Luc Frieden (CSV), der große Sparapostel vor dem Herrn, gab am Dienstagvormittag vor dem parlamentarischen Finanzausschuss reumütig zu, dass er mit seinem am 2. Oktober hinterlegten Haushaltsentwurf für 2013 nicht drastisch genug hatte sparen wollen. Die beiden ehemaligen Gewerkschaftsfunktionäre Marc Spautz (CSV) und Lucien Lux (LSAP) meldeten am Dienstagnachmittag stolz, dass sie die Regierung gezwungen hatten, drastischer zu sparen. Regierungschef Jean-Claude Juncker (CSV) hatte am 5. Oktober die Vorwürfe aller Fraktionen zurückgewiesen, dass die Regierung nicht drastisch genug spare – und gleichzeitig einen Ideenwettbewerb für zusätzliche Sparvorschläge ausgelobt.
Ein solcher Rollentausch wäre nicht nur den Griechen, Spaniern oder Portugiesen schwer zu erklären, die derzeit mit den Gewerkschaften gegen die Sparpolitik ihrer Regierungen demonstrieren. Auch die Herren Frieden, Spautz und Lux waren nicht in der Lage, der Öffentlichkeit eine überzeugende Erklärung für das zu liefern, was sie als ganz normalen parlamentarischen Vorgang darzustellen versuchten, in Wirklichkeit aber eher an die Fronde des französischen Adels gegen die hoch verschuldete Monarchie im 17. Jahrhundert erinnerte. Denn selbstverständlich ging der Streit zwischen den angeblich sparwilligen Mehrheitsabgeordneten und der angeblich sparunwilligen Regierung nicht um die Frage, ob gespart werden soll, sondern wer sparen muss.
Denn die Konjunkturaussichten für das nächste Haushaltsjahr haben sich stetig verschlechtert. Geht der am 2. Oktober hinterlegte Haushaltsentwurf für 2013 noch von einem Wirtschaftswachstum von 1,7 Prozent aus, so rechnete das Statec nur zwei Wochen später, am 16. Oktober, dem parlamentarischen Finanzausschuss vor, dass bloß 0,5 bis ein Prozent zu erwarten sei. Wobei die geplanten Sparmaßnahmen auf Kosten der Kaufkraft und Investitionsfähigkeit ihrerseits das Wirtschaftswachstum um 0,3 bis 0,5 Prozentpunkte senken könnten. Die Folgen sind niedrigere Steuereinnahmen und höhere Sozialausgaben, also ein zunehmendes Staatsdefizit.
Deshalb rang sich die Regierungsmehrheit etwas hilflos in sechs Monaten drei Sparpakete ab: am 27. April, am 2. Oktober und schließlich am 6. November. Sollten im April 535 Millionen gespart werden, so stieg der Betrag im Oktober nach Berechnungen des Statec lediglich um 82 Millionen auf 617 Millionen an. Auf mehr hatten sich die Regierungsparteien auch nach einer Klausur Anfang September in Senningen nicht einigen können. Denn Sparen ist, wie alles Haushalten, immer auch Umverteilen. Die Koalition wurde sich jedoch nicht einig, auf wessen Kosten gespart werden sollte: Haushalte oder Betriebe, Steuerzahler oder Bezieher von Sozialleistungen.
Finanzminister Luc Frieden gab am Dienstag zu, dass seine Haushaltsrede vor einem Monat „nur 27 Minuten dauerte, was etwas damit zu tun hatte, dass ich nicht mit allem zufrieden war“. Kaum hatte er die Rede beendet, hatte es Vorwürfe aus den eigenen Reihen gehagelt, angefangen beim CSV-Präsidenten Michel Wolter, der nicht zum ersten Mal zum Sturm auf Friedens Haushaltspolitik geblasen hatte.
Überraschender war, dass sich dann eine Koalition zwischen den rechtsliberalen Sparpolitikern und den Sozialpolitikern von CSV und LSAP bildete. Die Sozialpolitiker unterstützten die Sparpolitiker unter der Bedingung, dass sie die Dosierung angeben konnten, auf wessen Kosten gespart werden sollte. Und geeint waren sie vom hehren Ziel, zur Demontage von CSV-Kronprinz Luc Frieden beizutragen.
Wie sozial ausgeglichen gespart werden soll, wer die „breiteren Schultern“ hat, um die Last des Staatsdefizits zu tragen, darüber gehen die Meinungen seit Jahren auseinander. CSV und LSAP hatten sich beim Ausstieg aus der antizyklischen Krisenpolitik nach der großen Finanzkrise auf den Kompromiss geeinigt, dass das Defizit zu zwei Dritteln durch Ausgabenkürzungen des Staats und zu einem Drittel durch Steuererhöhungen ausgeglichen werden soll. Wobei die rechtsliberalen Sparpolitiker, von Frieden über Wolter bis zur DP, für Ausgabenkürzungen plädierten, während die LSAP und die CSV-Sozialpolitiker als Garanten des Sozialstaats verlangten, dass Steuererhöhungen zu Lasten der Gut- und Besserverdienenden genutzt werden sollten, um weiterhin Sozialpolitik zugunsten der Einkommensschwachen betreiben zu können.
Doch während Luc Frieden nicht müde wurde, zu behaupten, wir hätten „ein Ausgabenproblem, kein Einnahmenproblem“, gab die CSV-Fraktion den sozialistischen Kollegen rasch zu verstehen, dass sie zu weiteren Steuererhöhungen bereit war. Und das Ergebnis ist beeindruckend: Nachdem der Finanzminister am Dienstag erklärte hatte: „Ich bevorzuge Ausgabenkürzungen gegenüber Steuererhöhungen“, hinterlegte er das dritten Sparpaket, in dem der Anteil der Steuererhöhungen an den Sanierungsanstrengungen von 33 auf 43,5 Prozent gestiegen ist Das ist genau das, was er mit Unterstützung der Unternehmerverbände bis zuletzt zu verhindern suchte, auch wenn er inzwischen behauptet, der Haushaltsentwurf gefalle ihm „nun besser als vor ein paar Wochen“, das Defizit des Zentralstaats sei nächstes Jahr niedriger als 2004, dem letzten Jahr der CSV/DP-Koalition...
Selbstverständlich ist das Verhältnis zwischen Steuererhöhungen und Sparmaßnahmen nur ein und ein recht grobes Mittel, um die Ausgewogenheit des Sanierungsprogramms zu bewerten. Anders sieht es beim Verhältnis zwischen Privathaushalten und Firmen aus. Von den insgesamt 952 Millionen Euro sollen die Haushalte an Leistungskürzungen und Steuererhöhungen direkt 45,6 Prozent tragen, die Firmen 17,3 Prozent. Der Rest geht auf das Konto von Investitionskürzungen und Einsparungen bei Funktionskosten des Staats, die sich nur indirekt auf die Haushalte und Betriebe auswirken. Anders als bei den Steuern und Einsparungen hat sich das Verhältnis zwischen der Belastung von Haushalten und Firmen seit dem ersten Sparpaket im Frühjahr kaum verändert.
Dass CSV und LSAP Minister Frieden seit vier Wochen nicht nur koalitionsintern kritisieren, sondern öffentlich bloßstellten, ist auch eine Rache dafür, dass sie sich über2gangen fühlen. „Hätten wir den Faden, den wir in Senningen aufgenommen haben, weitergesponnen, wäre das alles nicht nötig gewesen“, warf Lucien Lux am Dienstag dem Minister vor, der auf stur geschaltet hatte.
Während der bereits im Sommer geführten Gespräche innerhalb der Koalition über die künftige Haushaltspolitik schien eine Erhöhung des Spitzensteuersatzes abgemacht, Frieden hatte dann recht eigenmächtig darauf verzichtet. Noch kurz vor der Hinterlegung des Haushaltsentwurfs im Herbst schien auch die Erhöhung der Besteuerung von Soparfi-Beteiligungsgesellschaften eine beschlossene Sache, doch dann tauchte sie nicht mehr im Haushaltentwurf auf. Andererseits hatten die Fraktionen eine zehnprozentige Kindergeldkürzung abgelehnt, und auch auf Kürzungen beim Elternurlaub konnte man sich trotz langer Diskussionen nicht einigen.
Dafür kündigte der Finanzminister bei der Hinterlegung seines Haushaltsentwurfs selbst für die eigenen Abgeordneten überraschend die Abschaffung der Mammerent für Frauen an, die selbst rentenversichert waren. Nun sollen die Änderungsanträge all diese Meinungsverschiedenheiten korrigieren. Dass die staatlichen Zuschüsse an die Gemeinden künftig von deren Finanzkraft abhängig gemacht werden sollen, wie der CSV-Minister vor einem Monat angekündigt hatte, bestätigte er diese Woche auf Nachfrage erst zögerlich, dann trotzig. Aber selbst für die CSV-Abgeordneten ist das alles andere denn abgemacht.
Die Mehrheitsabgeordneten werfen Frieden vor, nach der Konklave in Senningen auf weitere Absprachen verzichtet zu haben, so als habe das sozialpartnerschaftliche Modell nicht nur in der Tripartite, sondern auch in der Koalition Schiffbruch erlitten. Der Finanzminister, der seit einem Jahr ankündigte, die Zukunft des Landes im Allgemeinen und die finanzpolitische im Besonderen als eine Art Schatten-Premier im Alleingang zu organisieren, wurde brutal zurückgepfiffen – nicht von den auffällig stillen Ministerkollegen, wie 2010, sondern von den Mehrheitsparteien. Nun sieht es aus, als sei ihm die bis zuletzt verteidigte Kontrolle über den Staatshaushalt und damit über die Politik im Land entrungen worden. Wobei Premierminister Jean-Claude Juncker seinen Finanzminister weitgehend im Regen stehen ließ.
Nachdem Luc Frieden noch versucht hatte, die Blamage der Änderungsanträge zu seinem Haushaltsentwurf zu verhindern, musste er am Dienstag gute Miene zum bösen Spiel machen und freute sich angeblich über die Anträge, die er wenigstens selbst einbringen durfte. Doch die Fronde trägt weiter zur Demontage des Finanzministers und Juncker-Nachfolgers bei, der sich zudem nächste Woche über den ebenfalls sozial wenig ausgewogenen Verkauf von Cargolux-Anteilen erklären muss (d’Land, 26.10.). Statt die Staatsfinanzen mit hausväterlicher Strenge zu verwalten, sieht er nun so aus, als müsste er zum sorgfältigeren Umgang mit den Steuergeldern geradezu gezwungen werden. Schon kündigten die Fraktionssprecher von CSV und LSAP tatendurstig an, die Einführung der „selektiven Sozialpolitik“ bis Anfang nächsten Jahres selbst in die Hand zu nehmen, wenn der aktualisierte Stabilitätspakt nach Brüssel geschickt werden soll. Selbst von den Haushaltsjahren 2014, 2015, 2016 und 2017 ging die Rede, von dem nächsten Koalitionsabkommen, dem Unsinn der Wohnungsbeihilfen, der Besteuerung des Kindergelds und der Mehrwertsteuererhöhung nach den Wahlen... In den Fraktionen haben man bereits begonnen, thematische Arbeitsgruppen aufzustellen. Ob da noch Platz für die Regierung bleibt, war nicht so klar.
Einsparungen und Steuererhöhungen 2013
Staatliche Konsumausgaben, Verteuerung von Bus und Bahn um 10 bis 33 Prozent – 60 Millionen
Investitionen – 287 Millionen
Nullrunde im Gehälterabkommen, Stellenabbau beim Staat – 63 Millionen
Umweltprämien für Autos und andere Zuschüsse – 10 Millionen
Ausfall der Rentenanpassung – 70 Millionen
Kürzung der Erziehungszulage von 86 auf 75 Euro – 9 Millionen
Kürzung der Kinderbetreuungsschecks – 13 Millionen
Kürzung der Schulanfangsprämie – 11 Millionen
Abschaffung der Préretraite-solidarité, Kürzung der Wiedereingliederungshilfe
für Arbeitslose, Verschärfung der Zumutbarkeitsklausel – 15 Millionen
Erhöhung der Soparfi-Steuer von 1 500 auf 3 000 Euro + 50 Millionen
Kürzung der Investitionszuschüsse von 13 auf 12 Prozent, bzw. 3 auf 2 Prozent + 20 Millionen
Mindestunternehmenssteuer von 500 bis 20 000 Euro + 50 Millionen
Spitzensteuersatz von 40 Prozent für Einkommen über 100 000 Euro + 15 Millionen
Einschränkung der Steuerbegünstigung von Stock options + 50 Millionen
Senkung des Steuerabschlags für Zinsen auf Konsumdarlehen auf 336 Euro + 7 Millionen
Abschaffung der Kilometerpauschale bis 4 Kilometer + 35 Millionen
Mindestautosteuer, Abschaffung des Dieselfilterbonus von 50 Euro + 6 Millionen
Erhöhung der Solidaritätssteuer für Haushalte von 4 und der Betriebe von 5 auf 7 Prozent + 146 Millionen
Senkung der Mehrwertsteuererstattung für Immobilien von 60 000 auf 50 000 Euro + 20 Millionen
Akzisenerhöhungen auf Tabak und Diesel + 35 Millionen