600 Leihmütter aus Marokko trügen Kinder für kinderlose Paare in Luxemburg aus, berichteten Zeitungen vor fast genau zwei Jahren – eine Ente, wie sich bald darauf herausstellte. Luxemburg hat die Leihmutterschaft zwar bis heute noch immer nicht gesetzlich geregelt, aber ein Mekka für das Geschäft mit der Gebärmutter ist das Land deshalb nicht, wie der damalige Gesundheitsministers Mars Di Bartolomeo (LSAP) beruhigen konnte. Was aber nicht heißt, dass es hierzulande keine Fälle von Leihmutterschaft gibt. Vor dem Diekircher Gericht soll ein Fall anhängig sein, wo der Verdacht einer Leihmutterschaft im Raum steht. Einen weiteren Fall habe sein Komitee jüngst beschäftigt, bestätigt René Schlechter vom Ombudskomitee für Kinderrechte (ORK). Dabei handelte es sich um ein Ehepaar, das sein Baby durch eine Leihmutter im Ausland austragen ließ – und es dann hier bei einer Gemeinde anmelden wollte.
„Unserem Recht nach geht das nur, wenn die Mutter das Kind adoptiert. Dann aber verliert der Vater das Sorgerecht“, erklärt Françoise Gillen, Juristin beim ORK, die Gesetzeslücke. Für das Kind hat die Nichtanerkennung durch die Behörden gravierende Folgen: Nach Luxemburger Recht bleibt es das Kind seiner biologischen Mutter im Ausland, selbst wenn diese es freiwillig abgegeben hat und seine „Wunscheltern“ es in Luxemburg liebevoll aufziehen. Folglich kann dem Kind kein Reisepass ausgestellt werden, es darf nicht ausreisen, für die Behörden existiert es damit nicht.
Das ORK drängt deshalb darauf, die rechtliche Situation dieser Kinder endlich verbindlich zu klären. Das schreibt es in einem vierseitigen Gutachten, das es diese Woche an die Presse verschickte. „Alle Kinder haben die gleichen Rechte, egal, ob sie von ihren leiblichen Eltern aufgezogen werden oder von Wunscheltern“, betont ORK-Präsident René Schlechter. Auf die ungleiche rechtliche Situation von Kindern von leiblichen Eltern und jenen, die von einer Leihmutter ausgetragen werden, die mittels Samen- oder Eizellenspenden gezeugt wurden oder deren Mutter das Kind direkt nach der Geburt abgegeben hat, die so genannte anonyme Geburt, haben die Kinderschützer bereits mehrfach in früheren Gutachten hingewiesen, ohne dass der Gesetzgeber bislang aktiv geworden wäre. Dabei geht es nicht nur um die Anerkennung der Elternschaft, sondern auch um das Recht des Kindes, seine Herkunft zu kennen, also zu erfahren, wer seine biologischen Eltern sind.
„Wir haben jedes Jahr Anfragen von Jugendlichen und jungen Erwachsenen, die nach ihren Wurzeln forschen“, erzählt René Schlechter. Oft geschehe dies, wenn junge Menschen darüber nachdenken, selbst eine Familie zu gründen. Sie klopfen dann beim ORK an, das ihnen aber nur bedingt weiterhelfen kann. Schlechter plädiert dafür, bei Geburten, bei denen die Mutter oder der Vater anonym bleiben wollen, ebenso wie bei Adoptivkindern, die biologischen Mütter und Väter in einem speziellen Register einzutragen. So könnten Kinder dann, wenn sie mehr über ihre Herkunft erfahren wollen, dieses beim Amt anfragen. Dabei sei, so Schlechter, „zwischen dem Interesse der Mutter auf Anonymität und dem des Kindes abzuwägen.“ Im Augenblick landen derartige Anfragen oft bei der Staatsanwaltschaft, die teils nur mit Glück weiterhelfen kann. Ein verbrieftes Recht auf Auskunft gibt es nicht. „Diese Fragen könnte man im Rahmen des Abstammungsrechts regeln“, fordert Schlechter.
Besagter Gesetzentwurf zur Reform des Abstammungsrechts liegt dem Parlament eigentlich schon seit 2013 vor (d’Land 24.05.2013). Er stammt noch von der Vorgängerregierung, würde in der aktuellen Form im Falle von Leihmutterschaft jedoch nicht für viel mehr Klarheit sorgen: Der Entwurf des damaligen Justizministers François Biltgen (CSV) sieht ein Verbot der Leihmutterschaft vor. Damit bliebe weiterhin unklar, was „mit den Kindern geschieht, die von Leihmüttern geboren wurden. Die existieren ja schon“, bemängelt Schlechter. Um ihnen Rechtssicherheit zu geben, drängt er darauf, beide Fragen, die der Anerkennung der Elternschaft und die, ob Leihmutterschaft verboten gehört, getrennt voneinander zu klären.
Aber geht das so einfach?, fragt sich nicht nur Viviane Loschetter, grüne Fraktionschefin und Vorsitzende des Justizausschusses. Dort beraten Abgeordnete derzeit über eine umfassende Reform des Familienrechts, die nicht nur das Abstammungsrecht, sondern auch das Scheidungs- und das Sorgerecht, sowie die Familiengerichtsbarkeit neu ordnen soll. Auch wenn die CSV – und besonders der Abgeordnete Laurent Mosar – darauf drängt, das Sorgerecht vorab zu modernisieren und endlich das geteilte Sorgerecht einzuführen. Justizminister Felix Braz beharrt indes darauf, dies gemeinsam mit den anderen familienrechtlichen Reformen in einem Gesetzespaket zu regeln, „weil es Verbindungen gibt“, wie Braz dem Land sagte.
Bei der Leihmutterschaft werden sich CSV und Grüne wohl schneller einig. Auch Déi Gréng sehen die Leihmutterschaft skeptisch. Arme Frauen könnten durch wirtschaftlichen Druck genötigt sein, ihren Bauch zu vermieten, so die Befürchtung. Andererseits betonen gerade Feministinnen stets das Selbstbestimmungsrecht der Frau: Wenn mein Bauch mir gehört, warum kann ich dann nicht darüber entscheiden, ob ich ihn vermieten will? Die weltweite Verbreitung reproduktiver Technologien macht den Kinderwunsch zwangsläufig zunehmend zu einem grenzüberschreitenden Phänomen. Ein Verbot von Leihmutterschaft in westlichen Ländern führt schon heute dazu, dass Märkte für Leihmütter und künstliche Befruchtung in anderen, weniger regulierten Ländern entstehen, wie die Beispiele Ukraine und Thailand zeigen – die von zahlungskräftigen kinderlosen Eltern genutzt werden. Die thailändische Militärregierung verbot Ausländern kürzlich die kommerzielle Leihmutterschaft, nachdem ein australisches Paar ein bei einer Leihmutter bestelltes behindertes Kind nicht mehr wollte.
„Es ist eine komplizierte Materie“, räumt Justizminister Félix Braz ein, der die Bedenken seiner Parteikollegen jedoch teilt: „Ich kenne keinen Fall, wo reichere Mütter Kinder für ärmere Mütter austragen. Wir können die sozio-ökonomische Dimension des Phänomens nicht ausblenden.“ Braz plant, den Biltgen-Text so zu ergänzen, dass „zwei Aspekte berücksichtigt werden“: Die Leihmutterschaft soll in Luxemburg verboten werden. Parallel müsse der Umgang mit Kindern ausländischer Leihmütter geklärt werden. „Ein Verbot reicht nicht, wenn wir nicht auch eine Aussage über diese Kinder machen. Wir können die Augen nicht vor der Realität verschließen und die Kinder für ihre Herkunft bestrafen“, betont Félix Braz, der die Prinzipien des ORK grundsätzlich teilt: „Es kann keine zwei Klassen von Kindern geben.“
Die Zwickmühle könnte vielleicht ähnlich gelöst werden, wie in der Schweiz oder in Deutschland. Das St. Galler Verwaltungsgericht hatte im Sommer 2014 zwei schwule Männer als Eltern eines in den USA gezeugten Leihmutter-Kindes anerkannt mit Verweis auf das Kindeswohl, obwohl Leihmutterschaft in der Schweiz verboten ist. Das Bundesamt für Justiz hat das Urteil angefochten, der Fall liegt nun vor dem Bundesgericht. In Berlin weigerten sich die Behörden ebenfalls, ein Leihmutter-Kind zweier schwuler Eltern zu registrieren, obwohl ein kalifornisches Gericht die Elternschaft bestätigt und die Leihmutter alle Rechte an die Wunscheltern abgetreten hatte. Eine Klage der Eltern blieb in beiden Vorinstanzen erfolglos. Der Fall landete vor dem Bundesgerichtshof, der im Dezember 2014 entschied, das kalifornische Urteil, wonach die Wunscheltern eines von einer Leihmutter geborenen Kindes auch dessen rechtliche Eltern sind, anzuerkennen. Grundsätzlich werden ausländische Entscheidungen vom deutschen Recht anerkannt. Es gibt allerdings die Möglichkeit eines ordre-public-Vorbehalts. Die Richter kamen jedoch zum Schluss, dass trotz Verbots der Leihmutterschaft in Deutschland eine Verweigerung der Anerkennung der Auslandsentscheidung zum erheblichen Nachteil des Kindes gewesen wäre. Das Kindeswohl ging vor. Frankreich, das anders als Belgien die Leihmutterschaft verbietet, wurde in einem ähnlichen Fall 2014 vom Europäischen Menschenrechtsgerichtshof (EuGH) dazu verdonnert, ein Kind einer ausländischen Leihmutter ebenfalls anzuerkennen.
Die Luxemburger Abgeordnetenkammer hat nun bei 15 Organisationen eine Stellungnahme zur Leihmutterschafts-Problematik angefragt. Die Ethikkommission hatte sich 2001 in einem Gutachten aus ethischen Gründen gegen die Leihmutterschaft ausgesprochen. Für Kinder, die durch eine Samenspende entstehen, schlug die Kommission vor, in einem Register wichtige medizinisch-genetische Informationen festzuhalten, sowie Eckdaten zur Identität des Samenspenders. Letztere Informationen sollten nur herausgegeben werden, wenn der Samenspender sich damit einverstanden erklärt. Dies dürfte juristisch heute so nicht mehr haltbar sein: Gerichte wie das Bundesverfassungsgericht, ebenso wie der EuGH, betonen das Recht des Kindes, seine Eltern und seine Herkunft zu erfahren, als elementar. Das Bundesverfassungsgericht gab im Januar zwei Mädchen Recht, die eine Samenbank verklagt hatte, ihnen den Spender, ihren biologischen Vater, zu nennen, obwohl dem Spender Vertraulichkeit zugesichert worden war.
Der Luxemburger Gesetzentwurf zum Abstammungsrecht sieht vor, auch die Folgen der künstlichen Befruchtung zu regeln. Samenspender sollen keine Ansprüche bezüglich des Kindes geltend machen können, umgekehrt sollen die Mütter respektive die Nachkommen auch nicht Folgeansprüche etwa auf ein Erbe oder Unterhalt stellen können. Die gleiche Problematik stellt sich bei anonymen Geburten (accouchement sous X), die der Entwurf bisher nicht regelt. „Wir haben die Gelegenheit, hier einen kohärenten Text vorzulegen. Das werden wir tun“, verspricht Justizminister Felix Braz. Einen konkreten Termin wollte er nicht nennen, aber: „Das hat oberste Priorität.“