Innenminister Halsdorf hat sich im Dossier „Grass“ schon derart festgelegt, dass über das Gewerbezonenprojekt kaum noch objektiv diskutiert werden kann

„Ech falen net ëm!“

d'Lëtzebuerger Land vom 19.05.2006

Beim Mouvement écologique gibt es eine neue Veranstaltung: den „Ge­ménge-Staminet“, eine lockere Ge­sprächsrunde, in der Gemeindever­treter mit dem Innenminister „po­teren“. Der erste Stammtisch fand am Dienstag letzter Woche im Pfaf­fenthaler Kulturhaus „Sang a Klang“ statt. Von Méco-Vertretern wurde Innenminister Jean-Marie Halsdorf (CSV) dort auch zu seiner Haltung gegenüber der in Grass geplanten Gewerbezone befragt. Zu ihr läuft derzeit die Genehmigungsprozedur, der Innenminister entscheidet ab­schließend. Es gebe „Alternativen“, antwortete Halsdorf, das zeige eine im Auftrag der Direktion für Landes­planung erstellte Studie. Und er fügte hinzu: „Ech falen net ëm!“

Grass, die unmittelbar an der Gren­ze zu Belgien gelegene 80-Seelen-Exklave der Gemeinde Steinfort, und das im Jahr 2002 noch unter dem damaligen Bürgermeister Jean Asselborn initiierte Gewerbezonen­projekt auf brach liegendem Grün­land, steht für dessen Gegner hoch symbolisch für die Bedrohung einer „schützenswerten Landschaft durch unkontrollierte Gewerbeansiedlungen“, seitdem sich unmittelbar hinter der Grenze in der Gewerbezone Sterpenich die Niederlassung eines Ikea-Möbelhauses konkretisierte. In Sterpenich ist noch viel Platz; Ikea belegt nur rund 40 Prozent der verfügbaren Fläche. Würde die Er­schließung der Aktivitätszone Grass genehmigt, entstünde eine grenzübergreifende Bruttogewerbefläche von an die 50 Hektar.

Diese Größenordnung ist zwar auch in Luxemburg selbst nicht unüblich und entspräche etwa der Dimension der Zone Potaaschbierg bei Grevenmacher. Doch entlang der belgisch-luxemburgischen Grenze sind mit der Zeit zahlreiche auf die kaufkräftigen Luxemburger orien­tierte „Grandes surfaces“ entstan­den. Und was die Küntziger Bürger­initiative mit dem langen Namen „géint eng Autobunn duerch oder laanscht d‘Gemeng Kéinzeg“ im Verbund mit dem Mouvement éco­logique vor allem fürchtet, ist, dass all diese Ansiedlungen einen Vor­wand bilden könnten für den An­schluss der „Collectrice du Sud“ an die Arloner Autobahn.

Dieses Projekt, an dem die Straßen­bauverwaltung vor vier Jahren schon zu planen begonnen hatte, ist zwar insofern vom Tisch, als die vorige Regierung nach der Vorlage des In­tegrativen Verkehrs- und Landesentwick­lungskonzepts (IVL) herausfand, dass es den grenzüberschreitenden öf­fentlichen Transport nicht fördere. Angesichts knapper Staatsfinanzen gehört zumindest gegenwärtig nicht einmal mehr der vorher für strate­gisch wichtig gehaltene dreispurige Ausbau der Autobahn zwischen Mamer und Düdelingen zu den Pri­oritäten der „Grande voirie“. Aber Bürgerinitiative und Méco wollen vorbauen. Und es bleibt, dass die „Commission d‘amenagment“ im Innenministerium das Grass-Projekt im ersten Anlauf ablehnte: es sei „disproportionné par rapport à la taille du village de Grass“, die Region profitiere vom sanften Touris­mus, und das vorgeschlagene Ge­werbegebiet liege nah einem poten­ziellen Habitat-Schutzgebiet“.

Doch als Ikea nach Sterpenich kam, segnete die gleiche Kommission „Grass“ kommentarlos in ein paar Sätzen ab. Auf mehrere Bürgereinwände hin verkleinerte die Gemein­de Steinfort ihr Projekt, versah es mit einem 20-prozentigen Grünan­teil, und das zweite Votum des Stein­forter Gemeinderats untersagte in der geplanten Aktivitätszone die Ansiedlung von Gewerben, die ent­weder starken Kundenverkehr ge­nerieren oder von sich aus straßen­verkehrsintensiv sind, wie etwa Spe­ditionen. Dieser Ende Juli letzten Jahres verabschiedete Entwurf liegt dem Innenminister nun vor, und zu ihm meint Jean-Marie Halsdorf Al­ternativen zu haben.

Das aber ist eine sehr komplexe An­gelegenheit, denn die Auseinander­setzung um Grass steht zum einen exemplarisch für die Schwerfälligkeit der hiesigen Landesplanungspolitik. Jetzt rächt sich, dass es stets der An­satz der CSV war, landesplanerische Fragen eher von oben herab über „Plans sectoriels“ zu regeln, anstatt im Bottom-Up-Verfahren Gemein­den innerhalb einer Region zur Auf­stellung von „Plans régionaux“ zu bewegen, die ebenso verbindlich wie Sektorpläne Festlegungen über Transportwege, Wohn- und Gewer­beansiedlungen treffen können. Zwar werden derzeit Sektorpläne ausgearbeitet, der Plan über die „Zones d‘activités“ befindet sich je­doch im Embryonalstadium, ein Entwurf dürfte nicht vor Anfang 2008 vorliegen. Und in diesem Zusam­menhang, schreibt der parlamenta­rische Ausschuss für Landesplanung in seinem Bericht zur Konsultations­debatte gestern in der Chamber, müsste auch die Frage der finanziel­len Einnahmen aus den Aktivitätszo­nen geklärt werden und ob etwa die Gewerbesteuer anders verteilt wer­den sollte. Die aber hängt untrenn­bar zusammen mit dem Regierungs­vorschlag zur allgemeinen Territorial- und Gemeindefinanzreform, und es ist keinesfalls ausgeschlossen, dass ausgerechnet über das für mit­telständische Wirtschaft und Hand­werk so dringende Problem der Ge­werbeflächen in dieser Legislatur nicht mehr entschieden wird.

In der Zwischenzeit können Ent­scheidungen über neue Gewerbe­standorte nur Provisorien sein. Doch am Beispiel Steinfort geht es nicht nur um die Frage, inwiefern der Gewerbepark Grass die so ge­nannte „Zone verte interurbaine“ zerschneiden würde, die der Mou­vement écologique im IVL-Konzept zwischen Landeszentrum und Lan­dessüden verankert sieht: Das 2003 vom Parlament verabschiedete Pro­gramme directeur zur Landesplanung erklärt Steinfort zu einem von zwölf besonders zu entwickelnden regio­nalen Schwerpunktzentren.

Und das heißt auch: Wirtschafts­standort. Steinfort verfügt über eine ziemlich gut erhaltene sozio-ökono­mische Struktur. Auf 4 065 Einwohner kamen bei der letzten Volkszäh­lung 2001 über 1 700 Arbeitsplätze; die Arbeitslosenquote liegt unter dem Landesdurchschnitt. Zu fast einem Viertel arbeiten die Steinfort­er innerhalb ihrer Gemeinde; das ist ein sehr guter Schnitt für eine Ortschaft dieser Größe. Zahlreiche

mittelständische und Handwerksbe­triebe aber befinden sich innerhalb der Ortschaft und inmitten oder in unmittelbarer Nachbarschaft zu Wohngebieten. Dass im Jahr 2002 sich an die 15 Unternehmen – darunter metallverarbeitende Be­triebe, eine große Schreinerei und ein großer „Traiteur“ – für den Um­zug nach Grass interessierten, hat zu tun mit Erweiterungsproblemen, die sich den Firmen stellen, und mit der innerhalb Steinforts wachsenden Verkehrsbelastung.

Wegen der unklaren Situation um Grass aber ist die Gemeinde mittlerweile von Delokalisierungen bedroht: eine Schreinerei mit 80 Arbeitsplätzen schickt sich an, nach Bis­sen umzusiedeln. Weitere Betriebe könnten folgen, meint Frank Stef­fen, Präsident der asbl Pro Zoning, die lokale Unternehmer regruppiert und für Grass eintritt.

Nicht zuletzt auch deshalb, weil in Grass günstige Terrainpreise winken. Die Gewerbezone soll auf einer Flä­che entstehen, von der die Gemein­de Steinfort vor Jahren acht Hektar zu einem günstigen Preis erworben hatte. Darüberhinaus besitzt sie eine Option auf weitere 17 Hektar. Das ist eine Grundstücksreserve, die nicht der Spekulation unterliegt und den Betrieben preiswert zur Verfügung gestellt werden könnte.

Doch es sieht so aus, als könne über Grass nicht mehr objektiv diskutiert werden: Das Projekt ist zum Politi­kum geworden, seit der Innen- und Landesplanungsminister sich als Grass-Gegner festgelegt hat. Im März 2005 ließ Jean-Marie Halsdorf sich als zur Jahresversammlung des Mouvement écologique geladener Gast zu der Aussage hinreißen, das Projekt nicht genehmigen zu wol­len. Seither steht er unter Méco-Druck. Mit der Suche nach Alterna­tiven zu Grass beauftragte er ein Planungsbüro. Die Ergebnisse lie­gen vor, aber noch nicht offziell. Inofiziell kennt sie der Steinforter Schöffenrat seit letzter Woche und der Mouvement écologique auch: „Aufgrund einer Untersuchung des Innen- und Landesplanungsminis­teriums (soll) eine regional sinnvolle Aktivitätszone z.B. auf Wand­haff entstehen“, wusste der Umweltverband am Montag zu berich­ten. Vergangene Woche erinnerte er in einer Pressemitteilung den In­nenminister daran, im März 2005 gesagt zu haben, was in Sterpenich geschieht, sei eine „Katastrophe für Luxemburg“, und der Méco schloss daraus, das gelte „auch für Grass“.

In Steinfort hatte man die dem Mi­nister vorliegenden Alternativen schon vor einem Jahr studieren las­sen und verworfen. Denn in der Zone „Wandhaff“ sind, seitdem die Supermarktkette Cactus und das Postunternehmen dort Vorverträge für fast alle noch zur Vergabe freien Terrains abschlossen, die Grund­stückspreise auf über 25 000 Euro pro Ar gestiegen. Mit ähnlichen Preisen rechnet der Steinforter Bürgermeister Guy Pettinger (LSAP), wenn „Wandhaff“, wie geplant, ausgebaut werden soll. „Da kann keiner un­serer Betriebe mithalten.“ Blieben zwei potenzielle Standorte in Klein­bettingen, an die Pettinger und sein Planungsbüro ebenfalls nicht glau­ben: Der eine umfasse Grundstücke nahe der Autobahn, die eigentlich laut Sektorplan „Bauschuttdepo­nien“ Lärmschutzwälle aus Bau­schutt aufnehmen sollen. Das ist bis heute nicht so, weil die Besitzer ihr Land nicht hergeben wollten. Der zweite Standort müsste über eine Straße von Belgien her erschlossen werden – dass die neue Gewerbezone über einen Autobahnanschluss verfügen müssse, hebt auch das für Jean-Marie Halsdorf erstellte Doku­ment hervor. Dieser Anschluss aber wäre nur ab Sterpenich zu realisie­ren und würde viel Durchgangsver­kehr nach Kleinbettingen bringen.

Und selbst wenn die Zone Grass nicht genehmigt wird, zeichnet sich eine Ansiedlung von Gewerbe auf belgischer Seite ab. Das Regional­syndikat Idelux ist sehr aktiv in seiner Suche nach interessierten Betrieben, und gesucht werden vor allem Handels- und Freizeitbe­triebe, die sich an ein zahlungskräf­tiges Luxemburger Publikum rich­ten. Sind sie angesiedelt, stellt sich die Frage, auch Grass zu erschlie­ßen, womöglich neu. Pragmatisch gesehen, hätte der Luxemburger Landesplanungsminister nur die Möglichkeit, gemeinsam mit der belgischen Seite die Erschließung des länderübergreifenden Gewer­begebiets und die die weitere Ent­wicklung im Grenzraum südlich von Arlon zu steuern. Aber das würde erfordern, dass Jean-Marie Halsdorf öffentlich „umfällt“.

Peter Feist
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