Luxemburg habe in puncto Deontologie im Vergleich zum Ausland einigen Nachholbedarf, und das auf allen Ebenen, stellte Alex Bodry (LSAP) am Mittwoch nach der Sitzung des Parlamentsausschusses der Institutionen fest, der kurz zuvor einen Ethikkodex für Abgeordnete besprochen hatte. Er sei froh, fügte der LSAP-Präsident hinzu, dass man diesen Kodex nicht à chaud ausarbeiten müsse, während ein Parlamentarier in einen größeren Skandal verwickelt sei. Denn Texte, die als Reaktion auf solche Situationen entstünden, seien niemals gute Texte, so Bodry. Was also ist von den Vorlagen zu halten, die aktuell im Gespräch sind? Nicht nur für das Parlament, sondern auch für die Regierung, die vergangenen Freitag ihrerseits eine Vorlage für einen Ethikkodex für Minister verabschiedete und dem Projekt für ein großherzogliches Reglement, das als Teil der Reform des öffentlichen Dienstes umgesetzt werden soll? Schließlich sind die Texte eine Reaktion auf die Affäre Wickringen-Liwingen, in der Vorwürfe der Korruption, Einflussnahme und Druckausübung auf allen Ebenen im Raum standen.
Minister François Biltgen (CSV), Justizminister, hütet die Details des Textes, den er ausgearbeitet hat, bis zu seiner Pressekonferenz kommenden Dienstag wie den Heiligen Gral. Sie soll, sagte Paul-Henri Meyers (CSV) am Mittwoch, via Gesetzesvorlage ins Parlament eingebracht werden. Hauptpunkte des neuen Ethikkodexes für Regierungsmitglieder sind die Transparenzvorschriften in Bezug auf die finanziellen Interessen und Geschenke einerseits und neue Regeln für die Zeit nach dem Amtsaustritt andererseits. Beides soll im Kabinett zu angeregten Diskussionen geführt haben. Künftig sollen Minister ihre finanziellen Interessen offen legen und angeben welche Mandate sie in Wirtschaft-, Politik- und Gesellschaftsleben in den zehn Jahren vor Amtsantritt bekleidet haben. Informationen, die nebst ihrem Lebenslauf auf der Webseite der Regierung veröffentlicht werden sollen. Zusätzlich sollen sie die Interessen ihrer Partner identifizieren, was nicht allen Ministern gefallen haben soll, deren Partner eine aktive wirtschaftliche Rolle spielen. Davon gibt es einige. Der Ehemann von Mittelstandsministerin Françoise Hetto-Gasch ist Administrateur délégué des Planungsbüros Luxplan, das um öffentliche Aufträge konkurriert. Die Ehefrau von Finanzminister Luc Frieden ist Juristin bei der niederländischen Bank ABN Amro. Kulturministerin Octavie Modert (CSV) posiert auf der Webseite des Domaine Stronck-Pinnel als aktives Mitglied im familiären Winzerbetrieb.
Dabei bleibt abzuwarten, welche Folgen diese neue Transparenz haben wird. Etwa bei der Regierungszusammensetzung und der Ressortverteilung. Die Winzerin Modert war in der vergangenen Legislaturperiode Staatssekretärin im Landwirtschaftsministerium und damit auch für das Ressort Weinbau zuständig. Ob es solche Kombinationen in Zukunft noch geben wird? Oder in solchen Situationen ein potenzieller Interessenkonflikt vermutet wird, den man von vornherein umgeht? Ungeklärt bleibt außerdem, wie es mit den Interessen im weiteren Familienkreis von Ministern steht. Beispiel Claude Wiseler (CSV): Der Bautenminister und die Bauunternehmer Paul und Marc Giorgetti sind Cousins zweiten Grades – ein Umstand, der auch ohne konkrete Vorwürfe der Bevorteilung nicht ganz glücklich ist.
Dass sich die Regierung nun Pantouflage-Regeln geben will, kann sicher als Fortschritt gewertet werden. Aber auch sie sind ein Kompromiss zwischen ethischen Ansprüchen und Realitäten. Biltgens ursprünglichen Vorschlag, Minister nach Amtsende für zwei Jahre gar nicht im Bereich ihres vorherigen Ministerressorts arbeiten zu lassen, hat das Kabinett nicht zurückbehalten. Wo würde beispielsweise der Finanzjurist und aktuelle Finanzminister mit Zuständigkeit für die Finanzbranche Luc Frieden eine Anstellung suchen, wenn nicht als Finanzjurist? Wo würde der Ökonom und Wirtschaftsminister Etienne Schneider, falls er nicht als Beamter ins Ministerium zurückkehren würde, einen Job finden?
Weil man aber solche Minister nicht zwei Jahre lang voll bezahlen will, damit sie zu Hause bleiben, sieht der Kompromiss wie folgt aus: Ehemalige Regierungsmitglieder sollen im Prinzip nicht binnen einer Zweijahresfrist innerhalb ihres Ressorts in die Privatwirtschaft wechseln, es sei denn, sie haben dort auch vorher gearbeitet. Was im genauen Fall zulässig ist, und was nicht, soll eine noch zu gründende Kommission entscheiden, deren Gutachten allerdings nicht bindend sind. In keinem Fall dürfen Minister ihre Position nutzen, um sich Jobs oder Mandate in der Privatwirtschaft zu verschaffen und, einmal gewechselt, die Beziehungen zu ihren ehemaligen Beamten nutzen, um ihrem neuen Arbeitgeber Vorteile zu verschaffen. Der Fall Jeannot Krecké (LSAP), Ex-Wirtschaftsminister, der sich nach seinem Rücktritt als Wirtschaftsberater selbstständig gemacht hat, wäre beispielsweise ein Fall für die neue Kommission gewesen. Weniger wegen seines Aufsichtsratsmandates bei Arcelor-Mittal, das er auch jetzt noch im Auftrag der Regierung wahrnimmt. Sondern mehr aufgrund der Beratungsaufträge, die er eventuell durch die während der Ministerzeit geknüpften Kontakte erhalten könnte.
Biltgens Kodex regelt auch die Frage von Geschenken und Einladungen und unterscheidet zwischen zwei Kategorien; den offiziellen Geschenken einerseits und Zeichen der Gastfreundschaft andererseits. Ursache: Wem als Minister bei offiziellen diplomatischen Anlässen mehr oder weniger schöne Mitbringsel oder Gastgeschenke in die Hand gedrückt werden, kann schlecht fragen, wie viel sie gekostet haben, bevor er oder sie entscheidet, ob sie angenommen werden dürfen oder nicht. Für „Zeichen der Gastfreundschaft“ wurde ein Limit von 150 Euro fixiert, genug, um die Kosten eines Mittag- oder Abendessens oder ein paar Flaschen Wein abzudecken, die vor allem um Weihnachten ungefragt eintreffen. Daneben sollen die Minister angehalten werden, auch auf privater Ebene darauf zu achten, dass sie sich nicht durch übermäßige Geschenke oder Einladungen belastbar machen.
Parlamentarier Die Arbeitsgruppe um Paul-Henri Meyers hat sich bei ihrer Vorlage für einen Ethikkodex stark an den Richtlinien für Europaparlamentarier orientiert. Das gilt vor allem für die neuen Offenlegungspflichten, was die Nebeneinkünfte betrifft. Die Parlamentarier sollen sehr viel genauer als bisher und mit Angabe der Größenordnung über eventuelle Nebeneinkünfte aber auch über unbezahlte Mandate informieren. Anders als die Minister werden sie die Interessen ihrer Partner nicht veröffentlichen. Die strengeren Regeln kommen nicht von ungefähr. Denn wirklich detaillierte numerische Angaben über seine Einkünfte macht aktuell nur der Vorsitzende der LSAP-Fraktion Lucien Lux – allerdings erst seit der Polemik über sein Verwaltungsratsmandat beim Radrennstall Leopard-Trek von Unternehmer Flavio Becca vor zwei Jahren. Auch die Abgeordneten wollen in Zukunft zwischen offiziellen und inoffiziellen Geschenken unterscheiden, legen ebenfalls als Höchstgrenze für annehmbare Aufmerksamkeiten 150 Euro fest, was darüber hinausgeht, muss abgelehnt werden. Paul-Henri Meyers kündigte am Mittwoch an, das Parlament werde seine Verhaltensregeln ins Kammerreglement aufnehmen. Demnach könnten Verstöße konkret sanktioniert werden, im schlimmsten Fall mit dem Entzug des Mandats. Der Ausschuss der Institutionen hat sich darauf geeinigt, die Definition von Interessenkonflikten des Europaparlaments zu übernehmen, verbietet diese aber in ihrer Textvorlage nicht. Vielmehr sollen die Parlamentarier selbst in die Pflicht genommen werden, Interessenkonflikte zu identifizieren und zu lösen. Auch für sie soll eine externe Kommission eingeführt werden, an die sich Abgeordnete im Zweifelsfall wenden können.
Zum konkreten Fall wollten sich die Ausschuss-Mitglieder am Mittwoch nicht äußern. Beispiel Michel Wolter (CSV): Er legt in seiner Transparenzerklärung offen, dass er Mitglied einer ganzen Reihe von Verwaltungsräten ist, darunter Versicherungsgesellschaften. Ist es also ein Interessenkonflikt, wenn Wolter im Finanzausschuss an Gesetzesvorlagen über die Versicherungsbranche mitarbeitet und darüber im Plenum abstimmt? Würde das externe Komitee mit dieser Frage befasst, könnte es sich dazu äußern, so die vage Antwort der Ausschussmitglieder. Sie warnten am Mittwoch vor Übereifer: „Nicht dass sich nachher Gewerkschafter bei Abstimmungen im Bereich des Arbeitsrechts enthalten müssten.“ Dabei geht eines der flagrantesten Beispiele für die Interessenvermischung bei Abgeordneten auf das Konto der Gewerkschafter. Vor fast vier Jahren war der LCGB-Mann und CSV-Abgeordnete Ali Kaes Berichterstatter über das Gesetz zur Reform der Beschäftigungsinitiativen, während er gleichzeitig Verwaltungsmandate bei den LCGB-nahen Beschäftigungsinitiativen inne hatte. Auch andere Gewerkschafter mit ähnlich gelagerten Interessenkonflikten waren an den Arbeiten im zuständigen Ausschuss beteiligt und stimmten mit ab.
Für sich selbst sehen die Abgeordneten keinen Bedarf, Pantouflage-Regeln einzuführen. Wie Félix Braz (Déi Gréng) am Mittwoch erklärte, würden die Abgeordneten, anders als Minister und Beamte, im Rahmen ihres Mandats kein Insiderwissen über spezifische Firmen erlangen, das sie sich nach einem Wechsel in die Privatwirtschaft zunutze machen könnten. Dass sie im Rahmen der Arbeiten in den Ausschüssen in den Besitz privilegierter Informationen gelangen – Beispiel: Geheimdienstkontrollausschuss – lässt er nicht gelten. Regierung und Parlament wollen ihre Ethikregeln spätestens bis zum 1. Januar 2014 in Kraft setzen.
Beamte Der Vorentwurf für ein großherzogliches Reglement über die deontologischen Leitlinien im öffentlichen Dienst ist seinerseits Teil der großen Reform des öffentlichen Dienstes insgesamt. Darin werden die Grundwerte der Fonction publique ausformuliert: Legalität, Integrität, Unbefangenheit, Loyalität, Neutralität, Vertraulichkeit, Würde und Höflichkeit, das öffentliche Interesse als Priorität und Professionalität. Unter Letzterer verstehen die Autoren beispielsweise, dass ein Beamter die Aufgaben ausführt, die ihm aufgetragen werden. Anders als Minister und Parlamentarier dürfen Beamte laut der geplanten Ethikregeln gar keine Geschenke annehmen. „Cette interdiction inclut notamment la participation gratuite ou à prix réduit à un voyage (...)“. Artikel 21 bis 23 sind es, mit denen die Pantouflage-Praxis bei Beamten unterbunden werden sollen. So dürfen auch Beamte nicht von ihrer Stellung profitieren, um sich einen Job in der Privatwirtschaft zu besorgen, und müssen vermeiden, wegen der Aussicht auf eine neue Stelle in einen Interessenkonflikt mit ihrem öffentlichen Auftrag als Beamte zu geraten. Ist der Wechsel einmal vollzogen, dürfen sie weder als Beamte erlangte vertrauliche Informationen preisgeben, noch Gefallen von früheren Kollegen einfordern, die ihrerseits keine gewähren dürfen. Doch wie sollen Ex-Beamte, denen kein Disziplinarverfahren gemacht werden kann, bestraft werden, wenn sie dennoch privilegiertes Wissen aus ihrer Beamtenzeit nutzen? In der Vorlage zur Reform des öffentlichen Dienstes wird ein neuer Artikel 15bis eingeführt, der vorsieht, dass Beamte, die aus dem öffentlichen Dienst ausscheiden und binnen drei Jahren in die Privatwirtschaft wechseln, vom Comité de prévention de la corruption (Copreco) prüfen lassen, ob ihr Wechsel problematisch ist. Kommt das Copreco zum Schluss, dass dem so ist, kann es Einwand gegen den geplanten Karriereschritt einlegen. Firmen oder Ex-Beamten, die sich nicht an die Copreco-Weisung halten, drohen administrative Strafen zwischen 250 und 250 000 Euro.