits eine Million Juden ermordet worden und die Wannsee-Konferenz beschloss Anfang 1942 die „Endlösung“ aller Juden in Europa.
Auf der Titelseite der Hefte hieß es „Luxroman. Jeder Band ein abgeschlossener Roman“, um sich von Fortsetzungsromanen zu unterscheiden, die zum Kauf immer neuen Ausgabe zwangen, um den Fortgang und das Ende der Geschichte zu erfahren. Der Heftpreis von „25 Pfennig“ – zweieinhalb Groschen – war fast so groß und wichtig wie der Romantitel.
Die Autoren waren deutsche Serienautoren, die Dutzende oder Hunderte von stereotypen Geschichten schrieben, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Darunter eine der popurästen Autorinnen von Liebesromanen der Zeit, Anny von Panhuys. Einige waren überzeugte Nazis, wie Wilhelm Muhrmann, der unter dem Pseudonym Aja Berg schrieb. Die meisten sind unbekannte Fließbandschreiber. Manche als Luxroman abgedruckte Geschichten erschienen auch bei anderen Verlagen, manche in westdeutschen Verlagen lange nach Kriegsende.
Bourg-Bourger druckte laut Impressum zuerst in der „Alten Bahnhofstrasse“. Dazwischen meldete das Escher Tageblatt am 14. November 1941: „Auf Grund des § 1, Abs. 3 der Verordnung über Maßnahmen auf dem Gebiet des Wirtschaftslebens vom 19.2.1941, wurde der Buchdrucker Franz BOURG, Luxemburg, Alte Bahnhofstraße 40 mit sofortiger Wirkung seiner Befugnisse der Druckerei Bourg-Bourger in Luxemburg enthoben und ihm jede Tätigkeit in dem genannten Betriebe untersagt.“ Danach zog der Verlag um auf „49 Adolf Hitler-Strasse“ (Avenue de la Liberté). Die Luxromane wurden an die Firma Rudolf Sellhorst in Dortmund, Karlstrasse 5, geliefert, welche über die „Allein Auslieferung für das Reich“ verfügte.
Das in den vergangenen Jahrzehnten erwachte popkulturelle Interesse an Groschenromanen beschränkt sich auf Abenteuergeschichten; die Frauenromanserien bleiben literaturhistorisch weitgehend unerforscht. Auch in Bibliotheken finden sich kaum Hefte dieses Genre. Entsprechend dürftig ist der Wissensstand über Luxroman.
Die aus der Kriegszeit in einer Privatsammlung vorhandenen oder bibliographisch erfassbaren Hefte tragen alle Nummern zwischen 51 und 81, so als hätte die Nummerierung erst ab 50 begonnen. Wie für das Genre üblich, sind die Hefte nicht datiert. Die Geschichte in Heft 63 spielt im „Kriegsjahr 1940“, ein Exemplar von Heft 66 trägt den handschriftlichen Eintrag „meiner lb. Mutter zu Weihnachten 1941“. Danach dürfte die Serie 1941/42 erschienen sein.
In Deutschland kam es bereits „Mitte des Jahres 1941 […] aufgrund der Rohstoffschwierigkeiten zum großen Sterben vieler Broschüren- und Taschenbuchserien.“ (Populäre Lesestoffe, Köln, 2002, S. 93). Das Verordnungsblatt für Luxemburg erklärte am 7. September 1941, am 20. Februar und 29. Mai 1942 die immer einschneidenderen Bekanntmachungen über die Bewirtschaftung von Papier und Papiererzeugnissen, Karton und Pappe der Reichsstelle für Papier und Verpackungswesen auch für Luxemburg rechtsgültig. So dass Bourg-Bourger möglicherweise bald kein Papier mehr für die doch als minderwertig angesehenen Romanhefte zugeteilt wurde.
Doch anderthalb Jahre nach der Befreiung von der deutschen Besatzung kündigte am 7. Februar 1946 eine kleine Anzeige im Luxemburger Wort und im Tageblatt an: „Dé bele’wte ‚Lux Roman‘ erschengt nés. En ass ze kâfen an e puer Dég an alle Kiosken a Librairien. Messagerie Paul KRAUS, Letzebg. Tel. 48-71.“ Fast zwei Monate später hieß es dann in einer weiteren Anzeige: „De neie LUXROMAN ass do GEWITTER im PARADIES An alle Librairien se kafen. Preis: 7,50 Frang.“