Manche Parteien kauften sich schon bei vorherigen Wahlen Meinungsumfragen, um ihren Wahlkampf vorzubereiten. Der aktuelle Wahlkampf ist aber der erste, in dem Umfrageergebnisse und sogar Wahlprognosen veröffentlicht werden und damit eine Rolle in der öffentlichen Debatte spielen. Die nunmehr 25 Jahre alte Bonneweger Marktforschungsfirma ILReS S.A. führt Umfragen für Regierungs- und Oppositionsparteien durch, berät sie bei der Analyse, veröffentlicht auf eigene Faust Umfragen zu kontroversen Themen, nimmt an der Wahlanalyse für das Parlament teil und liefert am Wahlabend die Fernsehhochrechnungen. In einer Zeit, da Demokratie zunehmend mit Marketing verwechselt wird, wird die ILReS zum Spin doctor der Luxemburger Politik. Charles Margue ist der für Studien verantwortliche Direktor.
d'Land: Das Tageblatt begann 1995, Umfrageergebnisse über die Popularität von Politikern abzudrucken, im Juni veröffentlichte es erstmals eine Wahlprognose. Wie erklären Sie sich die Verspätung gegenüber den Nachbarländern, mit der in Luxemburg politische Meinungsumfragen, veröffentlichte und unveröffentlichte, eingesetzt werden?
Charles Margue: Dafür gibt es sicher zweierlei Ursachen. Zuerst ist kein Geld da. Bestenfalls greifen die Parteien auf einen Teil ihres Wahlkampffonds zurück, um sich eine Meinungsumfrage zu leisten. Aber es fehlt an Mitteln, mit denen die Parteien die Entwicklung der Stimmungen zwischen den Wahlterminen beobachten könnten. Ansatzweise tut das höchsten die DP. Das Tageblatt und anfänglich auch Le Jeudi trugen, sicher auch aus kommerziellen Überlegungen, das Ihre zur Entwicklung einer Kultur politologischer und gesellschaftspolitischer Meinungsumfragen im Land bei.
Was kostet denn eine solche Umfrage?
Brauchbare Ergebnisse erhält man ab 12 000 bis 15 000 Euro, aber das geht rasch bis 20 000 oder 30 000 Euro.
Und die andere Ursache?
Zum anderen fehlt es in den Parteien an Kompetenzen, um Umfragen zu analysieren und einzusetzen. Es werden auch wenig Kompetenzen aufgebaut, da die mit den Wahlkampfvorbereitungen beauftragten Generalsekretäre, wie Claude Wiseler bei der CSV oder Paul Bach bei der LSAP, oft nach einer oder zwei Legislaturperioden ersetzt werden. Eine Ausnahme macht vielleicht die DP, die seit 1989 relativ regelmäßig Umfragen in Auftrag gibt und wo hauptsächlich mit Kik Schneider Leute über mehrere Legislaturperioden hinweg Erfahrung mit ihrer Analyse gewinnen konnten.
Eine Rolle dürfte aber auch das sehr personenbezogene Wahlsystem spielen, so dass die Parteien beispielsweise zögern, Umfragen in Auftrag zu geben, bevor ihre Kandidatenlisten bekannt sind.
Wieviel Umfragen lassen die Parteien denn im jetzigen Wahlkampf durchführen?
Das ist schon weitgehend gelaufen, da es sich um thematisch-programmatische Erhebungen handelt, die zur Vorbereitung des Wahlkampfs dienen. Wir haben Umfragen für die DP und, teilweise gemeinsam, für die LSAP und die Grünen durchgeführt. Die CSV-Fraktion ließ eine Umfrage von der deutschen Infratest dimap durchführen, ich weiß nicht, ob sie weitere plant. Möglicherweise lassen noch einige Nichtregierungsorganisationen Umfragen zu für sie wichtigen Themen durchführen.
Im Juni führten Sie im Auftrag des Tageblatts eine Wahlprognose durch auf die klassische Sonntagsfrage: Welcher Partei würden Sie am meisten Stimmen geben, wenn am nächsten Sonntag Wahlen wären?" War das, veröffentlicht oder unveröffentlicht, ein Novum?
Die ILReS verfügt erst neuerdings über das technische Know how, mit dem sie es wagt, präzise Wahlprognosen zur Sonntagsfrage aufzustellen. Erst seit den letzten Wahlen besitzen wir, aufgrund des aufgestellten Datenmaterials am Wahlabend und auch dank der Wahlanalyse des öffentlichen Forschungszentrums Gabriel Lippmann im Auftrag des Parlaments über das Panaschieren, über detaillierte Serien von Wählerbefragungen und Wahlresultaten bis hinab zur Ebene von Wahlbüros, mit denen wir die anschließenden Umfrageergebnisse vergleichen können. Hinzu kommt die Zusammenarbeit mit der deutschen Psephos, durch die uns bereits sehr zuverlässige Hochrechnungen am Wahlabend 1999 gelangen.
Machen Sie am 13. Juni nächsten Jahres wieder solche Hochrechnungen für RTL?
Es sieht ganz danach aus, einige Vorbereitungen sind schon angelaufen.
Die Politiker, die mit der Antwort auf Ihre Sonntagsfrage unzufrieden waren, warfen Ihnen vor, dass die Komplexität des Wahlsystems, vor allem das Panaschieren, verlässliche Prognosen unmöglich mache. Wie berücksichtigten Sie das Panaschieren?
Der Vergleich der letzten Wahlresultate mit den Umfrageergebnissen jener Zeit erlaubt uns, Koeffizienten zu ermitteln, mit denen wir die heutigen Umfrageergebnisse für die einzelnen Parteien gewichten können.
Ähnlich werden auch die Parteien gewichtet?
Manche Befragten wollen nicht zugeben, dass sie ADR gewählt haben, manche Leute behaupten, CSV oder LSAP zu wählen, ohne es zu tun. Die Umfrageergebnisse sind immer CSV-lastig. Hier gewichten wir die Ergebnisse ebenfalls nach oben oder unten, indem wir Umfrage- und Wahlergebnisse der Vergangenheit vergleichen. Eine wichtige Rolle zur Beobachtung der Wechselwähler spielen auch die im Laufe der Zeit sich ändernden Antworten auf die Erinnerungsfrage", auf die Frage, wie die Leute sich bei den letzten Wahlen entschieden hatten.
Sie errechnen also nach diesen Gewichtungen Stimmenzahlen für die einzelnen Parteien pro Bezirk und ermitteln so die Mandatszahl. Bleibt das Problem der Restsitze.
Richtig. Wenn sich dann Wackelsitze" ergeben, legen wir uns nicht fest und sagen das so. Aber es war im Juni auch eine Information, dass der seit Jahren von den Grünen im Osten angestrebte Restsitz nicht sicher ist, oder der zweite Restsitz für das ADR im Norden.
Die im Juni ermittelte Sonntagsfrage wurde zwischen November und Mai ermittelt. Das sind 26 Sonntage, während denen sich beispielsweise das Empfinden für die Wirtschaftskonjunktur verändert hat.
Das stimmt. Unsere Ergebnisse sind auch ein Durchschnittswert" über diese Periode. Wir planen neue Auflagen dieser Wahlprognosen für Dezember und noch einmal für das nächste Jahr.
Kaum hatte das Tageblatt seine Sonntagsfrage mit einer Wahlniederlage der DP verbreitet, veröffentlichte die ILReS eine Umfrage, laut der drei Viertel der Befragten fanden, dass die Regierung die Lage im Griffe habe. Ihnen wurde vorgeworfen, widersprüchliche Umfrageergebnisse zu produzieren.
Das war eine unterschiedliche Fragestellung. Wir beobachten konkret seit etwa 15 Jahre eine Tradition in Luxemburg, dass sich, ziemlich unabhängig von den Koalitionen, 60 bis 80 Prozent der Leute mit der Exekutive zufrieden erklären. Auf jeden Fall konnte man aus den Resultaten herauslesen, dass keine große Aufbruchstimmung im Land herrscht oder ein Überdrussgefühl wie 1999 nach 15 Jahren CSV/LSAP-Koalition. Auch zeigten sich die Wähler nicht sonderlich über das Konjunkturtief beunruhigt, was für die sich im Amt befindete Regierung spricht.
Die ILReS führte diese Umfrage auf eigene Initiative durch, die Regierung veröffentlichte das Ergebnis sofort auf ihrer Web-Seite. Muss sich die ILReS nicht jedesmal, wenn sie Umfragen zu politischen Themen aus eigener Initiative heraus unternimmt und veröffentlicht, den Vorwurf gefallen lassen, dass sie selbst Politik macht und die öffentliche Meinung oder die Entscheidungsträger zu beeinflussen versucht?
Um diesem Vorwurf zu entgehen, hielt sich die ILReS mit solchen Umfragen lange zurück. Doch wollen wir besonders nach 1999 nicht nur unsere Firma ins Gespräch bringen, sondern vor allem zur politischen Debatte beitragen. Wir glauben, dass auch die Leute in Luxemburg ein Recht darauf haben, sich im Spiegel der öffentlichen Meinung sehen zu können. Wir wollen so zur Meinungsbildung beitragen. Schließlich ist es auch wichtig zu wissen, wie unterschiedliche gesellschaftliche Gruppen über eine aktuelle Frage denken.
Was können denn Themen für den beginnenden Wahlkampf sein?
Zu den Sorgen der Leute zählen weiterhin die Gesundheit - hier könnte die Diskussion um das Krankenkassendefizit eine Rolle spielen - und die Schule, beziehungsweise die Verbindung von Ausbildung und Arbeitslosigkeit. Doch auch Themen wie Renten und Sicherheit sind nicht unbedingt ausgestanden.
Und was bedeutet das für den Wahlausgang?
Vor allem, dass die Wahlen noch nicht gelaufen sind. Es ist noch alles offen, insbesondere weil Verschiebungen von wenigen Stimmenprozent über Gewinner und Verlierer entscheiden. In Luxemburg gibt es traditionell eine Art organische Mehrheit für Schwarz-Rot, ohne dass jede Koalition darauf hinausliefe.
In anderen Ländern wendet sich jede Partei an ein anderes Institut. Die ILReS führt Umfragen für drei verschiedene Parteien und die Wahlanalyse des Parlaments durch. Deshalb bekommt sie vorgeworfen, für jeden zahlenden Kunden das herauszufinden, was er gerade lesen möchte.
Manche Politiker und hauptsächlich viele einzelne Bürger behaupten das ab und zu in der Öffentlichkeit, aber in den Arbeitsgesprächen mit uns reden die Wahlmanager anders. Wenn die Parteien Geld bei uns ausgeben, wollen sie dafür keine Propaganda, sondern Anhaltspunkte, wie sie ihre Wahlkampagnen orientieren, welche Richtlinien sie ihren Werbeagenturen geben können. Wir liefern ihnen nicht nur nacktes Zahlenmaterial, sondern beraten sie bei Bedarf auch bei der Analyse dieser Daten. Die Genauigkeit unserer Hochrechnungen am Wahlabend 1999 hat zudem sehr zum Prestige und zur Glaubwürdigkeit der ILReS beigetragen.