Corinne Cahen

Energiebündel

d'Lëtzebuerger Land du 08.03.2013

Corinne Cahen steht inmitten ihres neuen Schuhladen in der Oberstadt, wo sie die letzten Tage geschuftet hat, um die Eröffnung vorzubereiten. Die Chefin von Chaussures Léon – den Betrieb der Eltern hat sie 2000 übernommen und auf drei Geschäfte erweitert– trägt Jeans, ein kariertes Hemd und an den Füßen silberne Sportschuhe mit Keilabsätzen, die ihrer kleinen Statur ein paar Zentimeter hinzufügen.

Was ihr an Körpergröße fehlt, macht sie mit ihrer Energie und ihrer überschäumenden Persönlichkeit wett. Corinne Cahen redet gern und viel; diese Frau könnte einen toten Baum in ein Gespräch verwickeln. Das weiß sie selbst – „aber alles was ich sage, ist interessant“, macht sie sich über sich selbst lustig und lacht. Dass Radio-Journalistin zu werden, ihr ursprünglicher Berufswunsch war, wundert da nicht. „Radio war das, was ich immer machen wollte“, sagt sie. Ein Ziel, das sie mit Ausdauer verfolgt. Als Abiturientin ruft sie, von seinem Status als Heielei-Legende unbeeindruckt, Jean Octave an und erkundigt sich, was sie an Qualifikationen braucht, um später bei RTL arbeiten zu können. Er bietet ihr ein Praktikum an, das erste von vielen. In Straßburg, Nizza und schließlich Paris studiert sie angewandte Fremdsprachen und Journalismus. Dass sie ein Arbeitstier ist, macht sich schon damals bemerkbar. Als die Studenten in Nizza streiken und die Kommilitonen über Wochen die Uni blockieren, nutzt sie die Zeit, um in der Nachrichtenredaktion von RTL in Luxemburg Berufserfahrung zu sammeln, anstatt das milde Winterklima an der Côte d’Azur zu genießen. „Ich kann das nicht ausstehen, nichts zu tun“, meint sie schulterzuckend.

Als diplomierte Journalistin arbeitet sie erst zum Hungerlohn als Praktikantin beim internationalen Dienst für Radio France bevor sie zur Nachrichtenagentur AFP wechselt. Erste Station: Washington, wo sie an Präsident Bill Clintons Pressekonferenzen im Weißen Haus teilnimmt: „ohne Zweifel das Highlight meiner journalistischen Karriere“. Zweite Station: Den Haag, wo sie unter anderem die Verfahren wegen Kriegsverbrechen im ehemaligen Jugoslawien vor dem Internationalen Strafgerichtshof verfolgt. Doch Den Haag im Winter ist ihr zu düster, was sie so sehr bedrückt, dass sie ihre Sachen packt und nach Luxemburg – „das wollte ich nie“ – und zu RTL zurückkehrt.

Auch die Rückkehr ins Schuhgeschäft der Eltern in der Avenue de la Liberté passiert eher zufällig als geplant. Als sie für längere Zeit die Frühschicht beim Radio übernimmt und nachmittags im Leerlauf ist, beginnt sie im Geschäft der Eltern auszuhelfen, bleibt bis Ladenschluss, um tags drauf wieder in aller Früh die Nachrichten zusammenzustellen und zu moderieren. Eine Doppelbelastung, die sogar ihr irgendwann zu viel wird. Also dreht sie den Spieß um, übernimmt den elterlichen Betrieb, arbeitet fortan als freie Mitarbeiterin für Radio und Fernsehen, bis zur Geburt der ersten ihrer zwei Töchter vor acht Jahren. Dass sie ihre Leidenschaft Radio aufgegeben hat, bereut sie nicht, sagt sie heute. „Auch wenn ich mir erst beweisen musste, dass ich selbst etwas erreichen kann“, ohne Hilfe und Vorarbeit der Eltern. Und: „Ich bin in einem Schuhkarton geboren,“ sagt sie. Das Beste am neuen Job? „Die Schuhe.“ Zehn Paar hat sie zuhause im Schrank, vergleichsweise wenig, weil sie jede Saison die alten gegen neue austauscht. „Ich kann doch die Kunden nicht in alten Modellen bedienen“, erklärt sie.

Heute ist die gute Kundenberatung eine ihrer Prioritäten. Dafür sucht sie immer wieder nach gutem Personal. Insgesamt 24 Mitarbeiter beschäftigt sie in ihren drei Boutiquen. Den Druck der Verantwortung als Arbeitgeber spürt sie nach einem schlechten Geschäftsmonat, wenn sie die Löhne überweist durchaus. Oder wenn sie an die Auswirkung der Tram-Baustelle vor ihrer Ladenfront in der Avenue de la Liberté denkt. Auch deswegen hat sie die beiden anderen Boutiquen, im Centre Espace in Beggen – die ihr Lebenspartner und ehemaliger RTL-Journalist Robi Sinner* leitet – und in der Avenue de la porte neuve eröffnet. „Meistens ist das aber wieder schnell vergessen“, sagt sie und winkt zum wiederholten Mal durchs Schaufenster Bekannten zu. Davon hat sie viele. Ob es an ihrer RTL-Vergangenheit liegt, ihrer Tätigkeit als Geschäftsfrau; Corinne Cahen ist bekannt wie ein bunter Hund. Auf Facebook hat sie 2 500 „Freunde“, der harte Kern davon liest täglich ihren „Résumé vum Dag“ – eine Mischung aus persönlichen Erlebnissen und globaler Aktualität. So hat sie sich ohne Medienjob eine Zuhörerschaft aufgebaut.

Fragt man sie nach ihren größten Erfolgen, nennt sie die Zeit als Vorsitzende des hauptstädtischen Geschäftsverbands (UCVL). „Dass der Verband heute eine professionelle Struktur hat, fünf Mitarbeiter beschäftigt und seriöser Ansprechpartner für Gemeinde, Staat und Geschäftsleute ist, ist eine große Genugtuung.“ Aber zwei Mandate waren genug, da ist sie kategorisch. „Was man binnen zwei Mandaten nicht macht, macht man nie mehr. Das gilt auch für die Politik“, sagt sie mit Nachdruck. Ob das UCVL-Mandat für sie die Trockenübung für einen eventuellen Einstieg in die Politik war? Politik zu machen, ein Mandat anzustreben „schließe ich überhaupt nicht aus“.

*Robi Sinner und Michèle Sinner sind weder verwandt noch verschwägert.
Michèle Sinner
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