Jean-Paul Scheuren kann sich noch immer über die Pressekonferenz aufregen, die am 29. September 2017 der damalige Wohnungsbauminister Marc Hansen (DP) und Sozialminister Romain Schneider (LSAP) gegeben hatten. Scheuren ist Präsident des Branchenverbands der Immobilienwirtschaft, der Chambre immoblière du Grand-Duché de Luxembourg (CIGDL). „Ungeniert kopiert“ hätten Hansen und Schneider damals eine Idee der CIGDL. Sogar das Versprechen auf einen „Paradigmenwechsel“ stamme eigentlich von ihr.
Die beiden Minister hatten vor 18 Monaten ein Pilotprojekt vorgestellt: In Grevenmacher werde der Fonds du Logement 23 Wohnungen bauen, der Kompensationsfonds der Pensionskasse sie anschließend kaufen und à coût modéré vermieten. Bewähre sich das Projekt, könnten womöglich weitere folgen, so die Minister. Das klang, als zeichne sich ein Weg ab, um einen Teil der Rentenreserve für den öffentlichen Wohnungsbau zu nutzen. Bis zu fünf Prozent der Reserve können auf den heimischen Immobilienmärkten eingesetzt werden, sieht die Investitionsstrategie des Kompensationsfonds vor. Ende 2017 entsprach das 900 Millionen von insgesamt rund 18 Milliarden Euro.
Die Chambre immobilière hatte eine andere Idee und sie, wie ihr Präsident sagt, schon ab 2011 dem damaligen CSV-Wohnungsbauminister Marco Schank nahezubrigen versucht: Mietwohnungen, deren Miete 75 Prozent unter dem Preis auf dem freien Markt läge, könne der Privatsektor liefern – 18 000 innerhalb von maximal zehn Jahren. Die Miete wäre in der reduzierten Höhe zehn Jahre lang garantiert, Anpassungen nach oben gäbe es keine. Nach Ablauf der zehn Jahre könnte der Mieter die Wohnung kaufen; die im Vergleich zum Marktpreis kleinere Miete in den Jahren vorher sollte ermöglichen, Kapital für den Kauf anzusparen. Wer nicht kaufte, müsste nach den zehn Jahren entweder eine Mieterhöhung auf Marktniveau hinnehmen, oder in eine andere vergünstigte Wohnung umziehen. Dann begänne mit einem neuen Vertrag eine neue Zehn-Jahre-Periode bis zur nächsten Mietkauf-Gelegenheit.
„Klar stieß unsere Idee zunächst auf Misstrauen“, sagt Jean-Paul Scheuren. „Wieso machen die das?, wurde gefragt, schließlich sind wir gewinnorientierte Unternehmer.“ Doch mit dem traditionellen Geschäftsmodell der Branche habe das der Mietkauf-Wohnungen nichts zu tun: „Es ist längerfristig angelegt, da stellt sich der Return-on-investment erst nach 30 bis 40 Jahren ein und der Unternehmer baut sich einen großen Bestand an solchen Wohnungen auf.“ Das traditionelle „Promotoren-Modell“ dagegen mache sich schon nach drei bis fünf Jahren bezahlt.
Nicht nur mit der Größe ihres Angebots von 18 000 vergünstigten Wohnungen winkte die Chambre immibilière. Das andere Argument lautete: Im landesweiten Durchschnitt koste der Bau einer Wohnung 300 000 Euro, den Grundstückspreis nicht eingerechnet. Multipliziert mit 18 000 Wohnungen ergab das 5,4 Milliarden Euro. Die aufzubringen, wäre die Staatskasse nicht imstande, der Privatsektor schon, trumpfte die CIGDL auf. Und: Staatliche Beihilfen seien nicht nötig. Nach dem derzeitigen System erhalten die öffentlichen Träger Fonds du Logement und Société nationale des habitations à bon marché (SNHBM) den Bau verbilligter Wohnungen vom Staat zu 70 Prozent subventioniert, Gemeinden zu 75 Prozent. Planungskosten trägt der Staat zur Hälfte. Müssen Grundstücke erworben werden, schießt der Staat dafür ebenfalls 70 beziehungsweise 75 Prozent zu. Aus dem Privatsektor sind für den Bau von Mietwohnungen nur ASBL, Stiftungen, der Kierchefong und neuerdings Gesellschaften mit sozialem Impakt anspruchsberechtigt. Beim Modell der „Bailleurs sociaux“, das die CIGDL propagierte, sollte der Unternehmer das Grundstück mitbringen; es gehörte ihm ja. Die anderen Kosten würden durch Mieten und Kaufsummen gedeckt. „Wir hatten das“, sagt Jean-Paul Scheuren, „von Anfang bis Ende durchgerechnet. Es ging auf.“
Ob CSV-Minister Schank damals tatsächlich offen für die Idee war, lässt sich nicht feststellen: Eine Anfrage des Land bei ihm blieb unbeantwortet. Scheuren sagt, die CIGDL habe auf Schanks Anfrage hin sogar einen ersten Entwurf für einen Gesetzestext geschrieben. Am 17. Januar 2012 machte die CIGDL ihre Idee in einer Pressekonferenz publik. „Un changement de paradigme“ versprach sie da, wie Marc Hansen und Romain Schneider gut fünfeinhalb Jahre später. In den Jahren dazwischen diskutierte die Chambre immobilière auch mit Marc Hansen, bei seiner Vorgängerin Maggy Nagel war sie ebenfalls. Doch Ende 2016 lehnte Hansen die Idee definitiv ab. Dem Land sagte er später, die Juristen seines Ministeriums hätten „zu viele rechtliche Probleme“ gesehen. Scheuren hält das nach wie vor für vorgeschoben und denkt, „Marc Hansen wollte das einfach nicht“.
Die Frage, warum die private Immobilienindustrie solch ein Konzept hervorbringt, wenn sie angesichts der ungebrochen hohen Nachfrage nach Wohnraum auch mit ihrem traditionellen Geschäftsmodell gut fährt und viel weniger lange warten muss, bis Investitionen sich bezahlt machen, bleibt natürlich. Der CIGDL-Präsident räumt ein, „nicht jede Firma in der Branche“ interessiere es, Bailleur social zu werden, aber „fünf bis zehn“ schon, darunter vor allem große. „Für die wäre das eine Zusatzaktivität. Für jedes Projekt würden sie eine separate Gesellschaft gründen, die nach diesem langfristigen Geschäftsmodell funktioniert.“ Anscheinend besteht das Interesse daran noch immer, denn Scheuren will das Konzept nun der neuen Wohnungsbauministerin Sam Tanson (Grüne) unterbreiten.
Bailleur social – den Begriff hatte die Chambre immobilière aus Frankreich übernommen, mit dem dortigen System der Livres verts. Sie sind eine Art Bausparbücher, auf denen in Frankreich seit der Nachkriegszeit Kapital zum Eigenheimerwerb angespart wird. Verwaltet wird es von einer einzigen Kasse. Der CIGDL schwebte vor, dass eine solche „Kompensationskasse“ auch hier eingerichtet würde. „Wir haben uns im Ausland umgeschaut, welche Lösungen es gibt. Die französische gefiel uns am besten“, sagt Scheuren. Die Kompensationskasse sollte einerseits Bailleurs sociaux ein Fünftel des zum Bau einer Wohnung nötigen Kapitals als Kredit gewähren, andererseits garantieren, dass der Zinssatz dafür so günstig bliebe wie in der gegenwärtigen Niedrigzinszeit, um die zwei Prozent. Auch das war Teil der Kostenrechnung, damit „alles aufgeht“. Mit diesem Modell, sagt Scheuren, sei er 2015 auch ins Finanzministerium gegangen. Denn Teil der Idee mit der großen Kasse und den Bausparbüchern war, dass der Staat dem Sparer steuerliche Anreize gewährt und die Sparzinsen festlegt; dadurch sollte die Regierung die Mietwohnungs-Initiative steuern können.
Doch da die vorige DP-LSAP-Grüne-Regierung damals den Zukunftspak entwarf, habe das Finanzministerium die Idee, neue Steueranreize für Privatpersonen einzuführen, skeptisch gesehen. Stattdessen wollte es den Unternehmern, die Bailleurs sociaux wären, in einer „ersten Phase“ Staatsgarantien gewähren, damit jede Bank einen zinsgünstigen Kredit vergeben hätte. Eine erste Garantie über 20 Millionen Euro habe die CIGDL zugesagt bekommen.
80 Millionen hätten Unternehmen hinzu gelegt. Mit den insgesamt 100 Millionen Euro hätten nach dem CIGDL-Kalkül um die 300 Wohnungen realisiert werden können. Ein Projekt über 120 Wohnungen habe schon auf dem Tisch gelegen, sagt Scheuren, der betont, die Beamten des Finanzministeriums hätten wissen wollen, wem sie die Garantie zuerkennen sollten. „So weit waren wir gekommen!“ Doch dann habe der Wohnungsbauminister plötzlich erklärt, die privaten Bailleurs sociaux müssten wie öffentliche Einrichtungen behandelt werden und das schaffe Probleme mit dem Ausschreibungsgesetz. „Dabei hatten wir die Statuten der Bailleurs-Gesellschaften ebenso wie die erforderlichen Kontrollorgane intensiv mit Juristen des Wohnungsbauministeriums diskutiert.“ Die CIGDL habe eine juristische Stellungsnahme der Ausschreibungskommission angefragt, aber keine bekommen. Und das Wohnungsbauministerium habe sich nie klar schriftlich erklärt. Umso mehr habe ihn erstaunt, sagt Scheuren, dass am 29. September 2017 zwei Minister einen Mietwohnungs-Deal zwischen einer öffentlichen Einrichtung, dem Fonds du Logement, und einer anderen, der Pensionskasse, verkündeten. Ohne öffentliche Ausschreibung.
Was lässt sich dazu sagen? Inwiefern die privaten Bailleurs sociaux eine gute Idee wären, ist schwer einzuschätzen, solange nur ihr Vordenker davon erzählt. Ob das Pilotprojekt von Fonds du Logement und Rentenkasse als Modell taugt, fragt sich aber auch. Mietwohnungen, die der Fonds baut, erhält er vom Staat bezuschusst. Vermietet er sie selber, muss er die Sozialmiete-Verordnung anwenden, die derzeit Mietpreise von im Schnitt nur vier Euro pro Quadratmeter ergibt. Kauft die Pensionskasse die Wohnungen und vermietet sie, muss sie darüber zwar eine Konvention mit dem Wohnungsbauministerium abschließen, doch sie unterläge der Sozialmiete-Vorschrift nicht. Und nach 20 Jahren könnte sie die Wohnungen zum Marktpreis verkaufen, der dann sehr wahrscheinlich einen Gewinn ermöglicht. Sicher scheint, dass dieses Modell einen komplizierten Transfer öffentlicher Gelder verlangt. Erschwinglicher Wohnraum würde damit nur eine Zeitlang bereitgestellt. Und: Wollte man viel davon bauen, würde das Limit, bis zu dem die Rentenreserve beteiligt werden kann, schnell erreicht. Die Baukosten pro Wohnung haben sich mittlerweile auf rund 350 000 Euro im Landesschnitt erhöht.