Der Syvicol will die Gemeindefinanzen fest an die des Staates koppeln, der Innenminister einen Konsens zur Territorialreform haben, und der Staat will Geld sparen

Dotationsstreit

d'Lëtzebuerger Land vom 17.03.2006

In einer Tabelle, die die Abteilung für Gemeindefinanzen im Innenministerium erstellt hat, sieht alles gar nicht so schlimm aus. Die den Ge- meinden vom Staat vor vier Wochen überwiesene letzte Tranche für 2005 aus dem kommunalen Dotations fonds fiel zwar so niedrig aus, dass die Kommunen anstelle der geplanten 513 Millionen insgesamt nur 467 Millionen Euro erhalten haben. Aber hatte nicht schon im Spätherbst 2002 der damalige Innenminister Michel Wolter in einem Rundschreiben dazu ermahnt, Reserven zu bilden, weil sich ab 2004 ein Rückgang im Gewerbesteueraufkommen abzeichnete? Und waren damals nicht 126 Millionen Euro auf die Seite gelegt worden? Waren aus dieser Reserve 2004 nicht lediglich 9,8 Millionen entnommen worden, und rund sechs Millionen im Jahr 2005?

Würde jetzt zum Ausgleich der fehlenden 46 Millionen Euro die Reserve erneut angezapft, wäre sie seit 2004 um insgesamt nur an die 62 Millionen erleichtert worden und es bliebe ein Saldo von 64 Millionen. Vielleicht sogar noch mehr, da sich erst kürzlich herausstellte, dass die kommunalen Gewerbesteuereinnahmen im letzten Jahr um über neun Millionen Euro höher als geplant ausfielen.

Doch diese „Reserve“ ist kein zentraler Geldtopf, aus dem sich bedienen könnte, wer es nötig hat, sondern die Addition aller von den damals 118 Gemeinden gebildeten Rücklagen. Wie sie sich aufteilen, kann die Gemeindefinanzabteilung im Innenministerium „nicht so einfach sagen“. Dass „nur Kommunen, denen es sowieso gut geht, Reserven anlegen konnten“, meint Jean-Pierre Klein, Präsident des Gemeindeverbands Syvicol. Und so gab es am Dienstagnachmittag in der Chamber einige Unruhe in der Aktuellen Stunde zum Thema Gemeindefinanzen, als Innenminister Jean-Marie Halsdorf (CSV) aus der Tabelle seiner Finanzbeamten vorlas, sinngemäß meinte, wer keine Reserven angelegt hat, sei selber Schuld, und darauf hinwies, dass zwischen 1981 und 2005 das verfügbare Einkommen der Gemeinden indexbereinigt immerhin um das Zweieinhalbfache wuchs.

Denn falls es stimmt, dass kaum mehr als eine Handvoll Gemeinden über Reserven verfügen, dann kön- nen die anderen zumindest in den letzten Jahren so schlecht nun auch wieder nicht gewirtschaftet haben. Abzüglich der vereinzelten Reserven wuchs das „Revenu disponible des communes“ zuletzt 2002 im Vergleich zum Vorjahr um zehn Prozent und damit viel stärker als die Inflationsrate und die jährlich min destens einmal fällige Indextranche Sach- und Gehälterkosten steigen lassen. 2003 wuchs das verfügbare Gemeindeeinkommen nur noch um 3,4 Prozent, 2004 fiel es um 3,8 Prozent und dürfte 2005 dank der doch höheren Gewerbesteuer um 0,5 Prozent gegenüber dem Jahr zu vor gestiegen sein.

Im Grunde geht es auch gar nicht um den 2005 entstandenen Verlust aus dem Dotationsfonds, sondern um die Exegese der 2001 beschlos- senen Gewerbesteuerreform. Und um die Frage, was in den kommenden Jahren werden soll, und wie es Innen- minister Halsdorf gelingen kann, eine Finanzverteilungsdiskussion zu führen, während Verteilungskämpfe drohen.

Denn als Halsdorfs Vorgänger Wolter im November 2002 zur Reservenbildung mahnte, bahnte sich an, was nur ein Jahr vorher Premier und Finanzminister Jean-Claude Juncker als Worst-Case-Szenario ausgegeben hatte: ein empfindlicher Rückgang der Gewerbesteuereinnahmen. Diese kommunal erhobene Steuer auf den Betriebsgewinn macht nach einer Rückverteilung zum Gemeindefinanzausgleich rund ein Drittel der Einnahmen in den „budgets ordinaires“ der Kommunen aus. CSV und DP hatten 1999 in ihrem Koalitionsprogramm aus heiterem Himmel die Gewerbesteuer abschaffen wollen, ohne zu wissen, wodurch sie ersetzt werden könnte. Es folgte ein Streit, der auch die eigenen Reihen spaltete, und im Oktober 2001 einigten sich Regierung und Syvicol, lediglich die Bemessungsgrundlage der Gewerbesteuer um ein Viertel zu senken. Sollten die Einnahmen daraus unter den Stand von 2001 und 461 Millionen Euro geraten, werde der Staat kompensierend einspringen – falls er es sich leisten kann. Doch schon 2001 war das BIP-Wachstum von zuvor neun auf ein Prozent abgesackt, was insbesondere den Finanzsektor betraf, der mehr als drei Viertel des Gewerbesteueraufkommens liefert.

Da die Gewerbesteuer mit der Körperschaftssteuer eingezogen wird und die Steuerverwaltung bemüht war, verstärkt Außenstände einzutreiben, waren 2002 und 2003 die erhöhten Gewerbesteuereinnahmen mit 546 bzw. 540 Millionen Euro ein Nachschlag des Wirtschftsbooms bis zum Jahr 2000. 2004 fielen die Einnahmen auf 455 Millionen Euro und erstmals unter die magischen 461 Millionen, auf die Kompensationen folgen sollten. Nötig waren sie nicht unbedingt ausdrücklich: einerseits wurden Reserven angelegt, andererseits wuchs der Dotationsfonds der Gemeinden, der das zweite Drittel ihrer ordentlichen Einnahmen bildet, um 50 Millionen Euro. Über den „Fonds communal de dotation financière“ (FCDF) fließen zehn Prozent der staatlichen Mehrwertsteuereinnahmen, 20 Prozent der Kfz-Steuer und 18 Prozent der Lohn- und Einkommenssteuer plus ein Festbetrag an die Gemeinden – wiederum nach einem Finanzausgleichsschema. Eigentlich sollte der FCDF 2005 um weitere 37 Millionen Euro zulegen.

Stattdessen sinkt sein Volumen gengenüber dem Vorjahr um neun Millionen wegen TVA-Verlusten, die Budgetminister Luc Frieden schon im Dezember 2005 auf einen „Schätzfehler“ seinerseits zurückgeführt hatte. Womöglich aber habe Frieden sich nicht nur um 300, sondern um 600 TVA-Millionen verschätzt, wollte ADR-Fraktionschef Gast Gybérien am Dienstag wissen. Jean-Marie Halsdorf erklärte, „kein Prophet“ zu sein und die weitere Entwicklung nicht vorhersagen zu können. Mitte Februar war er noch überzeugt, der TVA-Ausfall sei „einmalig“.

Eine fundamentale Änderung der Gemeindefinanzierung kommt für den Innenminister erst in Frage, wenn der parlamentarische Spezialausschuss „Territorialreform“ definiert haben wird, welche „Basisdienste“ jede Gemeinde jedem Bürger zu vergleichbaren Preisen an- bieten soll, und es einen Konsens über den Weg hin zu Gemeindefusionen und Gemeindeverbünden gibt. Zumindest innerhalb des Ausschusses ist es bisher gelungen, die akute Finanzfrage außen vor zu lassen und einigermaßen sachlich und in neun Kapiteln darüber zu sprechen, was kommunale Basisdienste sein sollen und welche besser der Staat übernehmen sollte.

Fragt sich nur, ob es bei dieser Disziplin bleibt. Nicht nur im Ausschuss, auch „draußen im Land“. Selbst in CSV-regierten Gemeinden wächst der Unmut an die Adresse der gesamten Regierung über die im Koalitionsvertrag versprochene, aber noch nicht in Angriff genommene Grundsteuerreform, die nicht nur Baulandspekulationen eindämmen, sondern auch eine zusätzliche Einnahmequelle für die Gemeinden bilden soll. Daneben enthält Jean- Marie Halsdorfs Vorhaben, die Verteilung der Gewerbesteuereinnahmen „solidarischer“ zu gestalten, Konfliktpotenzial: Schon demnächst soll per Gesetz der Maximalbetrag gedeckelt werden, den eine Gemeinde aus dem Gewerbesteuertopf bezieht. Das würde Verzicht vor allem für Betzdorf und die Hauptstadt, aber auch für Niederanven oder Strassen bedeuten.

Aber andererseits soll in den kommenden Monaten der Sektorplan „Logement“ zur Landesplanung konkretisiert und festgelegt werden, wie in den laut dem Integrativen Verkehrs- und Landesentwicklungskonzept (IVL) bevorzugt zu entwickelnden „Centres d’attraction“ gebaut werden soll. Wenn im Gespräch ist, dass Gemeinden, die sich an Bebauungs-Pilotprojekten mit dem Innenministerium beteiligen, einen Zuschuss von 1 000 Euro pro Einwohner erhalten sollen, muss verhindert werden, dass sich Gemeinden, die kein Attraktivitätszentrum sein sollen, benachteiligt vorkommen: 1 000 Euro pro Einwohner ist immerhin mehr als halb soviel, wie in den letzten fünf Jahren durchschnittlich an jede Kommune aus dem Gewerbesteuerfonds floss.

Vielleicht aber kommt es am Ende ganz anders, denn hinter der Entwicklung der Gewerbesteuereinnahmen steht ein großes Fragezeichen. Im Innenministerium geht man nach wie vor davon aus, dass sie langsam, aber stetig steigen werden. Aber schon in den Gesprächen zur Aufstellung des Staatshaushalts 2006 hielt es die Steuerverwaltung für wahrscheinlich, dass sie ab 2007 um bis zu 30 Prozent sinken und sich auf diesem Stand einpendeln. Eine ähnliche Entwicklung hatte der Rechnungshof für die Körperschaftssteuer prognostiziert, die auf der gleichen „assiette“ basiert wie die Gewerbesteuer. Am Ende könnten auch territorial reformierte und in ihren Zuwendungen vom Staat zu einem festen Prozentsatz an die Entwicklung seiner Einnahmen gekoppelte Gemeinden nicht anders können, als volle Kostendeckung für immer mehr ihrer Leistungen an die Bürger zu verlangen. Beziehungsweise über nur noch wenig Spielraum verfügen, um Sozialpolitik zu betreiben.1,2 Millionen Euro an Staatsausgaben bis zum Ende der Legislatur einsparen will die Regierung ja auch.

Peter Feist
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