Die Trennung von Staat und Kirche, ist eine Frage, welche die Gemüter hierzulande seit über einem Jahrhundert bewegt. In seinem Buch Trennung von Kirche und Staat. Eine Schrift zur Aufklärung für das katholische Volk (Luxemburg, Saint-Paul, S. 3) hatte Redakteur Frédéric Mack schon 1909 gedroht: „Die Trennung nach französischem Muster, wie sie in Luxemburg von den Anhängern einer kulturkämpferischen Politik herbeigesehnt wird, verletzt in schroffer Weise die öffentliche Gerechtigkeit und Freiheit und bedeutet eine richtige Verfolgung von Kirche und Religion. Mit dem französischen Trennungssystem kann der Katholizismus nie Frieden schließen, wenn er nicht Selbstmord begehen will.“
Das scheint sich auch Kultusminister François Biltgen (CSV) zu Herzen genommen zu haben. Er suchte am Mittwoch den parlamentarischen Ausschuss der Institutionen und für die Verfassungsrevision auf, um den Abgeordneten zu erklären, wie die Regierung es mit der Aufforderung des Parlaments vom 7. Juni vergangenen Jahres hält, „à insti[-]tuer un groupe de réflexion chargé de réfléchir sur l’évolution future des relations entre les pouvoirs publics et les communautés religieuses”. Oberstes Gebot ist es, dass die Trennung von Staat und Kirche keine Option ist, die zur Sprache kommen soll. Obwohl es dafür laut Meinungsumfragen eine Mehrheit in der Bevölkerung und möglicherweise sogar im Parlament gibt sowie Steuergelder von mehr als 50 Millionen Euro jährlich auf dem Spiel stehen (d’Land, 10.6.11).
Nach der überraschenden Parlamentsmehrheit für das Euthanasiegesetz 2008 will die CSV eine öffentliche Debatte möglichst vermeiden, um nicht politisch ins Abseits manövriert zu werden. Doch auch die LSAP hat kein Interesse an einer solchen Debatte, weil sie den Widerspruch zwischen ihren laizistischen Prinzipien und ihrer Koalition mit den Christlich-Sozialen nicht lösen kann. Was lag also näher, als ausländische Experten zu Rate zu ziehen, welche wieder einmal eine brisante politische Frage in eine juristisch-technische verkehren sollen?
Wie schon während der Koalitionsverhandlungen 1999 implizit abgemacht, wollen CSV und LSAP das „belgische Modell“ übernehmen, das darauf hinausläuft, dass Staat und Gemeinden sich die Religion nicht weniger, sondern mehr kosten lassen, indem sie unter dem Motto der weltanschaulichen Neutralität auch einige laizistischen Vereine, etwa mittels der angekündigten „Häuser der Laizität“, bezuschussen (d’Land, 7.8.09). Um diese Neutralität zu demonstrieren, würde Kultusminister François Biltgen die Zuständigkeit für Glaubensdinge nach belgischem Vorbild Justizminister François Biltgen übertragen, und statt des christlich-sozialen Staatsministers soll der Erzbischof die Einladungen zum Te Deum am Nationalfeiertag verschicken lassen.
Neben der Gleichbehandlung ausgewählter Weltanschauungen sollen die Menschenrechte in der neuen Glaubenspolitik besonders betont werden. Dadurch soll ein liberaler Islam bevorzugt werden, aber so werden auch neue Fragen aufgeworfen. An den ausländischen Experten wird es beispielsweise zu rechtfertigen sein, wieso der Staat weiter katholische Priester als Beamte bezahlt, wenn Frauen beim Zugang zu diesem Beruf diskriminiert werden. Problematisch ist zudem, dass das „belgische Modell“ inzwischen in Belgien selbst als obsolet und reformbedürftig angesehen wird.
Um das Terrain für die angestrebte „belgische Lösung” vorzubereiten, begann der Erzbischof gleich nach seinem Amtsantritt, ökumenisch durchs Land zu reisen und Verbündete bei Juden und Muselmanen sowie bis in die Kreise organisierter Ungläubiger und Unwissender zu sammeln. An den ausländischen Experten wird es dann sein, die Übernahme des belgischen Modells in den nächsten Monaten als die bestmögliche Politik zu legitimieren.
Im Herbst erhielt Kultusminister François Biltgen das Einverständnis der Regierung, um einige Experten auszuwählen und ein Gutachten in Auftrag zu geben kaufen. Einer von Biltgens Wunschkandidaten für die Expertengruppe war der Jurist Francis Messner, der am französischen CNRS vergleichendes Religionsrecht für die Europäische Union und den Europarat betreibt, doch nun sollen die ausländischen Experten, die auf eine Einladung aus dem Kultusministerium hoffen können, ausschließlich aus Belgien kommen: Die Schweizerin Caroline Sägesser, die wissenschaftliche Mitarbeiterin des Centre interdisciplinaire d’étude des religions et de la laïcité an der Freien Universität Brüssel (ULB) ist. Professor Michel Magits lehrt Recht an der ULB und beschäftigt sich auch mit Rechtsgeschichte. Die ebenfalls an der ULB lehrende Historikerin Anne Morelli erforscht vor allem die Geschichte der Religionen und gesellschaftlichen Minderheiten. Jean-François Husson ist Koordinator des belgischen Observatoire des relations administratives entre les cultes, la laïcité organisée et l’État. Eric Ghysselinckx ist Rat der Direction générale de la législation et des libertés et droits fondamentaux, service des cultes et de la laïcité des belgischen Justizministeriums.
Ursprünglich wollte Biltgen den Experten den Brief mit der Beschreibung ihres Auftrags noch vor Ende vergangenes Jahres schicken. Doch die Parlamentarier im Ausschuss der Institutionen und für die Verfassungsrevision hatten im Herbst darauf bestanden, den Brief zuerst vorgelegt zu bekommen, bevor er abgeschickt würde. Das tat Biltgen dann am Mittwoch dieser Woche, auch wenn er betonte, dass die Regierung und nicht die Kammer Auftraggeber sei. Der Ausschuss durfte dennoch den Auftrag geringfügig ergänzen.
Nach Vorstellung des Ministers soll der parlamentarische Ausschuss zu Beginn und kurz vor Ende der Mission von den Experten informiert werden, bevor die Regierung dann ihre Schlussfolgerung trifft, am besten noch vor Ende dieses Jahres. Raum und Zeit für eine öffentliche Debatte sind in diesem Programm nicht vorgesehen, angeblich weil die Zeit drängt, um die Gelegenheit der geplanten Verfassungsrevision nicht verstreichen zu lassen. Obwohl der vorwiegend aus christlich-sozialer Feder stammende Revi[-]sionsentwurf derzeit vorsieht, die sich mit der Religion befassenden Artikel 19 bis 22 unverändert zu lassen und nicht einmal die Frage nach der Rechtsgültigkeit des Konkordats von 1801 klärt.
Trotzdem kann Kultusminister François Biltgen nicht sicher sein, ob der Klerus ihm seine Mühe dankt. Denn der ultramontane Priester Philipp Hammer hatte unter dem Pseudonym Dr. Philalethes Freimuth in seinem 1873 bei Pierre Brück in Luxemburg veröffentlichten Buch Das moderne Recht und die Katholiken (S. 181) gegiftet: „Unter allen Ministerportefeuilles dürfte jedoch keines dem Teufel mehr zusagen und seiner staatsmännischen Begabung mehr entsprechen als das eines Cultusministers; denn ein solcher ist der Teufel, unübertrefflich, Cultusminister par excellence.“