„Why is everyone so excited about unicorns and is this real?“, frage kürzlich ein Fernsehjournalist Mark Tluszcz, CEO von Mangrove Capital Partners. Es folgte ein sehr ernsthaftes Gespräch zwischen zwei erwachsenen Männern in teuren Anzügen darüber, wie man ein richtiges von einem falschen Einhorn unterscheidet. Das weiß eigentlich jedes Kind: Am Horn natürlich, am glitzernden Fell, an den – je nach Gattung – regenbogenfarbigen Schweif und Mähne oder den schwingenden Flügeln. Das aber meinten die beiden nicht. Gäbe es ein Wörterbuch der absurden Business-Ausdrücke, fände man unter dem Eintrag „Einhorn“ einen Verweis auf Technologie-Start-ups, die es tatsächlich schaffen, nicht nur ein populäres Produkt, sondern ein gewinnbringendes Geschäftsmodell zu entwickeln, damit die Firma zum Multimilliarden-Unternehmen auszubauen und ihre Investoren zu sehr reichen Leuten zu machen. In welchen Bereichen die nächsten Einhörner zu erwarten sind? Im Dienstleistungsbereich insgesamt, meinte Tluszcz, und in den Finanzdienstleistungen im Besonderen.
„Fintech“ heißt das Zauberwort. Es steht auch in Luxemburg hoch im Kurs. Die Fintech-Branche soll in Luxemburg ausgebaut werden, in diesem Bereich sollen in den kommenden Jahren Wachstum entstehen und Arbeitsplätze. Das ist offiziell Regierungswunsch, Teil der „digitalen Agenda“ Luxemburgs und der Bemühungen, den Finanzplatz zu diversifizieren. Luxembourg for Finance (LFF), die Werbeagentur für die Luxemburger Finanzbranche, lud vergangene Woche in Kanada unter dem Vorsitz von Finanzminister Pierre Gramegna (DP) zum Fintech-Frühstück ein, um Vertretern der kanadischen Finanzbranche zu erklären, dass Luxemburg ein wunderbarer Fintech-Standort sei.
Was unter Fintech zu verstehen ist? Da gehen die Vorstellungen ein wenig auseinander. Gramegna meinte vergangenes Jahr im Land-Interview, Fintech sei die Schnittstelle zwischen Finanzdienstleistungen und Technologien. Laurent Muller von Muller et Associés, Beratungsfirma mit einigen Fintech-Kunden, sagt: „Fintech ist eine Methode, den Kunden mittels neuer Technologien in den Mittelpunkt zu stellen.“ Mit Kunden meint er sowohl private Verbraucher als auch Firmenkunden. Nicolas Mackel, CEO von LFF, der die offizielle Fintech-Arbeitsgruppe leitet, geht von folgender Fragestellung aus: „Was brauchen wir, um in zehn Jahren noch als Finanzstandort wettbewerbsfähig zu sein?“ Fintech sind für ihn die Instrumente, „die wir brauchen, um die anderen Aktivitäten am Finanzstandort zu konsolidieren“.
So gesehen, ist „Fintech“ an sich nichts Neues, sondern nur eine neumodische Bezeichnung dafür, wie die Finanzbranche versucht, mit dem Fortschritt Schritt zu halten. Der Einsatz von Computern am Bankschalter und im Backoffice wäre ein Beispiel für Fintech-Innovationen im vergangenen Jahrhundert. Der Übergang vom Scheckbuch auf die Kreditkarte wäre ein weiteres. Deshalb überrascht es nicht wirklich, wenn KPMG in einer von LFF in Auftrag gegebenen Bestandaufnahme feststellt, dass es bereits jetzt 150 Fintech-Firmen in Luxemburg gibt, die rund 10 000 Mitarbeiter beschäftigen. Dazu gehören Firmen wie Kneip, die Finanzunternehmen helfen, ihre Berichterstattungsauflagen zu erfüllen, eine Dienstleistung, die über die Jahre von analog auf digital geschaltet wurde. Die IT-Unternehmen, die von der Branche benötigte Software entwickeln und anbieten. Und die Infrastrukturanbieter, die dem Finanzstandort Datenspeicher- und Transportkapazität anbieten, Computer, Server, Leitungen. Über ein Drittel dieser Firmen sind Software-Anbieter, hält KPMG fest, und 16 Prozent von ihnen bieten eine Technologie-lastige Dienstleistung an, ohne selbst eine Bank oder Versicherungsgesellschaft zu sein.
Fintech darauf zu reduzieren, wäre aber zu kurz gegriffen. Den Visionären schwebt unter Fintech nichts anderes vor, als die Internet-basierte Revolution, die andere Branchen schon durchlebt haben. Einhorn-Fachmann Tluszcz zieht die Telekom-Branche als Beispiel heran: Skype hat das Telefonieren billig und für jedermann zugänglich gemacht, Whatsapp das Verschicken von Textnachrichten. Die Musikindustrie hat erlebt, wie Napster, dann I-Tunes und der Abo-Streaming-Dienst Spotify ihre Geschäftsmodelle zerstört haben, weil die Kunden keine CDs mehr kauften. Amazon hat den Einzelhandel aufgemischt.
Dass die Finanzindustrie von dieser Entwicklung bisher relativ verschont blieb und sie seit schwerfälligen Online-Banking-Angeboten nichts Neues mehr entwickelt hat, liegt auch daran, dass die Branche wie kaum eine andere reguliert ist. Kapitalanforderungen, Anleger-, Investoren-, und Datenschutz sowie Geldwäsche-Bestimmungen machen aus den Banken große Tanker, die auf den schnellen Gewässern des technologischen Fortschritts nur schwer navigierbar sind. Und wahrscheinlich waren vor allem die Banken in den vergangenen Jahren eher mit der Vergangenheitsbewältigung beschäftigt als mit der Zukunftsplanung. Seit der Finanzkrise rollt die Regulierungswelle und den Banken wurden dermaßen viele neue Auflagen gemacht, dass sich ihre Bemühungen und Investitionen wohl eher darauf konzentrierten, diese umzusetzen, als innovative neue Produkte zu entwickeln oder die internen Prozesse zu verbessern.
Dennoch: Erste Ansätze dieser Demokratisierung von Finanzdienstleistungen gab es auch in den vergangenen Jahren in Luxemburg. Sogar made in Luxembourg. Crowdfunding beispielsweise – 2014 schaltete Nubs seine Webseite frei, auf der die Crowd der Internutzer im Gegenzug für Sachgeschenke Geld an heimische Projekte spenden konnte. Die Betonung liegt auf „konnte“. Ein Jahr später gibt es die Seite noch, doch einen Spenden-Button gibt es keinen mehr. Die lokale Crowd war wahrscheinlich zu klein oder noch nicht ans Konzept gewöhnt, damit sich der Erfolg einstellen konnte.
In den vergangenen drei Jahren haben sich 25 neue Fintech-Unternehmen in Luxemburg gegründet oder niedergelassen, Tendenz steigend. Denn neben lokalen Initiativen wie Nubs gibt es auch die Akteure, die mit ihrer bereits marktreifen Idee nach Luxemburg kommen. Entweder, um der hiesigen Finanzindustrie ihr Produkt feilzubieten, oder um Luxemburg als Ausgangsbasis für die Eroberung des europäischen Marktes zu nutzen, wie KPMG feststellt. Die Mehrheit der in Luxemburg ansässigen Fintech-Unternehmen gehört der Bestandsaufnahme von KPMG zufolge der ersten Kategorie an: 58 Prozent. Weitere 30 Prozent sind lokal aufgebaute Firmen, die der hiesigen Finanzbranche zuarbeiten. „Traditionelle“ Fintech-Firmen, nicht von der Art, die als „disruptive“ gelten, weil sie den Markt verändern. Doch auch davon gibt es immer mehr, stellt KPMG fest, und ihre Bemühungen konzentrieren sich vor allem auf die Bereiche der elektronischen Zahlungssysteme und der virtuellen Währungen. Man denke an Paypal und Yapital, aber auch an Digicash und Flash Iz.
Wenn die Regulierung bisher die Internet-basierte Revolution der Finanzbranche gebremst hat, könnte sich das in Zukunft ändern. „Luxembourg is pushing for deregulation for fintech companies in particular, which are mostly start-ups and don’t need much capital because they work on computers and the internet“, berichtete joins.com nach dem Besuch von Pierre Gramegna in Seoul im Januar. „The current minimum capital required for a new business is 12 000 euros, but companies considering choosing Luxembourg as a destination need not worry because the Luxembourg parliament is currently working on a bill that lowers that amount“, freute sich joins.com über die Einführung der Ein-Euro-Gesellschaft. „Fintech companies will be able to create businesses in Luxembourg with as little as one euro, the minister told Korean fintech companies.“
Doch wer würde als Kunde gerne Geldgeschäfte mit einer Firma durchführen, die ein Euro Kapital besitzt und deren Gründer mit dem Laptop im Café sitzt, um die Mietkosten für ein Büro zu sparen? Eben. Niemand. Billigfliegen wollen die Verbraucher in Europa gerne, doch das Geld fürs Ticket überweisen sie lieber vom Konto einer streng beaufsichtigten Bank – es fehlt ein wenig an der Kundenakzeptanz. Das verwundert nicht angesichts der vielen negativen Schlagzeilen, die es in den vergangenen Monaten beispielsweise aus dem Bereich der virtuellen Währungen, auch Bitcoins genannt, gegeben hat. Berater Laurent Müller weist deshalb darauf hin, dass es nicht die Firmen sind, die reguliert werden, sondern die Aktivität, die sie ausüben. „Wer Geld verleiht, muss sich an die Regeln halten, die für die Vergabe von Krediten gelten“, sagt er.
Bitcoins sind ein gutes Beispiel dafür, dass Regulierung nicht immer bremst, sondern auch zum Vorteil, genauer zum Standortvorteil, werden kann. Jean-Louis Schiltz, ehemaliger Medienminister, der sich als Anwalt auf die IT-Branche spezialisiert hat, ist voll des Lobes für die Luxemburger Finanzaufsichtsbehörde CSSF, die schon im Februar 2014 die Initiative ergriff und die Schnittstellen zwischen virtuellen und richtigen Währungen regulierte. Das habe den Anbietern Klarheit über ihr Statut verschafft. In Großbritannien habe man das Gegenmodell versucht – überhaupt keine Regulierung mit dem Ziel, möglichst viele Akteure anzuziehen – doch der Versuch sei nicht besonders geglückt.
Was Schiltz an virtuellen Währungen, beziehungsweise Zahlungssystemen interessant findet, sind die Internet-Protokolle, die dazu genutzt werden: Die Zahlungen sind augenblicklich, nicht mehr rückgängig zu machen und dokumentiert. Und deshalb günstig. Auch weil die „Zwischenhändler“ umgangen werden. Er nennt das Beispiel von internationalen Geldüberweisungen: „Mit dem Bitcoin-Protokoll fallen 50 Prozent der Kosten weg.“ Diese Neu-Erfindung der Zahlungsflüsse ist für ihn eine der wichtigen „Pisten“.
„Grosso modo“, sagt Schiltz, stimme der regulatorische Rahmen, damit Luxemburg zum erfolgreichen Fintech-Standort werden könne. Ohnehin sei die Regulierung nichts Statisches, meint Laurent Muller, sie werde ständig angepasst. Verbesserungspotenzial sieht Schiltz dennoch in zwei Punkten. Das sind einerseits die Geldwäschebestimmungen, die in Luxemburg besonders streng seien. Während in Luxemburg der Kunde in einer Finanztransaktion ab dem ersten Euro identifiziert sein müsse, werde dies in den Nachbarländern erst bei Beträgen ab 500 oder 1 000 Euro notwendig, was den Nachbarn einen Vorteil verschaffe. Andererseits ist da, was Schiltz den „PSF-Perimeter“ nennt. Für welche Art von Aktivitäten muss eine Firma über eine Zulassung als Professionel du secteur financier, mit den dazugehörigen Aufsichtsauflagen, verfügen? – so in etwa lautet die Frage, die Schiltz zufolge in der Arbeitsgruppe Fintech oberste Priorität besitzt. Muss jeder Akteur, der in der neugestalteten Zahlungskette aktiv wird, ein PSF-Statut haben, oder sollen diese Sicherheitsmaßnahmen auf die Akteure beschränkt werden, die mit kundenrelevanten Daten hantieren?
Die Regulierung ist nur einer der Faktoren, die stimmen müssen, damit das Fintech-Wunder Wirklichkeit wird. Der Zugang zur Finanzierung für junge Unternehmen ist ein ganz wichtiger Punkt, vergangenes Jahr wurden weltweit drei Milliarden Dollar in Fintech-Firmen investiert, ein Betrag, der laut KPMG bis 2018 auf sechs bis acht Milliarden Dollar ansteigen soll. Am Wagnis-Kapital fehlt es im Vergleich zu anderen Standorten, die um die Fintech-Start-Ups buhlen. Der Luxembourg Future Fund, der diese Woche endlich Realtität wurde, könnte Abhilfe schaffen, meint Laurent Müller. Doch was das Silicon Valley an Finanzierungsmöglichkeiten bietet, fehlt ihm an Nähe zur Finanzbranche – die Kunden, sitzen in New York, London oder beispielsweise Luxemburg. Am Personal fehle es nicht unbedingt, meint Müller. Der Fintech-Unternehmer ist seiner Erfahrung nach kein junger Hochschulabsolvent mit Programmierer-Fähigkeiten. Eher jemand mit Berufserfahrung in der Finanzbranche, der dort eine Lücke entdeckt habe, die er oder sie mit einer neuen Dienstleistung schließen möchte. Unternehmer mit Familie, denen auch Luxemburg einen attraktiven Lebensrahmen und Lebensqualität biete.
Jean-Louis Schiltz glaubt an den Ausbau der Fintech Branche in Luxemburg. „Wirklich!“, unterstreicht er. „Wenn die Akteure, die ich sehe, sich entwickeln, sind das auch solche, die tatsächlich Personal einstellen werden“, sagt er. Er sieht die Aktivitäten als komplementär zum „traditionellen Bankgeschäft“. Doch wenn Laurent Müller vom „Chat mit dem Bankier“ redet, der in Zukunft den Gang in die Bankfiliale überflüssig machen wird, stellt sich nicht nur die Frage, wie viele neue Arbeitsplätze durch Fintech geschaffen werden, sondern auch die, wie viele dadurch im alteingesessenen Finanzgeschäft abgebaut werden. Zumal viele der Fintech-Firmen mit ihren Dienstleistungen den Banken in einigen Geschäftsfeldern das Territorium streitig machen wollen. Doch am Kerngeschäft, dem Verwahren von Kundeneinlagen, rüttelt bisher niemand. Das ist aber in Niedrigzinszeiten wenig lukrativ für die Banken und verursacht in der Kundenbetreuung und der IT-Infrastruktur Kosten. So stellt die Entwicklung der Fintech-Branche zunehmend das Geschäftsmodell der traditionellen Banken in Frage. Ob es aber eine Alternative gibt? „In fünf Jahren wird die Finanzdienstungslandschaft dramatisch verändert haben“, so Mark Tluszcz.