Kaum ein Tag vergeht mehr ohne medialen Schlag gegen das CHL. Der LCGB-Präsident erklärt sich solidarisch mit der Patientevertriedung und verlangt den Rücktritt der Klinikdirektion. In seinem Kommuniqué geht er auch auf die „falschen Professoren“ am CHL ein. Der entlassene Chef de service der Neurochirurgie schreibt einen offenen Brief an den Gesundheitsminister und dass der von Mars Di Bartolomeo bestellte Gutachter ihm gegenüber „durchblicken ließ, (...) dass das Audit an den vergangenen Missständen, insbesondere, was die konkreten Fälle fehlbehandelter Patienten betrifft, massiv vorbeigleiten wird“. Das dank seiner Nähe zum OGB-L und der von ihm dominierten Patientevertriedung in dieser Angelegenheit gut informierte Tageblatt kann aus dem Brief eines angeblich falschen Professors zitieren, den dieser an die von ihm auszubildenden Assistenzärzte gerichtet hatund bittet, sie mögen sich „sans delai“ schriftlich hinter ihn stellen. Nur einen halben Tag später meldet die Patientevetriedung den ersten Beweis für einen zu Unrecht benutzten Professorentitel und verlangt in einem Forderungskatalog darüber hinaus eine „öffentliche Debatte des Krankenhausmanagements“.
Zwei Monate nach der denkwürdigen Pressekonferenz der Patientevertriedung mitten im Sommerloch steht das Centre hospitalier de Luxembourg vor einem Flächenbrand. Sowohl CHL-intern als auch im Gesundheitsministerium heißt es, der Imageverlust des Spitals sei „mittlerweile riesig“. Und er wird zunehmend zur Gefahr für Mars Di Bartolomeo. Das Kupferdach von Benny Berg, die Zuwendungen an verschiedene Vereine während der Amtszeit Johny Lahures waren ziemlich geringfügig, verglichen mit dieser Krise – denn sie betrifft unmittelbar die öffentliche Gesundheit. Nach der Patientevertriedung will nun auch der Ex-Chef der Neurochirurgie öffentlich wissen, wieso derart viele Patientenklagen sich häufen konnten, wo doch der CHL-Verwaltungskommission auch die Chefin der Direction de la Santé im Gesundheitsministerium mit ihrer laut Gesetz kriminalpolizeilichen Ermittlungsvollmacht zum Schutz deröffentlichen Gesundheit angehört. In den Leserbriefspalten der Zeitungen hat unterdessen die Diskussion der Frage begonnen, was „Krankenwürde“ sei. Das Thema ist gesetzt – was hierzulande immer politisch gefährlich ist.
Di Bartolomeo scheint auf das externe Gutachten zu warten, aber was jetzt Not tut, ist Handeln. Nach all den Enthüllungen am Rande dürfte die öffentliche Meinung davon ausgehen, im Audit werde ohnehin vertuscht. Falsche Professorentitel haben darüberhinaus nichts mit der Neurochirurgie zu tun, und es ist weder die Schuld der Patientevertriedung noch der Medien, dass einige seiner fähigsten Chirurgen dem CHL in letzter Zeit den Rücken gekehrt haben; dass in der CHL-Ärzteschaft die Ansicht um sich greift, die anderenSpitäler der Stadt sowie der Süd-Verbund CHEM seien „dynamischer“; und dass vor zwei Jahren rund ein Viertel dieser Ärzteschaft den Rücktritt des Generaldirektors verlangte.
Fragt sich nur, wie das CHL neu aufzustellen wäre – um zum einen besser zu funktionieren, zum anderen, um der Öffentlichkeit glaubwürdig zu vermitteln, dass es so sei. Probleme in diesem Haus wies bereits vor rund zehn Jahren eine Studie von Ernst [&] Young nach, und dem Vernehmen nach soll in diesem Jahr ein Audit mit dem schönen Namen Antares ähnliche Schlüsse gezogen haben. Aber dieses Spital ist als Flaggschiff der Krankenhausmedizin hierzulande auserkoren, neu gegründet vor 32 Jahren als Établissement public mit Lehr- und Forschungsauftrag undausgestattet mit fest angestellten Ärzten, damit diese miteinander kooperieren, ganz zumWohle des Patienten. Wenn ausgerechnet in diesem Krankenhaus offensichtlich vielfach Konkurrenz statt koordinierte Kooperation herrscht und mit falschen Professorentiteln womöglich gar betrügerisch gegenüber den Patienten und dem System agiert wird, dann müsste letzten Endes nicht nur Struktur und Auftrag des CHL und die Absicherung seiner Qualität neu definiert werden. Dann steht die gesamte Klinikmedizin in Frage.
Weil das so ist, wurde noch nicht lautstark nach der Verantwortungdes Gesundheitsministers gefragt, wird die derzeitige Krise erst ganzallmählich politisch zum Thema. Eine einzige – aber keine dringende– parlamentarische Anfrage wurde von Di Bartolomeos Vorgänger Carlo Wagner gestellt, und die Fraktion der Grünen beantragte erst gestern eine Aktuelle Stunde in der Abgeordnetenkammerzum Thema Krankenhausmanagement. Die politische Klasse wartet nicht nur ab. Vielmehr ist sie überfordert davon, dass sich hier ein Thema stellt, das so wichtig wie öffentlichkeitswirksam ist, das aber auch einiges an Kompetenz und politischem Mut verlangt. Denn während hierzulande stets genug Geld zur Verfügung stand, um Krankenhausbauten zu renovieren und mit hochwertiger Technik auszustatten, waren noch nie Inhalt und Zielrichtung des Ganzen ein Thema.
So dass Mars Di Bartolomeo nun vor der Frage steht, inwieweit er den Wünschen der Gewerkschaften folgt. Ihre Kritiken und Forderungen sind eigentlich eine Einladung zur Zusammenarbeit an den Minister. Die Krankenhausgesetzgebung überarbeiten und einen neuen Spitalplan vorlegen wollte er in diesem Herbst sowieso. Nun jedoch müsste er für eine Reorganisation des CHL sorgen, und er müsste das System an sich in Frage stellen, mit all seinen Regeln, all seinen Akteuren. Gerade mal ein Jahr vor Beginn des nächsten Wahlkampfs ist die Chance aufErfolg klein. Doch wie die Dinge liegen, muss er sie nutzen.