Dass die Gemeinde Strassen von einer DP-Bürgermeisterin geleitet wird, traf sich gut. Denn so war der Festaal des Kulturzentrums am Samstag schon mit den passenden, tiefblauen Vorhängen geschmückt. Fast 300 Mitglieder mittleren bis gehobenen Alters waren vorwitzig erschienen, um sich die 82 kopierten DIN A4-Blätter mit ihrem Wahlprogramm abzuholen.
Statt einer politischen Debatte mit Abstimmung ließen sie geduldig ein feierliches Hochamt über sich ergehen, während dem die Parteiprominenz die einzelnen Kapitel im Achtminutentakt vorstellten: Wirtschaftsminister Henri Grethen schrie allen ILReS-Umfragen entgegen, die DP werde auch der nächsten Regierung angehören (Applaus), Bildungsministerin Anne Brasseur sagte der "Kuschelpädagogik" den Kampf an, und Gesundheitsminister Carlo Wagner brachte den Saal mit seinem Akzent zum Schmunzeln. Umweltstaatssekretär Eugène Berger gab noch einmal seinen Vorgängern die Schuld, Armeeminister Charles Goe-rens grüßte die Truppe im Kosovo (Applaus), Fraktionspräsident Jean-Paul Rippinger schlug die -Einrichtung von Eroscentren vor, und Bürgermeister Paul Helminger schwärmte für "dieses Land, an dem wir so hängen". An einer "ausgewogenen Gehälterpolitik" hing CGFP-Staatssekretär Jos Schaack, Jungdemokratin Sandra Schroeder fand, dass Jugendpolitik nicht nur Drogenpolitik sei, und Außenministerin Lydie Polfer verlangte, dass eine eu-ropäische Staatsanwaltschaft nach Kirchberg kommt. Danach gab es Ehrenwein.
Nach fünf Jahren Regierungsverantwortung hat die DP ihr Wahlprogramm buchhalterisch aufgebaut: jedes der zehn Kapitel ist in Bilanz, Herausforderungen und Wahlversprechen unterteilt. Die Herausforderung bestand in Wirklichkeit darin, links und rechts die überlebenswichtigen Wechselwähler zu ködern, die Staatsbeamten bei Laune zu halten, ohne die mittelständische Stammwählerschaft zu vergraulen, als Wirtschaftspartei den Sozialstaat nicht zu verraten, und sich dabei irgendwie noch von den inzwischen ebenfalls liberalen CSV und LSAP zu unterscheiden.
Das ist bei der Wirtschafts- und Finanzpolitik am schwierigsten. Besonders wenn die Staatskassen ziemlich leer sind, und die DP ein Versprechen aus ihrem 99-er Wahlprogramm nicht mehr erneuert: "die resolute Verteidigung des Bankgeheimnisses" (S. 25).
Von der Abschaffung der Gewerbesteuer geht keine Rede mehr, dafür aber noch immer von der Abschaffung der Vermögenssteuer, "als ein weiterer Anreiz für die Verlegung des Steuerwohnsitzes von Privatpersonen nach Luxemburg" (S. 20). Die während dieser Legislaturperiode begonnene Operation Monaco soll fortgesetzt werden: "Als attraktiven und innovativen steuerlichen Anreiz[,] um Privatpersonen mit Kapitalvermögen anzuziehen schlägt die DP vor, Einkünfte aus Kapitalvermögen von allen Privatpersonen mit Wohnsitz in Luxemburg mit einer 10% befreienden Abschlagsteuer zu besteuern. Zudem sollen Zinsen und Dividenden gleich behandelt werden." (S. 20).
Dem Gegenpart in diesem Luxemburger The Simple Life drohen noch immer vage Ökosteuern, aber sie sollen "sich keinesfalls gegen sozial Minderbemittelte richten und müssen indexneutral ausgerichtet sein. Das Konzept des Ökobonus, das An-strengungen der Bürger im Interesse des Umweltschutzes finanziell belohnen soll, findet die Unterstützung der DP." (S. 46).
Wenn die Mehrwertsteuer nach oben harmonisiert wird, will die DP "ein zweites steuerliches Standbein schaffen: Wir schlagen vor, dass die 'bonification d'impôt à l'investissement' auf immaterielles Anlagevermögen ausgedehnt werden kann, sofern diese immaterielle Vermögensgegenstände in Luxemburg entwickelt und die Ausgaben von einem Wirtschaftsprüfer bestätigt worden sind." (S. 20).
Auch versprechen die Liberalen, "das Steuersystem so [zu] vereinfachen, dass jeder Bürger seine Steuererklärung selbst und ohne großen Zeit- und Geldaufwand verfassen und ein-reichen kann" (S. 18). Aber vielleicht ist das erst für nach der Verwaltungsreform vorgesehen.
Nach dem Wahlerfolg von 1999 steht die Bildungspolitik diesmal an erster Stelle im Wahlprogramm, auch wenn es meistens bei allgemeinen Aussagen bleibt. "Leistung und Fleiß, Höflichkeit und Toleranz" werden als Bildungsziele gepriesen, die von der Pisa-Studie vermisste soziale Chancengleichheit schon etwas weniger. Die Universität wird nur als Zulieferbetrieb für die Wirtschaft gesehen, und ansonsten wird im ganzen bildungsbeflissenen Wahlprogramm der deutsche Buchstabe S-Zett, eine Ligatur aus langem S und Z bzw. rundem S, Pisa-konform mit dem griechischen Buchstaben Beta verwechselt.
Erstaunlich ist das Verschwinden des dritten Kapitels aus dem Wahlprogramm von 1999, das den Titel "Eng Aarbecht fir jiddereen: mir mussen handelen!" trug. Seither ist nämlich die DP nicht nur in die Regierung gekommen, sondern die Arbeitslosigkeit ist auch um 60 Prozent angestiegen, aber der Handlungsbedarf scheint sich erledigt zu haben.
Vermisst wird auch das Versprechen, die heftig bekämpften Pensionskürzungen im öffentlichen Dienst vielleicht mit einem neuen Koalitionspartner zurückzunehmen und die mittel- und langfristige "Einführung eines Kapitaldeckungsverfahrens[,] bei dem die Solidarität zwischen den Generationen garantiert ist" (99-er Programm, S. 53).
Die Liberalen wollen die christlichsoziale Mammerent, "die Erziehungszulage, die durch das Gesetz vom 28. Juni 2002 eingeführt wurde, nach den bisher gewonnenen Erfahrungswerten überarbeiten und das Statut der Personen, die bisher nicht in den Genuss dieser Zulage gekommen sind, gegebenenfalls überprüfen" (S. 48).
Die Wirkung der "in der vergangenen Legislaturperiode verabschiedeten neuen steuerlichen In-strumente" zugunsten des Wohnungsbaus und Immobilienhandels soll zwar noch untersucht werden. Aber die Partei verspricht schon "eine fünfjährige Verlängerung der zurzeit auf den 31. Dezember 2004 zeitlich begrenzten steuerlichen Vergünstigungen zur Förderung des Verkaufs von Wohnraum oder Grundstücken" (S. 54).
Die bereits für diese Legislaturperiode fest versprochene Gehälterrevision heißt nun vorsichtig: "Un-ter Berücksichtigung der zur Verfügung stehenden Haushaltsmittel und in Anbetracht der Entwicklung der Aufgabenbereiche der Beamten innerhalb der Verwaltungen, soll eine sinnvolle und gerechte Anpassung der Lohnskala, die den heutigen Gegebenheiten Rechnung trägt, angestrebt werden." (S. 64).
Weil sie weniger kosten als Gehälterrevisionen, sind gesellschaftspolitische Reformen besonders beliebt. Dass die DP "den Jugendlichen bis zu ihrem 21. Lebensjahr Verhütungsmittel wie etwa Kondome oder Verhütungspillen gratis zur Verfügung stellen" will, findet sie eine so tolle Idee, dass das Versprechen gleich zweimal, auf Seite 53 und 60, vorkommt.
Aber auch "Straffreiheit des Konsums der sanften Drogen" (S. 57), "gesetzliche Regelung betreffend die aktive Sterbehilfe" (S. 58), eine staatliche "Konvention mit der islamischen Re-ligion" (S. 58), "die Möglichkeit einer doppelten Staatsbürgerschaft" (S. 59), "einer gleichgeschlechtlichen zivilen Ehe" (S. 60) und staatlich kontrollierte Bordelle (S. 61) gehören hierher. Liberale Dauerbrenner bleiben die Versprechen, dass Bürger das Verfassungsgericht direkt anrufen können (S. 62) und die Kammerwahlen nicht am selben Tag wie die Europawahlen stattfinden (S. 62).
Doch vielleicht sind die auf Seite 78 im Wahlprogramm angedrohten elektronischen Fußfesseln für harmlosere Straftäter das Symbol des repressiven und marktkonformen Liberalismus zu Beginn des neuen Jahrhunderts schlechthin. Auch wenn sie ebenfalls im diese Woche von der LSAP vorgestellten belgoluxemburgischen Aktionsplan Plus de sécurité (S. 6) auftauchen. Denn diese Sender sind eine Mischung aus GPS, Hundehalsband und Fußkette mit Eisenkugel.
Sie sind also zugleich modischer High tech und altertümliche Bestrafung, sie senken die staatlichen Kosten des Strafvollzugs und ermöglichen so eine höhere Zahl von Bestrafungen, sie beeinträchtigen die Produktivität des Arbeitnehmers nicht und versprechen absolute Kontrolle und Disziplinierung. Vielleicht sind elektronische Fußfesseln sogar leichter einzuführen als die seit Anfang der Legislaturperiode versprochenen elektronischen Un-ter-schriften, obwohl diese "durchaus in der Lage [sind], dem Land zusätzliches Wirtschaftswachstum zu verschaffen" (S. 27).