In unsere Bilanz des vergangenen Jahres gehören eine Reihe von Publikationen1 zum Thema Identität und eine Folge von Veranstaltungen2, die sich mit dem Thema Stadtentwicklung und „Öffentlicher Raum“ beschäftigt haben. Die Fragen nach Identitäten der Luxemburger, beziehungsweise in Luxemburg wurden zunächst überwiegend statistisch eruiert, mit dem plausiblen aber nicht wirklich überraschenden Ergebnis, dass wir es mit einem komplexen Geflecht von sich überlagernden und teils konstruierten Identitäten zu tun hätten. Eine gewisse Gefahr in der Fokussierung auf eine statistische Verwendung des Begriffs, also als quantitative Größe, besteht darin, dass Politik sich genötigt sieht, hier analog zu Marketingstrategien der Wirtschaft plötzlich Identitätsprofile zu bedienen und damit basisdemokratische Gedanken einerseits und visionäre Politik andererseits in den Hintergrund geraten lässt.
Der „Öffentliche Raum“ ist in den letzten Jahren international in Publikationen und bei Tagungen zum Dauerbrenner geworden, wobei Gestalter und Soziologen leider oft auf hohem Niveau aneinander vorbei reden. Der Bedarf an einer Neugestaltung beziehungsweise Homogenisierung und Pflege des Urban Designs ist offensichtlich und allgemeiner Konsens (Verkehrsschilder, Versorgungskästen, Ruhebänke, Spielplätze undsoweiter). Weitreichenderer und grundsätzlicher Art sind die Fragen der Stadtsoziologie. Dort wird unter anderem beschrieben, wie sich eine schleichende Privatisierung und Kommerzialisierung des öffentlichen Raumes vollzieht und gleichzeitig der individuelle Rückzug ins Private als gesellschaftliches Phänomen das öffentliches Leben abnehmen lässt. Die Fragen des Citizenship, des Stadtbürgertums, stehen im Zentrum. Ein Beispiel: Man arbeitet auf dem Kirchberg, fährt durch Strassen (nomen est omen), erledigt seine Einkäufe in Bertrange und wohnt in Mamer. Das heißt, dass sich die Ansprüche dieses Mitbürgers auf vier Gemeinden verteilen, welche aus seiner Perspektive nur noch als Lieferanten für Infrastruktur fungieren. Die Schlussfolgerung ist, dass die zunehmende Wahrnehmung von Kommunen als Dienstleister eine politische Identifikation mit den Orten reduziert, also auf Kosten des gesellschaftlich relevanten Aspektes von Identität. Wenn man Ortsgebundenheit als eine Qualität von Identität beschreiben will, gilt es, Bindungen zu ermöglichen und zu befördern.
Es war in den letzten Monaten zu vernehmen, dass es Überlegungen seitens des Musikveranstalters Den Atelier gibt, ein paar hundert Meter weiter in das Schluechthaus umzuziehen, beziehungsweise einen Teil des Terrains zu belegen. Dem Atelier, dessen verdienstvoller Beitrag zur Kulturszene zurecht zum gerade 15 jährigen Bestehen gefeiert wurde, mag dies auch plausibel erscheinen, da das Schluechthaus bis auf die Skaterhalle einen verwaisten Eindruck macht und eine neue Nutzung dringlich und möglich erscheint. Dennoch ist die Standortwahl alles andere als ideal, aus technischen Gründen wäre eine größere Freifläche in einer anderen Lage, auch für zukünftige Ausbauten sinnvoller. Hinzu kommt, dass das Schluechthaus direkt an ein Wohngebiet grenzt und Probleme mit den Anwohnern programmiert sind und auch schon diskutiert werden.
Die Anfrage des Ateliers legt aber den Finger in eine andere, schon länger offene Wunde: Ein auszuarbeitendes Nutzungskonzept für den cité-artigen Gebäudekomplex des alten Schlachthofs. Gleichsam ein urbanes Filet-Stück der Stadt, bietet sich das Areal als Herberge für ein schon lange gehandeltes Desiderat des städtischen Lebens an: Ein mehr oder weniger offener Ort für Jugendkultur. Bereits die Entscheidung, die Universität in Teilen nach Belval zu legen, gereicht der ohnehin traditionell schwach ausgebildeten hauptstädtischen Jugendkultur nicht zum Vorteil, es ginge jetzt darum, das Vorhandene zu fördern und ihm Orte zu geben. Es ist eine Binsenweisheit, dass eine lebhafte Kultur sich aus Jugendkultur nährt und immer wieder neu positioniert, sich der Kul-tur der „nächsten Generation“ als Durchlauferhitzer bedient. Die spezielle Situation der Stadt Luxemburg, wenn wir mal von dem kleinen, bald der Vergangenheit angehörenden jugendkulturellen Biotop Hamilius absehen, hat nie vermocht, wie in größeren Städten, temporär Orte bereitzuhalten, die für Jugendliche funktionieren konnten und sich anzueignen wären, weshalb zumindest die kleinere Lösung „Reservat“ seitens der Gemeinde anzubieten wäre. Für ein solches „Reservat“ wäre das Schluechthaus mit seiner vielteiligen Bebauung und Platzsituationen überaus geeignet. Es ließe sich hier ein Konzept von kulturellem Veranstaltungsangebot über betreute Jugendarbeit bis selbstverantwortlicher Kreativität verwirklichen. Darüber hinaus wäre hier die schon länger umhergeisternde Idee einer „Pépinière“ zu verwirklichen, also eines Start-up-Standortes für junge künstlerische Arbeit, zum Beispiel Ateliers für bildende Künstler und Proberäume für Tanz und Theater. Zur Zeit müssen viele Künstler mangels Gelegenheit in der Hauptstadt Arbeitsräume in den südlichen Gemeinden des Landes suchen. In anderem Zusammenhang ist zu vernehmen, dass eine baldige Rückkehr der Carré Rotondes an ihren ursprünglichen Ort nicht gesichert scheint. Eine gute Option wäre vielleicht ein Umzug dieser Struktur, vielleicht sogar als Gérante des gewünschten Jungendzentrums in den Schlachthof. Ein weiterer Aspekt ist, dass der teilweise „Lost space“-Aspekt des Schluechthauses besonders für Jugendliche ein Wohlfühlfaktor bedeutet, der etwa in den blitzblank zu restaurierenden Rotonden so nicht erfahrbar wäre. Der Schluechthaus-Komplex könnte ein hervorragendes Beispiel einer sukzessiven, bedarfsorientierten Low-Budget-Erschließung und -Restaurierung hergeben, angelehnt an das in der Stadt Esch ausgeführte Modell. Edelparkett und Designerlichtschalter, die viele unserer Kulturzentren auszeichnen, wären hier fehl am Platz.
Im Übrigen löst eine aktuelle Überlegung aus dem Rathaus Verwunderung aus: Eine Translozierung der Skaterhalle an einen recht entlegenen Ort. Diese Halle im Petrusstal wäre ein fest zugeteilter, isolierter Raum für eine spezielle Freizeitbeschäftigung. Ein solcher Raum in einem Jugendzentrum wäre dagegen lebendiger Teil eines vielfältigen Organismus. Umgekehrt dagegen wäre eine Konzerthalle auf der grünen Wiese funktional sinnvoll, es gilt ja logistische Probleme zu vereinfachen, eine solche im Schluechthaus würde wegen der zeitlich beschränkten Nutzung in dem Kontext als Platzverschwendung wirken.
Um auf die einleitenden Erörterungen zu den stadt-soziologischen Fragen von Identität und dem „Öffentlichen Raum“ zurückzukommen: Durch die Schaffung eines strikt nicht kommerzialisierten Raumes für Jugendkultur im Schluechthaus würde der Next-Generation die Erfahrungsmöglichkeit gegeben, ihre Interessen zu verorten und somit Citizenship, also Stadtbürgertum befördern.