Anders als beim ersten Gastauftritt am Vortag ist der Zuschauerraum am Sonntag nur spärlich besetzt. Nicht einmal zwei Dutzend Besucher blicken auf das Koordinatenfeld, das im grünen Neonlicht an der Hinterwand erstrahlt. Im Rückblick mag George Brants Grounded, eine Produktion des Schauspiels Frankfurt, nicht der Höhepunkt der laufenden Saison gewesen sein. Etwas mehr Zulauf hätte dieser fünfzigminütige Monolog, 2012 uraufgeführt, dann doch verdient.
Noch im Dunkeln der einführenden Szene werden Streichhölzer an ihrer Packung entzündet und verglühen am Boden eines Metallkübels. Es folgt ein zweites. Ein drittes folgt. Lichter erlöschen. Dann erhellt das Bühnenlicht den schmalen Bühnenraum: zwei Stühle, der Eimer und eine junge Frau, die bis zur Taille in einem Overall steckt. Mit sicherer Hand greift sie durch die Ärmel, zieht den Reißverschluss hoch bis an den Hals. Die namenlose Kampfjetpilotin produziert im Fortlauf einen Schwall an martialischen Metaphern, die ihre Berufung zur Kampfjetpilotin als Quintessenz eines pervertierten Ergebnisses aus Gleichberechtigung und Freiheitsrausch zelebrieren: „Schwierig, sich durch die ganzen Jungs durchzukämpfen bis zu mir. (...) Doch es ist der Respekt“. Sie schwärmt von den Flugeinheiten hoch hinaus, durch die Wolkendecke, im Kampf gegen die G-Kraft, hinauf ins helle Blau: „Astronauten, die haben die Ewigkeit, aber ich habe die Farbe, ich habe Blau.“
Das deutsch-luxemburgische Ensemble-Mitglied Sarah Grunert verkörpert in Brants Drama diese junge, martialische Pilotin, die in Folge einer Schwangerschaft in die als „Chairforce“ verhöhnte Einheit der Drohnenpiloten versetzt wird. Die Freiheit erlischt, der Selbstrespekt verfliegt. Sie fährt ab sofort in den „Kriegseinsatz wie zur Schichtarbeit“. Ehemann Eric setzt ihr abends das Essen vor. Verwirrt starrt sie auf das Rosa des Ponys, mit dem Tochter Sam durch fabulierte Lüfte fliegt. Tagsüber geilt sie sich nicht mehr am freiheitlichen Blau auf. Im Container inmitten der Wüste Nevadas, vor den Toren des Glücksspiel-Molochs Las Vegas, starrt sie nur noch auf das Grau in Grau eines bepixelten Bildschirms. Sie hält den Joystick fest in der Hand, bereit zum Abschuss, schlägt aber in Abstraktion des meilenweit entfernten Zielobjekts vor Müdigkeit mit der Stirn gegen die Mattscheibe. Dieses Leben ergibt keinen Sinn.
Hin und wieder sorgen dumpfe Motorengeräusche für zusätzliche Spannung, wenn sich der Monolog zum Höhepunkt zuspitzt. Die zurückhaltende Regie richtet aber jede Aufmerksamkeit auf Sarah Grunert. Sieht man einmal von ihrem gekünstelten Kraftwort „Fuck“ ab, das sie mehrfach samt Kaffeedose oder Stuhl in die Ecke drischt, überzeugt die Solo-Darstellerin in ihrer Interpretation von sicherer Positur, klarer Kante und schwelender Psychose. Das Martialisch-Burschikose an Vokabular und Körperhaltung, am Sehnigen ihres Gesichts prägt die erste Hälfte der Vorstellung.
An Komplexität gewinnt Webers Inszenierung vor allem in der zweiten Hälfte, als sich die Grenze zwischen Privatleben und Kampfeinsatz nicht mehr einwandfrei ziehen lässt. Die Mutter glaubt plötzlich zu erkennen, wie die eigene Tochter das digitale Grau ihres Drohnenbildschirms annimmt, will während des Beschusses der „Nummer Zwei“ beobachten können, wie die Zielperson ihre Sam zu umarmen versucht. Und doch: „Das Team jubelt, als meine Tochter stirbt. Als ihr Brei sich mit dem Propheten, dem Auto und dem Sand vermischt. Als ihr Brei sich mit dem Grau vermischt.“ Im Wahn möchte die Drohnenpilotin den Beschuss verhindern und landet vor dem Militärgericht: Entsetzt stellt sie fest, es gebe Götter über ihr, Militär, das jede schlummernde Macke ihrer Einsatzkräfte scanned. Die eindimensionale Kriegerin wechselt in diesen Momenten überzeugend zur komplexen Psychose, um am Ende, physisch und filmisch projiziert, die Sesselfurzer in den Büros und im Publikumsraum als Mitschuldige anzuklagen.
Brants dramatischer Aufschrei stellt diese abstrakte, sterile Kriegsführung, die ohne die technologische Entwicklung der vergangenen 20 Jahre undenkbar wäre, als Tötungsmethode bloß, die Spuren in die Psyche ihrer Anwender brennt und in ihrer Illusion eines sauberen Krieges zusätzlichen Schmutz ansammelt.
Grounded ist ein relevantes Bühnenwerk mit einer überzeugenden Solo-Performance. Die Dramaturgie gewinnt aber erst dort an Fahrt, wo die Psyche der zentralen Figur komplexer wird.