In einer Woche sind Sommerferien. Aber im Gegensatz zu den Schulen, für die danach erneut der Unterricht beginnen wird, hört die Kontaktstelle für Missbrauchsopfer der katholischen Kirche am 15. Juli definitiv mit ihrer Arbeit auf. Der Schlussbericht ist für Herbst angekündigt, aber eins steht jetzt schon fest: Zweieinhalb Monate nach ihrem Start ist die Bilanz der Hotline durchwachsen. Zwar haben sich über 120 Personen gemeldet, viele von Übergriffen berichtet, davon nicht wenige im nächsten Umkreis der Kirche. Doch das Erdbeben ist ausgeblieben. Abgesehen von einigen, wenigen Zeugenberichten in Funk und Fernsehen ist der bittere Kelch an der luxemburgischen Kirche vorüber gegangen. Anders als in Irland, Deutschland oder zuletzt Belgien kommt sie, so scheint es, glimpflich davon.
Wenn es die Absicht der Kirchenleitung war, durch ihr proaktives Handeln den Vorwurf aus dem Weg zu räumen, sie habe Missbrauch unter den Teppich gekehrt, so ist die Rechnung aufgegangen. Über die Verantwortung der Kirche, ihren Umgang mit pädophilen Priestern und sadistischen Nonnen damals und heute, über autoritäre Strukturen und das verkrampfte Verhältnis zu Frauen und Sexualität wird nicht diskutiert. Die Kirchenführung kann sagen, an ihr habe es nicht gelegen, sie habe ja die Hotline eingerichtet. Die Association de défense des intérêts des victimes d’abus sexuels ou physiques de l’église catholique ist mittlerweile verstummt. Also alles doch halb so schlimm?
Dass keine ernsthafte Aufklärung geschieht, liegt aber nicht nur an einer Kirche, die taktisch geschickt operiert hat. Sondern auch daran, dass hierzulande das Wegschauen System hat. Dass „op der Rhum“ und in anderen Heimen Kinder systematisch verprügelt wurden, dass Nonnen und Priester sich an Jungen und Mädchen vergriffen haben, wussten viele oder haben es zumindest geahnt. Passiert ist nichts. Weder haben die Einrichtungen von sich aus die düsteren Kapitel der Jugendfürsorge in den 1950-er bis 80-er Jahren aufgearbeitet, noch haben die Medien viel zur Aufklärung beigetragen. Schuld daran ist auch ein Feuerwehr-Journalismus, der nur meldet, wenn etwas brennt, aber kaum nach Hintermännern und -gründen forscht und die Frage nach den Verantwortlichen geflissentlich ignoriert.
Das – späte – dem Land gegebene Bekenntnis des CSV-Abgeordneten Mill Majerus, in seiner Lehrerzeit selbst „ein bis zweimal“ Kinder geschlagen zu haben und dies dem Generalvikar vor seinem Antritt als Kontaktstellenleiter mitgeteilt zu haben, der ihn somit „en connaissance de cause“ beauftragte, hat außer dem Radio 100,7 niemand aufgegriffen. Auch nicht, dass damit ausgerechnet einer, der selbst als Ministerialbeamter lange Zeit im Heimwesen Verantwortung trug, nun Ansprechpartner für die Opfer sein soll, eine heikle und ungesunde Vermischung von Ämtern, die man übrigens nicht nur im Jugendschutz beobachten kann, die aber widerspruchslos hingenommen wird. Das gleiche gilt für das Gentleman’s Agreement zwischen Staatsanwaltschaft und Kontaktstelle, die ihr Wort gegeben hat, alle Beschwerden integral an die Justiz weiterzuleiten.
Aber womöglich muss man nicht einmal davon ausgehen, dass deren Mitarbeiter etwas zu verstecken haben. Wie schwer es traumatisierten Opfern von Gewalt fällt, über ihr Leiden zu sprechen, ist aus der Traumatherapie hinlänglich bekannt. In einem kleinen Land, wo jeder jeden kennt, dürfte es noch schwieriger sein. Zumal die Frage bleibt, was danach geschieht. Die Justiz wird, das steht zu befürchten, in sämtlichen Fällen feststellen, dass die Übergriffe entweder nicht strafbar oder verjährt sind und die Täter/innen lange tot. Die jüngste Meldung von Misshandlung in Heimen datiert in die 80-er Jahre. Die Akten werden geschlossen, die Zeit der Einkehr ist beendet.