D’Lëtzebuerger Land: Das Weihnachtsgeld von Oma und Opa schon fest auf dem Konto angelegt?
Sammy Wagner: Äh, nee, bis jetzt noch nicht. Warum?
Ihrer Generation wird nachgesagt, sie sei materialistischer als die Jugendlichen voriger Generationen. Und die Zeiten sind nicht gerade rosig.
Ich kenne die Jugendstudie der Uni Luxemburg, würde mich persönlich aber nicht als materialistisch bezeichnen.
2011 jagte eine Hiobsbotschaft die nächste. Die Eurokrise dominierte – und sie hält 2012 wohl weiter an. Wie blicken Sie in die Zukunft?
Ich mache mir Sorgen. Gerade als junger Mensch fragt man sich, was die Folgen der Krise für einen selbst bedeuten. In Luxemburg wird sich das Defizit beim Zentralstaat 2012 auf 1,1 Milliarde Euro belaufen.
In Griechenland oder Spanien liegt die Verschuldung sehr viel höher. Dort sind Jugendliche auf die Straße gegangen. Auch bei uns steigt die Jugendarbeitslosigkeit, immer mehr Kinder leben in Armut. Bekommt der junge Luxemburger das mit?
Ich denke doch. Bei vielen Jugendlichen herrscht ein allgemeines Unsicherheitsgefühl. Sie wissen nicht, was sie in Zukunft erwartet. Die Protestbewegungen, die dadurch ausgelöst werden, sind aber nicht negativ. Endlich blicken Jugendliche über ihren Tellerrand, schauen, was in der Welt geschieht. Man könnte sich vielleicht wünschen, es würden noch mehr. Denn die, die nur auf ihr persönliches Glück, ihr Haus, ihren Beruf bedacht sind, gibt es. Daran besteht kein Zweifel.
Es kommt nicht oft vor, dass in Luxemburg Jugendliche auf die Straße für ihr Anliegen gehen.
Da ist ein Ventil geplatzt. Ich war begeistert von den jungen Menschen, die vor dem Bildungsministerium protestiert und später im Forum Geesseknäppchen mitdiskutiert haben. Als junger Mensch, der sich für Politik interessiert, fühlt man sich manchmal allein. Es zeigt, dass zumindest punktuell und bei Themen, die sie etwas angehen, junge Menschen sich einbringen wollen.
Für Irritationen sorgen konservative Aussagen der Jugendlichen. Viele sprechen sich für einen Erhalt des sozial ungerechten Schulsystems aus.
Die Diskussion wird zum Teil falsch geführt. Wir haben im Vorfeld der Reformen 1 400 Schüler befragt. 70 Prozent hatten damals gemeint, sie seien mit dem aktuellen System nicht zufrieden. Deshalb war ich, ehrlich gesagt, erstaunt, feststellen zu müssen, wie viele plötzlich am alten System festhalten. Das muss man aber sicher nuancierter sehen und die Frage stellen, wie die Schüler informiert wurden.
Werden Luxemburgs Schulen den Anforderungen der Zeit gerecht? Dafür, dass dies das Zeitalter der Information sein soll, sind neue Medien im Unterricht wenig präsent.
Für mich ist das System klar veraltet. Gerade die neuen Medien müssten da einen viel größeren Platz bekommen. Ich teile aber auch die Meinung des Staatsministers, dass Politik nicht immer mit den neusten Entwicklungen Schritt halten kann, weil sie fundierte Analysen machen und fundierte Antworten geben muss. Das, was ich am meisten an unserem Schulsystem kritisiere, ist, dass es junge Menschen nicht zu mündigen Bürgern heranwachsen lässt. Man kommt in die Schule, durchläuft sie, aber selten wird jemand nach seiner Meinung gefragt und soll etwas aktiv mitgestalten. Gelebte Demokratie sieht anders aus.
Wer trägt die Schuld an der Informationsmisere? Vielleicht wollen viele Jugendliche nicht mitreden?
Ich sehe das differenzierter. Wir haben uns die Fragen im Jugendparlament auch gestellt und uns an den Schulen umgehört. Demnach wollen 75 Prozent der Befragten mehr Beteiligung. Wann man sie dann allerdings konkret fragt, ob er oder sie ganz persönlich mitreden will, da schrumpft die Zustimmung und liegt nur noch bei 45 Prozent.Es ist aber eine prinzipielle Frage, wie verschiedene politische Themen mit der Jugend in Luxemburg zu diskutieren wären. Ich meine nicht nur die Schulreform. Es ist nicht immer leicht, an die richtigen Informationen zu kommen. Die Erfahrung habe ich auch im Jugendparlament gemacht. Das muss man lernen. Da könnte man vieles vereinfachen.
Immerhin war das Bildungsministerium für einen Tag auf Twitter.
Ja, das war aber eine Idee, die von den Schülern kam.
Was stört junge Leute an der Kommunikation der Erwachsenen?
Oft wird die falsche Art und Weise gewählt, um mit uns zu sprechen. Das gilt nicht nur für Ministerien, sondern beispielsweise auch für manche Gewerkschaften: von oben nach unten. Wer ernsthaft Inhalte diskutieren will, muss dies auf Augenhöhe tun. Da sind Äußerungen wie die der Bildungsministerin, sie nutze die neuen Medien nicht, auf einer Veranstaltung vor lauter Jugendlichen, die sich genau über diese Medien mobilisieren, fehl am Platz. Warum holen sich die Politiker nicht junge Berater an die Seite, die Tipps geben, wie man die Jugend am besten erreicht?
Offensichtlich war der Protest der Jugend erfolgreich. Noch nie hat sich ein Minister den geballten Fragen der Jugendlichen gestellt.
Diese Sichtweise ist zu positiv. Die Nachricht hier war insofern klar, als dass es gegen die Reform geht. Auf ein konkretes Ereignis hin zu mobilisieren, ist einfach, vor allem wenn sich die Jugendlichen direkt betroffen fühlen. Rede ich aber mit dem Sozialminister über die geplante Pensionsreform, sehe ich genau, wie wenige Vertreter der Jugendparteien da noch neben mir sitzen.
Die ADR-Jugendorganisation Adrenalin hatte ebenfalls zu einer Demo gegen die Schulreform aufgerufen. Führt die Krise zu einem Rechtsruck bei Ihren Altersgenossen?
Es gibt kleinere Gruppierungen, die versuchen, rechtes Gedankengut zu verbreiten. Aber der Erfolg der Demo zeigt, dass der Zulauf nicht groß ist. Gleichzeitig ist es eine Tatsache, dass viele Jugendlichen Ängste verspüren. Je unsicherer der Zeitgeist, umso mehr Zulauf haben extreme Strömungen, weil sie einfache Lösungen bieten.
Einer Studie der Uni Luxemburg zufolge befürworten nur rund 55 Prozent der Jungendlichen in Luxemburg den Zuzug von Migranten „mit anderer ethnischer Herkunft als die Mehrheit der Luxemburger“. 20 Prozent sind sogar der Meinung, dass es keinen Zuzug dieser Gruppe geben sollte.
Man darf das nicht klein reden. Es gibt eine rechtsradikale Szene, wobei es nicht an mir ist, zu beurteilen, ob der Adrenalin in diese Ecke gehört. Um der allgemeinen Verunsicherung entgegenzuwirken, müsste die Politik mehr aufklären und eine Gesellschaftsdebatte über diese Problematik anstreben.
Erwachsene werfen Jugendlichen gerne vor, ein Null-Bock-Image zu pflegen. Sie haben sich früh politisch engagiert. Warum?
Es gibt viele Möglichkeiten, sich politisch zu engagieren. Für die meisten Jugendlichen ist die Entscheidung für eine politische Organisation ein Schritt zu groß. Ich habe auch länger gebraucht.
Sie sind bei den Jungsozialisten.
Ja, aber derzeit nicht aktiv. Für mich war die Krise der Auslöser. Da habe ich mir ernsthaft Fragen zur Krisenbewältigung gestellt, darüber, dass Politiker das eine sagen und das andere tun. Ich hatte Fragen, eine Meinung, und habe versucht, junge Leute zu mobilisieren. Ich wollte diskutieren, zum Beispiel die Pen-sionsreform, die uns als Jugend wesentlich betrifft. Oder die Staatsverschuldung. Leider interessieren sich nur wenige meiner Altersgenossen dafür.
Früher haben sich Jugendliche als Zeichen ihres Protestes die Haare gefärbt, sind auf die Straße gegangen. Sie gehen mit Altersgenossen ins Parlament und haben als Moderator der Debatte über die Sekundarschulreform sogar zwischen Ministerin und Schülern vermittelt.
Ich gehe selten auf die Straße, weil ich mir zunächst die verschiedenen Meinungen zu einem Thema anhören will. Ich bin vielleicht für eine Schulreform, aber gegen diese hier. Im Jugendparlament kann ich Diskussionen anstoßen. Ich bin froh, wenn ich Ratschläge geben kann und diese umgesetzt werden.
Das ist das Luxemburger Konsensmodell. Und klingt etwas ... brav.
Luxemburg ist verschlafen. Wir haben es die vergangenen Jahre ja nicht schlecht gehabt. Wir werden dazu erzogen, nicht zu sehr aufzufallen. Dann geschieht uns auch nichts. Aber ich finde durchaus, dass auf konkrete Fragen konkrete Antworten gehören.
Das Verhältnis zwischen jung und alt gilt von jeher als ambivalent. Welchen Spruch der älteren Generation können Sie nicht mehr hören?
Leiste selbst erst einmal etwas, bevor du mitredest! Oder: Wenn ihr mal so weit seid, dann sind die Kassen leer, bei eurer Einstellung.
Der verstorbene Abgeordnete Lucien Thiel hat angesichts der Pensionsreform eindringlich gemahnt, ein System zu hinterlassen, das die nachfolgende Generation schultern kann. Schon Gedanken zur Rente gemacht?
Es muss eine Solidarität zwischen den Generationen geben. Das heißt aber auch, sämtliche Reformen des Sozialsystems müssen mit allen Generationen diskutiert werden. Vor allem auch mit den Jungen, die immer wieder vergessen werden. Wir brauchen eine Reform, um den Frieden im Land zu garantieren und um nicht eine Generation gegen die andere auszuspielen. Die Frage muss aber erlaubt sein, ob Reformen nur zu Lasten der Jungen, die neu in den Beruf kommen, gehen sollen, oder ob es nicht Zeit für ein Modell wird, das auch die ältere Genera-tion stärker in die Pflicht nimmt.
Der Sozialminister betont, die Älteren haben sich ihre Rente verdient.
Das bestreitet auch niemand. Aber wir können auch nicht so tun, als hätte die Jugend heute bessere Zukunftsaussichten. Damals gab es kaum Arbeitslosigkeit. Die heutige Jugend kommt auf einen schwierigen Arbeitsmarkt. Du musst studiert haben, die Flexibilisierung des Arbeitsmarktes schreitet europaweit voran. Den Job des Lebens gibt es immer seltener. Zudem sind die Wohnungspreise extrem hoch. Und der Zentralstaat ist hoch verschuldet. Darum muss die Jugend bei der Reformdebatte einbezogen werden.
Fakt ist, dass der Rententisch eine reine Alt-Herren-Veranstaltung war und Jugendvertreter nicht mit am Tisch sitzen.
Ja, vielleicht müssen die Jugendlichen mehr Mut zeigen und fordern, dass sie mit von der Partie sein wollen. Wir haben uns im Dezember mit Vertretern der Jugendparteien die Vorschläge des Ministers angehört. Jetzt geht es darum, gemeinsame Schnittpunkte herauszuarbeiten. Denn es gibt sie.
Das wäre immer noch eine Debatte unter Jugendlichen.
Der Minister hat zugesagt, er würde uns zuhören. Wir müssen sehen, wie wir die Debatte strukturieren und institutionalisieren können. Bleibt zu hoffen, dass sich die Jugendparteien stärker beteiligen, um im Interesse der Jugend eine gemeinsame Position anzustreben.
Mars Di Bartolomeo will, diesmal als Gesundheitsminister, Verhütungsmittel für die bis 25-Jährigen gratis zur Verfügung stellen. Ein sinnvoller Akt?
Ja. Das ist ein gutes Beispiel für eine erfolgreiche Zusammenarbeit, denn wir haben das Programm zur Sexualerziehung mitgestaltet. Da immerhin hatte die Politik den Reflex, uns zu fragen.
Bei welchen anderen politischen Themen wollen Sie mitreden?
Bei der Debatte um die Wohnungsnot. Wir brauchen dringend mehr Wohnungen für junge Leute. Die Regierung hat es sich da ein wenig einfach gemacht und die Verantwortung den Gemeinden übertragen. Stichwort Spekulationstaxe. Da braucht es eine nationale Initiative.
Kann das Wahlrecht mit 16 Jahren helfen, mehr Jugendliche für Politik zu interessieren?
Das Wahlalter allein ist keine Lösung. Viele Jugendliche wollen es von sich aus nicht. Man muss aber fragen, warum nicht. Die meisten meinen, ihnen fehlen wichtige Informationen, um wählen zu können. Deshalb sagt das Jugendparlament auch: Wahlrecht mit 16 ja, aber verbunden mit mehr politischer Bildung in der Schule.
Die Piratenpartei entert in Deutschland die politische Bühne und ist besonders für junge männliche Wähler attraktiv. Trauen Sie den Luxemburger Piraten einen ähnlichen Boom zu?
Das liegt auf der Hand. Deren Mitgliederzahlen steigen. Für viele junge Leute sind die Piraten attraktiv, weil sie eine Partei sind, die noch in den Kinderschuhen steckt und die dabei ist, ihr eigenes Programm zu erstellen. Das kann reizvoll sein, weil man dort vieles mitgestalten kann. Zudem nutzen sie einfache, zeitgemäße Methoden zur Kommunikation, etwa OpenSource-Plattformen. Und die Prozeduren sind vielleicht noch nicht so langwierig wie in etablierten Parteien.
Wenn Sie für einen Tag Premier wären – was würden Sie ändern?
Hm (Pause). Es gibt vieles, was man ändern könnte. Ich würde wohl so schnell wie möglich eine Prozedur auf die Beine stellen, um Jugendliche an der Basis an politischen Entscheidungen zu beteiligen. Und nicht nur eine gewisse Elite. Das hat mich immer am Jugendparlament gestört: Die meisten sind Luxemburger und kommen aus dem Classique. Mein Bruder hat eine Lehre gemacht, ich habe mit Jugendlichen aus Jugendhäusern gesprochen: Da kommt eine gewisse Politikverdrossenheit auf. Wir müssen auch ihnen Strukturen geben, damit sie ihre Meinung beitragen können.
Dasselbe Problem gibt es bei den Nicht-Luxemburgern.
Vielleicht wenn sie sich mehr als Teil unserer Gesellschaft wahrnehmen würden, würden sie auch mehr Verantwortung übernehmen. Wir diskutieren immer wieder, wie wir Mitmenschen mit Migrationshintergrund in unseren Vereinen und Organisationen besser einbinden können. Wer mit den Betroffenen spricht, bekommt nicht selten zu hören: Was hat das mit mir zu tun? Darauf gibt es nur eine Antwort: Du lebst hier, gehst hier zur Schule oder arbeitest hier. Alles was hier geschieht, betrifft auch dich.