Seit 40 Jahren, seit der historischen Wahlniederlage der CSV 1974, kauft das Parlament regelmäßig Wahlanalysen, die vielleicht zuerst öffentlich finanzierte Wahlkampfhilfen der Parteien sein sollen. Nach anfangs dem Brüsseler Centre de recherche et d’information socio-politiques (Crisp) und dem Centre de recherche public Gabriel Lippmann untersucht inzwischen der vom Parlament finanzierte Lehrstuhl für Parlamentarismusforschung der Universität Luxemburg die Kammer-, Europawahlen und Referenden, nicht aber die Gemeimde- und Sozialwahlen.
Gleich wer die Autoren sind, die Qualität der Studien schwankt beträchtlich. Sie spiegeln immer auch die aktuellen Moden der Politologie wider, vom Postmaterialismus über die Gouvernance bis zu den sozialen Medien und Fokusgruppen, die persönliche Interessenslage der Autoren als eingewanderte Akademiker, ihre sonstigen komparatistischen Forschungsschwerpunkte und die ideologischen Ansprüche der Auftraggeber, etwa den europabegeisterten Wirtschaftsliberalismus.
Die nun veröffentlichte Analyse der Kammerwahlen von 2013 bricht nicht mit der Tradition. Denn Elect 2013, so einer der bei der Universität beliebten Akronyme, untersucht Wahlen nicht politisch und immer weniger soziologisch, sondern als eine Form von angebotsorientierter Marktwirtschaft, die Staatsbürger als Politikkonsumenten sieht. Weil nur einer der fünf Autoren die drei üblichen Landessprachen beherrscht, sind die Quellen sehr einseitig und die Fehler häufig, wie: „Jean-Claude Juncker a choisi de présenter la démission de son Gouvernement suite aux questions posées dans le cadre de l’affaire dite du « Bommeleeër »“ (S. 52; gemeint ist wohl der parlamentarische Geheimdienstbericht).
Aber der Regierungskrise und den vorgezogenen Wahlen als atypischen Phänomenen wird weit weniger Beachtung geschenkt als dem rein hypothetischen Wahlverhalten der vom Wahlrecht ausgeschlossenen Einwanderer – so werden alle gesellschaftlichen Konflikte als nationale Frage vermummt. Viele Seiten werden der nicht sonderlich wichtigen, aber leicht zugänglichen Soziologie der Kandidaten gewidmet, aber die Soziologie der Wähler wird immer knapper abgehandelt. Über den Anteil der Wähler aus dem öffentlichen Dienst beispielsweise werden verwirrend viele und unterschiedliche Angaben gemacht. Während viel Aufhebens um den eher marginalen Wahlkampf auf Facebook und Twitter gemacht wird, ist das nach einer Regierungskrise besonders interessante Kapitel über die Wählerwanderungen ohne Erklärung verschwunden (S. 297 in dem Bericht von 2009). rh.