„Unseren Betrieben fehlt es an Platz.“ Zu dieser Feststellung kommt die Handwerkskammer nach einer Befragung ihrer größten Mitgliedsunternehmen: Transportfirmen, Baubetriebe, Autohäuser mit angeschlossener Werkstatt, Druckereien. 160 würden „sofort oder in naher Zukunft“ ihren Betrieb am derzeitigen Standort entweder erweitern, oder von dort dahin verlegen, wo mehr Platz zur Verfügung steht. Alles in allem würden dafür 113 Hektar Gewerbefläche benötigt.
Eigentlich dürfte dieser Bedarf keine Probleme aufwerfen. 113 Hektar entsprechen zwar, grob geschätzt, ungefähr 113 Fußballfeldern. Landesweit sind jedoch rund 1 200 „Fußballfelder“ für Industrie und Gewerbe, für Dienstleistungen und Büros „disponibel“ – und das im Rahmen der zurzeit gültigen Bebauungspläne. So hält es die Mitte März vorgestellte Studie zum Integrativen Verkehrs- und Landesentwicklungskonzept (IVL) fest. Kein Grund zur Aufregung also für das Handwerk, den Sektor, der im letzten Jahr boomte wie kaum ein anderer, in der Wertschöpfung mit der Industrie gleichzog und die Zahl der Beschäftigten mehr als verdoppelte? Wahrscheinlich doch. Denn der Begriff „disponibel“ ist klärungsbedürftig. „Die 1 200 Hektar entsprechen dem, was theoretisch da sein müsste“, sagt Philippe Peters von der Direktion für Landesplanung (Datur) im Innenministerium vorsichtig. Denn alle Theorie ist bekanntlich grau, und kein Aspekt der Raumplanung befindet sich noch immer in einer solchen Grauzone wie die Erfassung und das Management von Gewerbe- und Büroflächen.
Das der kommunalen Flächen, muss man einschränken, um dem Wirtschaftsministerium nicht Unrecht zu tun. Drei Typen von Industrie- bzw. Aktivitätszonen gibt es: Nationale Industriezonen wurden ab Ende der 1970-er Jahre eingerichtet; zunächst im Landessüden, um die Auswirkungen der Stahlkrise abzumildern, später auch in anderen Regionen. Ab Ende der 1980-er Jahre wurden Gemeinden zur Gründung interkommunaler Syndikate ermutigt, die Betreiber regionaler Aktivitätszonen in strukturschwachen Gegenden werden sollten. Während das Wirtschaftsministerium die nationalen Industriezonen selbst verwaltet, arbeitet es mit den Betreibern regionaler Zonen eng zusammen, da der Staat deren Erschließung zu 85 Prozent subventioniert. Die administrative Praxis bringt es mit sich, dass über Flächenreserven, Auslastungsgrad und Nutzungsweise regionaler Zonen ebenso viel Transparenz herrscht wie über nationale. Das ist anders bei kommunalen Zonen, dem dritten Typus. Sie dürften allerdings das Gros der 1 200 theoretisch verfügbaren Hektar umfassen: Ende 2003 waren laut Wirtschaftsministerium 256 Hektar in 15 nationalen Industriezonen „disponibel“, in 13 regionalen 126 Hektar. Rechnerisch bleibt ein Rest von 818 Hektar. Von ihnen ist zwar ungefähr bekannt, wo sie liegen: Als die IVL-Studie entstand, wurden die allgemeinen Bebauungspläne der 118 Gemeinden mit sämtlichen Katasterplänen sowie mit Luftaufnahmen abgeglichen. Für alle drei Typen von Aktivitätszonen hatten sich insgesamt über 1 800 Hektar Bruttofläche ergeben und rund 1 700 Hektar netto nach Abzug rechtsverbindlicher Beschränkungen, denen die Erschließung von Aktivitätszonen wegen des Naturschutzes oder der Hochwasservorsorge unterliegt. Lediglich abgeschätzt aber wurde, welcher Flächenanteil „mobilisierbar“ wäre und damit „disponibel“ zu in der Summe 1 200 Hektar würde. 80 Prozent könnten es in den nationalen und regionalen Zonen sein, lautete die Annahme, weil in beiden Fällen das Wirtschaftsministerium ins Flächenmanagement eingreift. Für kommunale Zonen ging man von 60 Prozent Mobilisierungsgrad aus.
Die schlechte Nachricht für Interessenten an Gewerbe- und Büroflächen ist nicht nur die, dass die Mobilisierbarkeit der 1 200 Hektar nicht für die nahe Zukunft angenommen wird, sondern bis zum Jahr 2020. Erschwerend für Handwerksbetriebe etwa kommt hinzu, dass zumindest den größeren von ihnen auch nationale Industriezonen zwar prinzipiell offen stehen. Die zurzeit erschlossenen Flächen aber sind entweder schon knapp oder bereits mit Optionen belegt, rechnet Guy Arend, der zuständige Beamte im Wirtschaftsministerium, vor. Selbst frisch erschlossene Flächen, wie die 22 Hektar am Krakelshaff bei Bettemburg, sind schon vergeben. Andere sind für die „schwerere Industrie“ reserviert. Mehr als ein Drittel der in den nationalen Zonen als „disponibel“ angebenen 256 Hektar sind noch in der Projektphase und werden erst in einigen Jahren zur Verfügung stehen: 40 Hektar in der erweiterten Industriezone Gadderscheier bei Differdingen/Sassenheim und 50 Hektar auf der früheren Ehleringer Schlackenhalde. „Und es ist nicht so“, sagt Guy Arend, „dass wir Flächen aufkaufen und sie dann in fünf Jahren zu vergeben veruchen. Wir brauchen langfristige Reserven.“ Auch, um Konzept-Zonen realisieren zu können wie am Multimedia-Standort in Betzdorf, auf dem von zehn erschlossenen Hektar noch 4,5 Hektar frei, aber „themengebunden“ sind.
Interessanter, weil offener für Klein- und Mittelbetriebe, sind regionale Zonen. Auch der Grundstückspreise wegen: mit staatlich garantiertem „droit de superficie“ vergibt das Betreibersyndikat der Zone das Grundstück zum Vorzugspreis an den Interessenten, der damit jedoch nicht handeln darf, bei Betriebsaufgabe den Gebäudeverkauf unter Kontrolle des Syndikats vornehmen und das „droit de superficie“ zurückgeben muss. Nicht zuletzt die dadurch eingedämmte Spekulation habe regionale Aktivitätszonen zur „success story“ gemacht, sagt Guy Arend. Doch die Medaille des Erfolgs hat ihre Kehrseite: Von 126 als „disponibel“ in regionalen Zonen ausgewiesenen Hektar sind es momentan tatsächlich nur 68. Ehe weitere zehn am Potaschbierg bei Grevenmacher zur Verfügung stehen, können noch Jahre vergehen, weil die Grundstücke sich noch in Privatbesitz befinden, und die 48 Hektar bei Roost/Bissen befinden sich noch im Embryonalstadium: das Betreibersyndikat wurde noch nicht gegründet.
Wenn 68 Hektar in regionalen Zonen allein aus dem Handwerk eine fast doppelt so große Nachfrage gegenüber steht, wächst der Druck, für Klarheit über das Angebot der kommunalen Zonen zu sorgen. Neu ist er nicht. 1987 hatte die Regierung zum ersten Mal eine Studie über Gewerbe- und Büroflächen in Auftrag gegeben. 2 532 Hektar wurden insgesamt gezählt; 843 Hektar davon als belegt. Angesichts dieser Zahl wurde gefolgert, dass das Angebot die Nachfrage wohl bis zum Jahr 2010, wenn nicht sogar bis 2020 übersteigen werde. Die bestehende Zonierung könne deshalb für wenigstens zehn Jahre eingefroren werden. Wie rasch und mit welcher Qualität die verbleibenden Flächen erschlossen werden, sagte diese Studie allerdings nicht. Dass sich „alarmierend wenig“ tue, rechnete die Handwerkskammer zwei Jahre später vor. Eine nächste Studie im Regierungsauftrag ermittelte im Februar 1992 eine „disponible“ Fläche von 963 Hektar, davon die Hälfte in kommunalen Zonen, deren Zahl mit 225 angeben wurde. Vier Jahre zuvor hatte man 203 gezählt. Dieses Resultat wurde von der Handelskammer angefochten, die 963 „disponible“ Hektar für unrealistisch und das tatsächliche Angebot für „plutôt limité“ hielt. Woraufhin eine interministerielle Arbeitsgruppe für endgültige Klärung und eine Datenbank sorgen sollte – immerhin schien die Vorstellung absurd, dass im Kleinstaat Luxemburg keine präzise Erhebung genutzter und verfügbarer Flächen möglich sein sollte. Die Ergebnisse lagen im Mai 1994 vor: Da nationale und regionale Zonen vom Wirtschaftsministerium verwaltet bzw. mitverwaltet werden, bezogen sie sich nur auf kommunale Flächen. Waren 1992 insgeamt 225 kommunale Zonen gezählt worden, ergaben sich jetzt 210. War die „disponible“ Fläche mit 486 Hektar ermittelt worden, erhob man jetzt lediglich 275 Hektar in 59 Zonen mit Flächenreserven. Doch: 94 Prozent davon (259 Hektar) waren noch gar nicht erschlossen.
Realitätsnah dürfte dieses Ergebnis deshalb gewesen sein, weil es nicht von einem privaten Expertenbüro erhoben wurde, sondern von sechs „enquêteurs“ mit Regierungsauftrag. „Erhebt man solche Daten, ist man auf die Mitarbeit der Gemeinden angewiesen“, wird im Wirtschaftsministerium wie in der Datur im Innenministerium geurteilt. Und Guy Arend ist skeptisch, ob es der Union des entreprises luxembourgeoises gelingen wird, zuverlässige Ergebnisse zusammenzutragen: Seit Sommer letzten Jahres ist die UEL dabei, die Übung der Regierungsermittler von 1993/94 zu wiederholen. Zwar wird sie dabei vom Syvicol unterstützt, und UEL-Beraterin Netty Klein will sich nicht beklagen über eine etwa mangelnde Kooperationsbereitschaft der Gemeinden. Inwiefern die UEL-Resultate jedoch tatsächlich nicht nur die bereits baulich erschlossenen und damit tatsächlich „disponiblen“ Flächen wiedergeben werden, sondern auch differenzieren können in deren Eignung für unterschiedliche Betriebe, weil etwa eine ausreichende Abwasserentsorgung zur Verfügung steht, ist offen. Letzte Klärung wird allein jene Datenbank bringen können, die schon vor zwölf Jahren angedacht worden war und von den Landesplanern im Innenministerium für dringend nötig gehalten wird.
Die Frage wird sein, ob sie auch dann eingerichtet werden wird, falls die politischen Diskussionen um den sektoriellen Plan „Zones d’activités“ noch nicht abgeschlossen sind. Noch haben sie nicht begonnen; auf die Ausarbeitung des Sektorplans einigten sich Wirtschafts- und Innenministerium, nachdem die IVL-Studie vorlag.
Immerhin aber will Innenminister Michel Wolter nicht nur zum „Flächenmanagement“ sämtlicher Zonen übergehen, sondern bestehende Zonen „nachverdichten“ und kommunale Gewerbegebiete möglichst regionalisieren lassen. Damit verbunden wäre nicht nur ein Eingriff in die Gemeindeautonomie, sondern auch einer in den Grundstücksmarkt. Ein Vorhaben, das groß genug ist, um Jahre in Anspruch zu nehmen, in denen sich erst einmal nichts tut.
Peter Feist
Kategorien: Landesplanung, Parlamentswahlen 2004
Ausgabe: 29.04.2004