Die römisch-katholische Kirche Luxemburgs hat am 16. Januar 2015, zusammen mit anderen Reli-gionsgemeinschaften, mit den Vertretern der Regierung eine neue Konvention ausgehandelt, in der die Abschaffung des Religionsunterrichtes beschlossen wurde. Erzbischof Jean-Claude Hollerich hat den neuen Text, der das Verhältnis der römisch-katholischen Kirche zum Staat neu regelt, unterschrieben und damit einen jahrzehntelangen Dienst an der Bildung der Kinder und Jugendlichen aufgegeben. Dieser war eine geistige Frucht des Zweiten Vatikanischen Konzils.
Damit hat in der neueren Geschichte Europas zum ersten Mal nach dem Zweiten Weltkrieg ein Bistum einen von der Mehrheit der Jugendlichen gewählten Religionsunterricht aufgegeben. Wie ist das möglich gewesen?
Als ich diese Frage kürzlich einem Priester stellte, wies er auf die Nacht hin, in der Jesus vom Hohen Rat der jüdischen Priester wie von den Vertretern der römischen und der jüdischen Staatsmacht zum Tode verurteilt wurde. Obwohl ihm keine konkrete Missetat nachgewiesen werden konnte, musste die Verurteilung schnell über die Bühne gehen. So ähnlich sind, dem Priester zufolge, wenn nicht in einer Nacht, so doch in einer Woche, den Religionslehrern und -lehrerinnen, in der Grundschule (Fondamental) und in den weiterführenden Schulen ihre Kompetenz und ihr Wirken gekündigt worden. Ihr Beitrag zur Bildung und Humanisierung der Schüler in Sachen Glauben und Wissen soll in Zukunft nicht mehr möglich sein. Übergeordnete religionspolitische Interessen haben, in Kürze, genau wie beim Galiläer, den Verlauf der Geschichte anders bestimmen wollen.
Aber warum diese Eile, und wieso hätte nicht ein Kompromiss gefunden werden können, wenn seit gut vierzig Jahren der Religionsunterricht von den Vertretern des Staates und den Vertretern des Bistums neben dem wertneutralen Ethikunterricht bestehen konnte? Dabei fehlen von staatlicher Seite bis heute die inhaltlichen Argumente für dessen Abschaffung.
Auch bei Jesu Verurteilung war von beiden Seiten kein Kompromiss möglich und gewollt. Die Regierungsvertreter und die Vertreter des Erzbistums haben befunden, dass in Luxemburg die Religion zur Privatsache werden soll. Mit der Verurteilung und dem Tod des Nazareners, dessen Botschaft und Wirken öffentlich unter dem Volk verkündet und gelebt wurden, wurde das jüdische Volk (wieder) in die Schranken einer kontrollierten Privatreligion verwiesen, sowohl durch die jüdischen Hohepriester als auch durch den König Herodes und den römischen Statthalter Pontius Pilatus. Damit war die Kontrolle über das Religiöse wieder gesichert. Mit dem Juden Jesus war zu viel Freiheit und das Reich des Vaters zu stark öffentlich und für viele nachvollziehbar geworden.
In diesem Artikel sollen vor allem die Rolle und die Verantwortung der Vertreter des Bistums hinterfragt werden. Der Religionsunterricht, wie er vor einem Vierteljahrhundert unter Mitwirkung der staatlichen Instanzen in den öffentlichen Schulen Luxemburgs Eingang fand (wobei noch mindestens fünfzehn Jahre vorausgehende Überlegungen und ein reger Erfahrungsaustausch stattgefunden hatten), ist der Versuch gewesen, das Angebot der christlichen Botschaft und deren Werte, in ihrer Beziehung zum Leben und zur gelebten Geschichte zu vermitteln und/oder zur Diskussion zu stellen. Vor dem Hintergrund der christlichen Vergangenheit Luxemburgs, die in vielen Familien heute noch einen Platz im Leben findet (bei den meisten portugiesischen Familien ist dies ebenfalls der Fall), sollte in der und durch die (schulische) Bildung im Religionsunterricht dieser Zusammenhang erhalten bleiben.
In Luxemburg hat im 19. und 20. Jahrhundert der Kulturkampf zwischen den Vertretern der Kirche und der Laizisten stattgefunden. Erst nach den Achtundsechziger Jahren einigte man sich auf eine Kompromissformel über den Religionsunterricht und den Ethikunterricht. Damit sollte Schülern und Eltern die Freiheit der Wahl zwischen Religionsunterricht und Ethikunterricht (und bis vor gut fünfzehn Jahren auch mit der Freistellung von beiden) gegeben werden. Damals waren sich die laizistischen Kreise und Parteien sicher, dass der Religionsunterricht von selbst verschwinden werde. Die Schüler würden ihn nicht mehr wählen, da er als lebensfeindlich, überlebt und sinnlos angesehen wurde. Aber die laizistische Prophezeiung hat sich nicht bewahrheitet. Die demokratische Wahl der Eltern und Schüler für das eine oder andere dieser Fächer hat dazu geführt, dass 2015, im Jahr seiner Abschaffung, 58 Prozent der Schüler in allen öffentlichen Schulen Luxemburgs diesen Religionsunterricht gewählt haben.
Da die Prophezeiung der Laizisten nicht eintraf, musste von ihnen ein anderer Weg gefunden werden, um den Religionsunterricht loszuwerden. Dieser Weg konnte nur ein undemokratischer sein, da es demokratisch nicht möglich war. Dies musste im Interesse und mit dem Einverständnis der offiziellen Vertreter des Staates und der Kirche geschehen.
Die Kündigung der bisherigen Konvention zwischen Staat und katholischer Kirche ist für die laizistische Regierung die Gelegenheit gewesen, hinter verschlossenen Türen eine neue Konvention abzuschließen. Kein Vertreter der Religionslehrer durfte an den Sitzungen teilnehmen und wissen, was lief. Die Unterschrift der beiden Seiten soll belegen, dass Kirche wie Staat mit dem Resultat einverstanden sind, so wie bei Pontius Pilatus und den jüdischen Hohepriestern, im Sinne gemeinsamer Interessen.
Wer sind nun diese Vertreter auf Seiten des Staates und auf Seiten der Kirche, die dies auf undemokratische Weise und quasi in einer „Nacht-und-Nebelaktion“ unter Ausschluss des (Kirchen-)Volkes geschafft haben?
Auf Seiten der drei Regierungsparteien haben wir es mit dem atheistischen Weltbild zu tun, das in der Bildung das allein bestimmende sein soll. Das heißt dann auch, dass die Religion eine reine Privatsache sei; dies legitimiert ihre Verdrängung aus der Öffentlichkeit und ihren Ausschluss von staatlicher Unterstützung. Zu diesem Weltbild gehört auch, dass es außer materieller Wirklichkeit nichts gibt. Da die Religion behauptet, primär eine Angelegenheit des Geistes und der Seele zu sein, gehört sie nicht in dieses Wirklichkeitsverständnis.
Interessant ist zu bemerken, dass zur Zeit der Unterzeichnung der neuen Konvention Umfragen unter dem Volk zeigten, dass die regierenden Parteien sicher keine demokratische Mehrheit der Wähler hinter sich hatten. Auch musste das Referendum zur Frage, ob der Staat die Religionsgemeinschaften weiter unterstützen soll, verschwinden. Denn vielleicht hätte eine knappe Mehrheit des Volkes sich für die weitere Unterstützung der Kirchen und Religionsgemeinschaften ausgesprochen. Viele Luxemburger, auch wenn sie nur entfernt gläubig sind, betrachten die katholische Kirche durchaus als zugehörig zur Luxemburger Kultur, die natürlich erhalten bleiben soll. Eine Abschaffung der Sichtbarkeit dieser Kirche bedeutet für viele auch das Verschwinden eines Teiles der Luxemburger Kultur.
Auf Seiten der römisch-katholischen Kirche haben wir es mit einer erst in den letzten Jahren eingesetzten Leitung zu tun: dem Erzbischof Jean-Claude Hollerich, dem Generalvikar Erny Gillen und dem Bischofvikar für Bildung und Forschungsarbeiten Jean Ehret, der auch Regens des Priesterseminars und des Centre Jean XXIII ist. Alle drei sind nicht in einem demokratischen Wahlprozess vom Kirchenvolk bestimmt worden und da sie nie Religionslehrer an öffentlichen Schulen Luxemburgs waren, ist ihnen die Realität der Religionslehrer und der Schüler und Eltern weitgehend fremd.
Hinzu kommt, dass Luxemburg vor ein paar Jahren einen Erzbischof bekam, der mehr als zwanzig Jahre außer Landes war und somit die hiesige Realität in vielen Bereichen ungenügend kennt. Was den Religionsunterricht anbelangt, trifft dies sicher zu, denn kein Bischof verlässt gerade den Teil seines theologisch und religionspädagogisch gebildeten Kirchenvolkes, das die Vermittlung des religiösen Wissens sichert. Es sei denn, er reiht sich ein unter die Hirten, die beschlossen haben, einen Teil ihrer „Schafe nicht mehr zu weiden“! (Ez 34,4b)
Die Tatsache, dass Dutzende Religionslehrer und -lehrerinnen ein gutes Vierteljahrhundert am Programm und an der Umsetzung eines modernen Religionsunterrichtes mitgearbeitet haben, ist für die Kirchenvertreter und Unterzeichner nicht wichtig gewesen. Alles soll aufhören und übergeordneten Interessen weichen; auch scheint es nicht nötig zu sein, dem Kirchenvolk ein neues Konzept der religiösen Bildung anzubieten, noch zu sagen, wer das Boot eigentlich steuert und wohin die Fahrt jetzt gehen soll.
Kein Vertreter der Religionslehrer durfte bei den Verhandlungen und Schlussdiskussionen anwesend sein. Eine pastoraltheologisch verheerende Situation; und es rächt sich ein technokratisches und vom eigenen Volk distanziertes Vorgehen, das weit entfernt ist von dem Juden Jesus und seiner Botschaft der Nächstenliebe. Es erinnert mich stark an Ezechiel 34, wo die Hirten ihre Schafe einfach im Stich lassen und nicht mehr nach ihnen schauen.
Heute gibt es an allen Schulen Luxemburgs, sowohl in der Grundschule (Fondamental) als auch in allen weiterführenden Schulen, gut ausgebildete Reli-gionslehrerInnen, die die staatlichen Kriterien fürs Unterrichten an den Schulen bestanden haben. Mit diesem Potenzial müsste das Bestehende weiter verbessert werden; denn damit wäre das Kirchenvolk einverstanden gewesen und hätte sich dazu bereit erklärt, mit der Regierung zu streiten und öffentlich zu protestieren. Der Marsch von Fir de Choix, der nach Ostern 2014 in der Hauptstadt Luxemburg stattfand, hat dies gezeigt.
Stattdessen ließen sich die drei Bistumsvertreter Hollerich, Gillen und Ehret ausschließlich von finanziellen Engpässen leiten und nicht von pastoralen Überlegungen und vom Geist des Zweiten Vatikanums. Auch hätte unbedingt verlangt werden müssen, dass sich mehr Zeit genommen wird und die betroffenen Menschen vor Ort eingebunden werden.
Aber das durfte nicht sein, denn dann wäre der Religionsunterricht in Luxemburg wahrscheinlich nicht „gestorben“. Dies aber ist notwendig gewesen, damit andere Interessen von Staat und Kirche erfüllt werden. Die moralischen Folgen ihrer Taten können die Verantwortlichen bei Ezechiel Kapitel 34 nachlesen.
Mir ist bis heute noch kein Religionslehrer begegnet, der mit der neuen Konvention zufrieden ist und sich über deren Beschlüsse freut. Erzbischof Jean-Claude Hollerich, Generalvikar Erny Gillen und Bischofsvikar und Seminarregens Jean Ehret werden allerdings nicht müde zu erklären, dass sie in der gegebenen schwierigen Situation das Beste herausgeschlagen haben. Ihre Reden überzeugen vielleicht Nichteingeweihte. Die Frage ist nämlich, für wen es gut sein soll, wenn die betroffenen Religionslehrer, die meisten Schüler und deren Eltern sich unzufrieden und betrogen fühlen. Und es ist weit und breit kein realistisches pastoraltheologisches Konzept für die zukünftige Bildung in Sicht. Oder wollten die Bistumsvertreter gar das Ziel der laizistischen Regierung teilen, das jetzt neben den leeren Kirchenbänken die leeren Schulbänke des Religionsunterrichtes vorzeigt?
Die Katholiken erleben jetzt in vollem Umfang, wie in Luxemburg das Zweite Vatikanische Konzil in der (schulischen) Bildung außer Kraft gesetzt wird. Der Religionsunterricht ist ganz klar ein Resultat oder eine Frucht jenes Konzils, in dem die Katholiken aufgerufen wurden, an der Verbesserung der Welt, natürlich auch in der Bildung, mitzuwirken. In seinen Beschlüssen zeigt dieses Konzil, dass Religion der Glückseligkeit des Menschen, in unserem Falle vor allem den Kindern und Jugendlichen dienen soll. Dabei soll eine Dialogkultur innerhalb der eigenen Kirche und mit den anderen Religionsgemeinschaften angestrebt werden. Der Religionsunterricht dient diesem Ziel.
Blind oder taub ist derjenige, der die jetzige Abschaffung der Konzilsbeschlüsse für die schulische Bildung in Luxemburg nicht sehen oder hören will!
Mit der neuen Konvention ist die katholische Kirche in allen öffentlichen Schulen nicht mehr präsent. Wie schon gesagt: ein einmaliger Schritt in der neueren europäischen Kirchengeschichte. Und es hilft nicht, wenn die Vertreter des Bistums sagen, es sei nicht anders möglich gewesen. Kein intellektuell redlicher Mensch oder Gläubiger glaubt dies. Außer wir lebten in einer Diktatur! Aber auch da gibt es genügend Figuren des Widerstandes, in der Kirchengeschichte oder im heutigen (außer-)europäischen Ausland.
Der Erzbischof und seine Mitarbeiter haben sich weder die nötige Zeit genommen, noch haben sie sich mit den Betroffenen in einen Findungsprozess begeben, der eine Verbesserung der jetzigen Situation anstrebt. Damit widersprechen sie dem Geist des Zweiten Vatikanischen Konzils, das die Christen auffordert, im Sinne des gemeinsamen Priestertums zu handeln.
Bereits knapp einen Monat nach der Unterzeichnung gibt die Geschichte der letzten Wochen und Tage den Vertretern des Bistums nicht Recht. Wie konnten sie den Religionsunterricht, ihre einzige Bildungsmöglichkeit beim Kirchenvolk, abschaffen? Und dies ohne zu wissen, wie es weitergehen soll! Und wie sind alle ausgebildeten Theologen und Theologinnen, Religionspädagogen und -pädagoginnen jetzt einzubinden? Außer Rechtfertigungsversuchen, klugen Ausreden und Sprüchen, sowie vagen Zukunftsvisionen ist im Moment nichts zu hören und zu sehen.
Sollte der Erzbischof jetzt oder demnächst wirklich eine Synode einberufen wollen, um zu erfahren, wie er „am Tag des Gewölks und des Wolkendunkels“ (Ez 34,12 b) seine versprengte Herde wieder einholen kann, wird er vielleicht das Resultat seines schnell abgefertigten Entschlusses zu spüren bekommen. Theologisch muss noch dazu gesagt werden, dass nicht alles Gottes Wille ist, was Menschen beschließen, seien dies Bischöfe oder sonstige Hirten.
Es gibt nämlich einen enormen Vertrauensverlust – bei einem Großteil der Theologen und Theologinnen wie beim Kirchenvolk. Der Erzbischof hatte sich noch am 11. März 2014 auf einer Tagung im Centre Jean XXIII über den Wert des Religionsunterrichtes an den Schulen klar für dessen Beibehaltung ausgesprochen. Dessen Existenz sei mit dem Staat nicht verhandelbar. Jetzt haben wir erfahren, dass er nicht nur verhandelbar war, sondern auch seine Abschaffung vom selben Erzbischof unterschrieben wurde. Wie will er jetzt noch Vertrauen finden?
Der Hauptakteur bei der Ausarbeitung der neuen Konvention, Erny Gillen, hat dies verstanden und es vorgezogen, am 18. Februar 2015 sein Amt als Generalvikar aufzugeben. Wie aber kann nun das Kirchenvolk verstehen, dass Herr Gillen nicht die pastoralen Folgen seines Handelns mitträgt und sich nicht am Aufbau neuer Modelle in der Katechese und in der Bildung beteiligt? Will Herr Grillen hiermit zeigen, dass der Manager-Priester, den er versucht zu verkörpern, nichts mit den Folgen seiner Handlung zu tun hat?
Es bleibt schließlich die Kernfrage: Wie viel Vertrauen können diese Hirten von ihren Gläubigen noch verlangen? Ohne dieses Vertrauen aber sind sie keine Hirten mehr! Nicht so, wie es nach Ezechiel 34 Gott schon zu seiner Zeit von seinen Priestern erwartete.