Beim Mouvement écologique gibt es eine neue Veranstaltung: den „Geménge-Staminet“, eine lockere Gesprächsrunde, in der Gemeindevertreter mit dem Innenminister „poteren“. Der erste Stammtisch fand am Dienstag letzter Woche im Pfaffenthaler Kulturhaus „Sang a Klang“ statt. Von Méco-Vertretern wurde Innenminister Jean-Marie Halsdorf (CSV) dort auch zu seiner Haltung gegenüber der in Grass geplanten Gewerbezone befragt. Zu ihr läuft derzeit die Genehmigungsprozedur, der Innenminister entscheidet abschließend. Es gebe „Alternativen“, antwortete Halsdorf, das zeige eine im Auftrag der Direktion für Landesplanung erstellte Studie. Und er fügte hinzu: „Ech falen net ëm!“
Grass, die unmittelbar an der Grenze zu Belgien gelegene 80-Seelen-Exklave der Gemeinde Steinfort, und das im Jahr 2002 noch unter dem damaligen Bürgermeister Jean Asselborn initiierte Gewerbezonenprojekt auf brach liegendem Grünland, steht für dessen Gegner hoch symbolisch für die Bedrohung einer „schützenswerten Landschaft durch unkontrollierte Gewerbeansiedlungen“, seitdem sich unmittelbar hinter der Grenze in der Gewerbezone Sterpenich die Niederlassung eines Ikea-Möbelhauses konkretisierte. In Sterpenich ist noch viel Platz; Ikea belegt nur rund 40 Prozent der verfügbaren Fläche. Würde die Erschließung der Aktivitätszone Grass genehmigt, entstünde eine grenzübergreifende Bruttogewerbefläche von an die 50 Hektar.
Diese Größenordnung ist zwar auch in Luxemburg selbst nicht unüblich und entspräche etwa der Dimension der Zone Potaaschbierg bei Grevenmacher. Doch entlang der belgisch-luxemburgischen Grenze sind mit der Zeit zahlreiche auf die kaufkräftigen Luxemburger orientierte „Grandes surfaces“ entstanden. Und was die Küntziger Bürgerinitiative mit dem langen Namen „géint eng Autobunn duerch oder laanscht d‘Gemeng Kéinzeg“ im Verbund mit dem Mouvement écologique vor allem fürchtet, ist, dass all diese Ansiedlungen einen Vorwand bilden könnten für den Anschluss der „Collectrice du Sud“ an die Arloner Autobahn.
Dieses Projekt, an dem die Straßenbauverwaltung vor vier Jahren schon zu planen begonnen hatte, ist zwar insofern vom Tisch, als die vorige Regierung nach der Vorlage des Integrativen Verkehrs- und Landesentwicklungskonzepts (IVL) herausfand, dass es den grenzüberschreitenden öffentlichen Transport nicht fördere. Angesichts knapper Staatsfinanzen gehört zumindest gegenwärtig nicht einmal mehr der vorher für strategisch wichtig gehaltene dreispurige Ausbau der Autobahn zwischen Mamer und Düdelingen zu den Prioritäten der „Grande voirie“. Aber Bürgerinitiative und Méco wollen vorbauen. Und es bleibt, dass die „Commission d‘amenagment“ im Innenministerium das Grass-Projekt im ersten Anlauf ablehnte: es sei „disproportionné par rapport à la taille du village de Grass“, die Region profitiere vom sanften Tourismus, und das vorgeschlagene Gewerbegebiet liege nah einem potenziellen Habitat-Schutzgebiet“.
Doch als Ikea nach Sterpenich kam, segnete die gleiche Kommission „Grass“ kommentarlos in ein paar Sätzen ab. Auf mehrere Bürgereinwände hin verkleinerte die Gemeinde Steinfort ihr Projekt, versah es mit einem 20-prozentigen Grünanteil, und das zweite Votum des Steinforter Gemeinderats untersagte in der geplanten Aktivitätszone die Ansiedlung von Gewerben, die entweder starken Kundenverkehr generieren oder von sich aus straßenverkehrsintensiv sind, wie etwa Speditionen. Dieser Ende Juli letzten Jahres verabschiedete Entwurf liegt dem Innenminister nun vor, und zu ihm meint Jean-Marie Halsdorf Alternativen zu haben.
Das aber ist eine sehr komplexe Angelegenheit, denn die Auseinandersetzung um Grass steht zum einen exemplarisch für die Schwerfälligkeit der hiesigen Landesplanungspolitik. Jetzt rächt sich, dass es stets der Ansatz der CSV war, landesplanerische Fragen eher von oben herab über „Plans sectoriels“ zu regeln, anstatt im Bottom-Up-Verfahren Gemeinden innerhalb einer Region zur Aufstellung von „Plans régionaux“ zu bewegen, die ebenso verbindlich wie Sektorpläne Festlegungen über Transportwege, Wohn- und Gewerbeansiedlungen treffen können. Zwar werden derzeit Sektorpläne ausgearbeitet, der Plan über die „Zones d‘activités“ befindet sich jedoch im Embryonalstadium, ein Entwurf dürfte nicht vor Anfang 2008 vorliegen. Und in diesem Zusammenhang, schreibt der parlamentarische Ausschuss für Landesplanung in seinem Bericht zur Konsultationsdebatte gestern in der Chamber, müsste auch die Frage der finanziellen Einnahmen aus den Aktivitätszonen geklärt werden und ob etwa die Gewerbesteuer anders verteilt werden sollte. Die aber hängt untrennbar zusammen mit dem Regierungsvorschlag zur allgemeinen Territorial- und Gemeindefinanzreform, und es ist keinesfalls ausgeschlossen, dass ausgerechnet über das für mittelständische Wirtschaft und Handwerk so dringende Problem der Gewerbeflächen in dieser Legislatur nicht mehr entschieden wird.
In der Zwischenzeit können Entscheidungen über neue Gewerbestandorte nur Provisorien sein. Doch am Beispiel Steinfort geht es nicht nur um die Frage, inwiefern der Gewerbepark Grass die so genannte „Zone verte interurbaine“ zerschneiden würde, die der Mouvement écologique im IVL-Konzept zwischen Landeszentrum und Landessüden verankert sieht: Das 2003 vom Parlament verabschiedete Programme directeur zur Landesplanung erklärt Steinfort zu einem von zwölf besonders zu entwickelnden regionalen Schwerpunktzentren.
Und das heißt auch: Wirtschaftsstandort. Steinfort verfügt über eine ziemlich gut erhaltene sozio-ökonomische Struktur. Auf 4 065 Einwohner kamen bei der letzten Volkszählung 2001 über 1 700 Arbeitsplätze; die Arbeitslosenquote liegt unter dem Landesdurchschnitt. Zu fast einem Viertel arbeiten die Steinforter innerhalb ihrer Gemeinde; das ist ein sehr guter Schnitt für eine Ortschaft dieser Größe. Zahlreiche
mittelständische und Handwerksbetriebe aber befinden sich innerhalb der Ortschaft und inmitten oder in unmittelbarer Nachbarschaft zu Wohngebieten. Dass im Jahr 2002 sich an die 15 Unternehmen – darunter metallverarbeitende Betriebe, eine große Schreinerei und ein großer „Traiteur“ – für den Umzug nach Grass interessierten, hat zu tun mit Erweiterungsproblemen, die sich den Firmen stellen, und mit der innerhalb Steinforts wachsenden Verkehrsbelastung.
Wegen der unklaren Situation um Grass aber ist die Gemeinde mittlerweile von Delokalisierungen bedroht: eine Schreinerei mit 80 Arbeitsplätzen schickt sich an, nach Bissen umzusiedeln. Weitere Betriebe könnten folgen, meint Frank Steffen, Präsident der asbl Pro Zoning, die lokale Unternehmer regruppiert und für Grass eintritt.
Nicht zuletzt auch deshalb, weil in Grass günstige Terrainpreise winken. Die Gewerbezone soll auf einer Fläche entstehen, von der die Gemeinde Steinfort vor Jahren acht Hektar zu einem günstigen Preis erworben hatte. Darüberhinaus besitzt sie eine Option auf weitere 17 Hektar. Das ist eine Grundstücksreserve, die nicht der Spekulation unterliegt und den Betrieben preiswert zur Verfügung gestellt werden könnte.
Doch es sieht so aus, als könne über Grass nicht mehr objektiv diskutiert werden: Das Projekt ist zum Politikum geworden, seit der Innen- und Landesplanungsminister sich als Grass-Gegner festgelegt hat. Im März 2005 ließ Jean-Marie Halsdorf sich als zur Jahresversammlung des Mouvement écologique geladener Gast zu der Aussage hinreißen, das Projekt nicht genehmigen zu wollen. Seither steht er unter Méco-Druck. Mit der Suche nach Alternativen zu Grass beauftragte er ein Planungsbüro. Die Ergebnisse liegen vor, aber noch nicht offziell. Inofiziell kennt sie der Steinforter Schöffenrat seit letzter Woche und der Mouvement écologique auch: „Aufgrund einer Untersuchung des Innen- und Landesplanungsministeriums (soll) eine regional sinnvolle Aktivitätszone z.B. auf Wandhaff entstehen“, wusste der Umweltverband am Montag zu berichten. Vergangene Woche erinnerte er in einer Pressemitteilung den Innenminister daran, im März 2005 gesagt zu haben, was in Sterpenich geschieht, sei eine „Katastrophe für Luxemburg“, und der Méco schloss daraus, das gelte „auch für Grass“.
In Steinfort hatte man die dem Minister vorliegenden Alternativen schon vor einem Jahr studieren lassen und verworfen. Denn in der Zone „Wandhaff“ sind, seitdem die Supermarktkette Cactus und das Postunternehmen dort Vorverträge für fast alle noch zur Vergabe freien Terrains abschlossen, die Grundstückspreise auf über 25 000 Euro pro Ar gestiegen. Mit ähnlichen Preisen rechnet der Steinforter Bürgermeister Guy Pettinger (LSAP), wenn „Wandhaff“, wie geplant, ausgebaut werden soll. „Da kann keiner unserer Betriebe mithalten.“ Blieben zwei potenzielle Standorte in Kleinbettingen, an die Pettinger und sein Planungsbüro ebenfalls nicht glauben: Der eine umfasse Grundstücke nahe der Autobahn, die eigentlich laut Sektorplan „Bauschuttdeponien“ Lärmschutzwälle aus Bauschutt aufnehmen sollen. Das ist bis heute nicht so, weil die Besitzer ihr Land nicht hergeben wollten. Der zweite Standort müsste über eine Straße von Belgien her erschlossen werden – dass die neue Gewerbezone über einen Autobahnanschluss verfügen müssse, hebt auch das für Jean-Marie Halsdorf erstellte Dokument hervor. Dieser Anschluss aber wäre nur ab Sterpenich zu realisieren und würde viel Durchgangsverkehr nach Kleinbettingen bringen.
Und selbst wenn die Zone Grass nicht genehmigt wird, zeichnet sich eine Ansiedlung von Gewerbe auf belgischer Seite ab. Das Regionalsyndikat Idelux ist sehr aktiv in seiner Suche nach interessierten Betrieben, und gesucht werden vor allem Handels- und Freizeitbetriebe, die sich an ein zahlungskräftiges Luxemburger Publikum richten. Sind sie angesiedelt, stellt sich die Frage, auch Grass zu erschließen, womöglich neu. Pragmatisch gesehen, hätte der Luxemburger Landesplanungsminister nur die Möglichkeit, gemeinsam mit der belgischen Seite die Erschließung des länderübergreifenden Gewerbegebiets und die die weitere Entwicklung im Grenzraum südlich von Arlon zu steuern. Aber das würde erfordern, dass Jean-Marie Halsdorf öffentlich „umfällt“.