„Because Luxembourg’s exemplary European society is based on equity, cultural tolerance, economic stability, responsive government and manageable size, the country is a powerful proving groud for circularity. It’s heritage of quality and its service-based economy allow leveraging of skills to take advantage of the embedded growth potential. The likely benefits for Luxembourg are considerable. The starting position is excellent.“ Es klingt fast wie ein Märchen, was die Autoren der vom Wirtschaftsministerium in Auftrag gegebenen Studie über die Kreislaufwirtschaft in Luxemburg schreiben. „Das Wirtschaftsministerium ist bereit, sich der Herausforderung des intelligenten Wachstums zu stellen“, so Staatssekretärin Francine Closener (LSAP) am Montag bei der Vorstellung der Studie in der Handelskammer. Sie konnte zudem gute Neuigkeiten verbreiten: Bereits jetzt seien zwischen 7 000 und 15 000 Stellen in Luxemburg der Kreislaufwirtschaft, der Économie circulaire, zuzuordnen.
Dass Luxemburg bereits jetzt ein kleines ökologisch-wirtschaftliches Paradies sein soll, das gut mit seinen Ressourcen haushaltet, mag jene überraschen, die das Land bisher eher als Insel der glückseligen Überverbraucher eingestuft hatten. Noch mehr Verwunderung dürfte die Feststellung auslösen, dass Unternehmen wie Arcelor-Mittal oder der Glashersteller Guardian, die ansonsten als Schadstoff- und Klima-Sünder gelten, zu den Vorzeigeunternehmen der Kreislaufwirtschaft in Luxemburg gehören.
Nachvollziehbar wird das erst, wenn Christian Tock vom Wirtschaftsministerium erklärt, worin der Unterschied zwischen einer nachhaltigen Wirtschaft und der Kreislaufwirtschaft besteht – abgesehen davon, dass „nachhaltig“ als Begriff abgenutzt und „Kreislaufwirtschaft“ modern ist. „Bisher wurde gesagt: ‚Macht weniger Schlechtes.’ Jetzt sagt man: ‚Tut Gutes, dann könnt ihr davon machen, so viel ihr wollt.’“ Dass das tatsächlich mehr als eine theologische Formel sein könnte, zeigt das konkrete Beispiel der Plastikverarbeitung, in der viele Zusatzstoffe zum Einsatz kommen. Viele davon sind gesundheits- und umweltschädlich. Deshalb gibt es Obergrenzen für ihren Einsatz, es darf nur wenig davon verarbeitet werden, um negative Folgen zu verringern. In einer Kreislaufwirtschaftsoptik würde man das Problem anders angehen: Man würde nach nicht-schädlichen Zusatzstoffen mit den gleichen Eigenschaften suchen, um die Schadstoffe zu ersetzen. Dann bräuchte es keine Obergrenzen. Darüber hinaus wäre das Produkt von vornherein so konzipiert, dass es nach seiner Erstverwendung als Komponente für ein anderes Produkt dienen kann. Darin, so Tock, unterscheide sich die Kreislaufwirtschaft auch vom klassischen Recycling-Modell. Da wird der Müll zwar getrennt und sortiert, aber die Überlegung, was mit den so gewonnenen Wertstoffen Neues gemacht werden kann, beginnt erst am Ende der Lebensphase eines Produkts, nicht am Anfang.
So kommt Arcelor-Mittal auf die Positiv-Liste der Kreislaufwirtschaft. Der Konzern verarbeitet in den Elektrostahlöfen Schrott zu neuem Stahl. Er vermietet darüber hinaus Spundwände, die er, wenn sie nicht mehr einsetzbar sind, zurücknimmt und wieder einschmilzt. „Das hat den Vorteil, dass Arcelor-Mittal die Inhaltstoffe der eigenen Produkte genau kennt. Dadurch ist es einfacher, die Qualität aufrechtzuhalten“, so Tock. Wo genau die Autoren der Studie von EPEA Internationale Umweltforschung GmbH, die 7 000 bis 15 000 „zirkuläre“ Jobs ausfindig gemacht haben, ist auch in der 500-seitigen ungekürzten und unveröffentlichten Studie nicht aufgeschlüsselt, sagt Tock. Doch wenn der größte private Arbeitgeber im Land als „zirkulär“ eingestuft wird, werden die auf den ersten Blick beeindruckenden Zahlen nachvollziehbar.
Die Stahlbranche ist aber auch aus anderer Ursache ein gutes Stichwort. Denn seit die Minette-Vorräte aufgebraucht sind, ist Luxemburg ein rohstoffarmes Land, dessen Industrie- und Herstellerbetriebe vom Import von Wertstoffen zur Verarbeitung abhängig sind. Deshalb ist es kein Zufall, dass der Fokus der Studie auf Materialen liegt. Wie Romain Poulles, Vorsitzender des Ecoinnovation Clusters, am Montag sagte, könnte der Umstieg auf die Methoden der Kreislaufwirtschaft den Luxemburger Unternehmen Kosteneinsparungen zwischen 300 Millionen und einer Milliarde Euro jährlich einbringen. Ein solcher Umstieg sei deshalb eine wirtschaftliche Notwendigkeit, so die Feststellung am Montag: Es geht um Wettbewerbsfähigkeit.
Weshalb aber, wenn die Einsparmöglichkeiten dermaßen groß sind, steigt die Wirtschaft dann nicht von selbst um, sondern muss die Kreislaufwirtschaft von öffentlichen Instanzen dekretiert werden? „Das Interesse ist groß“, sagt Tock. Für die Studie wurden zahlreiche Interviews durchgeführt. „Aber das große Problem ist: Die Betriebe wissen nicht immer, wie sie das umsetzen sollen.“ Das liegt auch daran, dass es im Moment noch keine einheitliche Definition davon gibt, was die Kreislaufwirtschaft tatsächlich ist. Die EU-Kommission hat kürzlich unter großem Protest des Europaparlaments und der EU-Mitgliedstaaten – auch Luxemburgs – ihren Richtlinienvorschlag zurückgezogen und will vor Jahresende, also während der Luxemburger Ratspräsidentschaft, einen neuen vorlegen.
„Es ist ein Lernprozess sowohl für uns“, sagt Tock, der dem Steuerungskomitee Économie circulaire angehört, „als auch für die Unternehmen.“ Nach dem „Kick-Off-Meeting“ der Luxemburger Kreislaufwirtschaft am Montag sollen deshalb verschiedene Pilotprojekte unter Aufsicht des Steuerungskomitees durchgeführt werden. Ein gutes Dutzend stellte Poulles vor. Beim großen Rahmenprojekt geht es darum, überhaupt erst einmal Daten über Import, Export und den „Lagerbestand“ an Materialen und Wertstoffen in Luxemburg zu sammeln. Einiges vor hat das Steuerungskomitee auch in punkto Bauen. Denn Bauschutt bildet den Löwenanteil der in Luxemburg produzierten Abfälle. Deshalb sollen die Abrisstechniken in Pilotprojekten so verfeinert werden, dass die gewonnenen Wertstoffe bestmöglich wiederverwertet werden können. Für Camille Gira, grüner Staatssekretär im Umweltministerium, geht das Problem aber weit darüber hinaus. Denn wirklich problematisch sind seiner Meinung nach die Millionen Kubikmeter Erde, die bei Erdaushubarbeiten entstehen. Deshalb müsse man darüber nachdenken, wie in Zukunft anders gebaut werden könne. „Statt eines vierstöckigen Parkhauses im Untergeschoss des Supermarktes, muss das Parkhaus vielleicht auf das Dach gebaut werden“, sagt Gira.
Anders Bauen ist überhaupt ein großes Thema für die Kreislaufwirtschaft. Nicht nur, was die Entwicklung neuer Baustoffe betrifft, sondern auch konzeptuell gesehen. Auf dem Bau der Zukunft, erklärt Tock, sei es vorstellbar, dass das Grundstück dem Eigentümer gehöre, die verbauten Elemente, wie beispielsweise Fenster, hingegen geleast seien. Die Heizung und Lichtanlagen gehörten auch nicht dem Bauherrn; Wärme, Kälte, Licht würden via Dienstleistungsvertrag bezogen. Beim eventuellen Abriss würden die gemieteten Einzelteile, zurück zum Vermieter gehen, der sie an anderer Stelle wieder einbauen und weiternutzen könne.
Konzepte, die eine ganze Reihe von Fragen aufwerfen, was Bilanzführung und Finanzierung betrifft. Wie sollen Wertstoffe, die ein Gebäude enthält, das in der Firmenbilanz über Jahre abgeschrieben wird, berücksichtigt werden? Auf welcher Grundlage kann eine Bank einer Firma die Fenster vermietet, theoretisch also hohe Lagerbestände besitzt, aber nur wenig verkauft, einen Kredit geben? Um diese Fragen zu beantworten, wurde die Beratungsgesellschaft KPMG beauftragt, mit anderen Akteuren der Finanzbranche über die finanziellen Aspekte der Kreislaufwirtschaft nachzudenken und Lösungen zu finden.
Trotz Kick-Start durch Francine Closener und Camille Gira und einem konkreten Zeitplan – 18 Monate für die quick-wins, 36 Monate für die mid-term-wins und 80 Monaten für die big-wins – hat der Regierungsrat der Écononmie circulaire kein formales Endorsement gegeben. Im Laufe der Piloteprojekte sollen eventuelle Barrieren für die Entwicklung der Kreislaufwirtschaft identifiziert werden, erklärt Christian Tock. Beispielsweise die Kategorisierung von Abfällen – müsse die geändert werden, trete der Gesetzgeber auf den Plan. Neue Bauvorschriften wären ein weiteres Beispiel. Camille Gira nannte am Montag auch das Steuermodell, das derzeit vor allem den Faktor Arbeit belastet. Über alternative Modelle könnte während der geplanten großen Steuerreform diskutiert werden, so Gira. Denn neben den Vorteilen für Umwelt und Wettbewerbsfähigkeit soll die Kreislaufwirtschaft auch dazu beitragen, neue Arbeitsplätze zu schaffen. Ein Potenzial von bis zu 2 300 neuen Stellen haben die Studien-Autoren identifiziert. Diese neuen Stellen sollen von wenig qualifizierten jungen Arbeitslosen besetzt werden können. Die meisten von diesen Stellen, sieht man im Detail der Studie, sollen durch besseres Recycling von Bauschutt entstehen, beziehungsweise durch die Reparatur- und Wiederverwertung von Abfällen in Produktionsbetrieben. Das klingt vielversprechend, ist angesichts der Zahlen des Luxemburger Arbeitsmarktes allerdings ein relativ bescheidenes Ziel. Zwischen Juni 2013 und Juni 2014, also binnen eines Jahres, entstanden beispielsweise 8 500 neue Stellen – netto. Wie also belegen, dass neu geschaffene Stellen auf den geplanten Vormarsch kreislaufwirtschaftlicher Konzepte zurückzuführen sind? Um dies zu messen, räumt Christian Tock ein, fehlen derzeit die Indikatoren. Aber die Kreislaufwirtschaft wurde ja auch erst am Montag ins Rollen gebracht.