Dacia

Vom Billigheimer zum Schlaumeier

d'Lëtzebuerger Land du 28.01.2010

Nein, eines kann man ihnen wahrlich nicht vorwerfen, den Marketing­strategen im Hause Renault: Dass sie keine Einfälle hätten bei der Art und Weise, wie sie im Bewusstsein der Öffentlichkeit den Boden bereiten für ihre Fahrzeuge.

Oder zumindest für den ihrer rumänischen Tochtergesellschaft Dacia. „Créateur d’automobiles“ nennt sich der ehemalige Staatskonzern der „Régie Renault“ auch selbst gerne. „Créateur des idées“ könnte sich die Denkfabrik der Marke mit der Raute ebenfalls nennen. Denn wie die Entscheider die Billigheimer aus dem Lande Draculas nicht nur anpreisen, sondern auch salonfähig machen, darf ohne Abstriche genial genannt werden.

Zum Beispiel in Deutschland. Dort waren im ersten Werbespot für die Dacia-Modelle Logan und Sandero die Helden linken Revoluzzertums wie Karl Marx, Lenin, Che Guevara und Co. die Überbringer der Botschaft, dass es bei derlei Autos des selbst gewählten Verzichts und brachialer Enthaltsamkeit um nichts anderes als um die Befriedigung automobiler Grundbedürfnisse geht. Für die zweite Welle des medialen Werbefeldzugs nahm man Anleihen bei der wohl berühmtesten und folgenschwersten Pressekonferenz der deutschen Geschichte.

Jene Ostberliner PR-Posse aus dem Jahre 1989, die letztendlich zur vorschnellen Öffnung der innerdeutschen Grenze und damit auch zum Mauerfall führte, wird mit wohlfeiler Karikatur und Ironie in einem 30 Sekunden währenden Fernsehspot detailgetreu nachgespielt. Zu sehen ist auf der Bühne der Dacia-Vorstand mit einer verblüffend naturgetreuen Imitation des damaligen DDR-Sprechers Günter Schabowski, der eine neue, günstigere, Preisregelung verkündet. Bis ins kleinste Detail ist alles dem historischen Vorbild von 1989 nachempfunden. Vom gelben Pullover des Kameramanns, über den auf dem Podest kauernden Journalisten bis hin zum behäbigen Habitus des Darstellers. In der TV-Werbung des Jahres 2010 verkündet das Günter-Schabowski-Imitat auf Bürokratendeutsch die Preissenkung, während es vor mehr als 20 Jahren um die sofortige unbegrenzte Reisefreiheit der DDR-Bürger ging.

Ob die ideenreiche Inszenierung auf der Mattscheibe ein Dankeschön der Renault-Entscheider für die gewaltige Anschubhilfe der ostdeutschen Tochter für den Gesamtkonzern ist, darf zumindest bezweifelt werden. Fest steht jedoch, dass die aktuellen Bilanzen des französischen Herstellers ohne sein Dacia-Engagement längst nicht so glänzend wären, wie sie Achim Schaible, Vorstandsvorsitzender der Renault Deutschland AG, zu Jahresbeginn verkündete. Im vergangenen Jahr betrug der Marktanteil der Marke Renault in Deutschland 3,8 Prozent. 2010 wollen die Franzosen über 4,5 Prozent aller in Deutschland verkauten Autos verfügen. In drei Jahren soll der Anteil am „Kuchen“ sechs Prozent betragen. Warum das so schnell gehen soll, wird bei einem Blick in die Absatzbücher deutlich. Die Zahlen nämlich sprechen Bände, dividiert man das Renault-Ergebnis und den Absatz-Sturm der Dacia-Modellflotte im vergangenen Jahr auseinander.

Das Zauberwort lautet auch in diesem Jahr „Abwrackprämie“. Obwohl die Franzosen, hätten sie im entscheidenden Moment keinen Lieferengpass gehabt, das Ergebnis noch deut­lich positiver hätten gestalten können. Zwar konnte die Renault-Gruppe ihre Verkäufe in Deutschland im vergangenen Jahr auf 239 974 PKWs und leichte Nutzfahrzeuge der Marken Renault und Dacia steigern. Das entspricht einem Plus von 45 Prozent gegenüber dem Jahr 2008. Re­nault alleine steigerte seinen Absatz um 17 Prozent auf 143 192 Fahrzeuge. Meisterverkauftes Modell war der Kompaktwagen Clio.

Doch ausgerechnet im Frühjahr und Sommer vergangenen Jahres, als bei den Autohändlern in Deutschland infolge der Abwrackprämie vor allem Kleinwagen reißenden Absatz fanden, war Renault nicht lieferfähig. „Wir konnten die Produktion nicht so schnell hochfahren wie die Konkurrenz“, räumte Schaible ein. Anderenfalls hätte nach seiner Einschätzung Renault etwa 20 000 Fahrzeuge mehr verkaufen können.

Die reinen Renault-Bilanzen lesen sich aber gegenüber dem „Verkaufs-Tsunami“ der rumänischen Billigprodukte Logan und Sandero in ihren verschiedenen Karosserie-Varianten eher verschämt. So legten die Verkäufe von Dacia 2009 um rund 231 Prozent auf 84 897 Einheiten zu. Den Rest macht die zweite Renault-Tochter Samsung aus. Die rumänische Marke überholte damit auf dem deutschen Markt mit einem Anteil von 2,1 Prozent so etablierte Hersteller wie die japanischen Autobauer Honda und Nissan, aber auch die spanische VW-Tochter Seat oder die schwedische Traditionsmarke Volvo.

„Das Ansehen unserer Fahrzeuge, aber auch die Bereitschaft des Verbrauchers, kostengünstige Fahrzeuge mit einer erprobten und fundierten Technik zu erwerben, haben sich in den vergangenen Jahren schlagartig geändert. Wir sind zuversichtlich, dass Dacia auch 2010 weiter in der Erfolgsspur fahren wird“, sagt Schaible.

Zwar sind die Einfach-Fabrikate aus Rumänien, die ohne großen Komfortanspruch daher kommen, nichts für Leute, die ihr Selbstbewusstsein aus dem Logo ihres Automobils schöpfen müssen. Doch Dacia verkörpert mittlerweile in vielen deutschen Haushalten das, was früher einmal VW-Anspruch war: Ein wahrer „Volkswagen“, also ein Wagen für das Volk, für die Mehrheit der Bevölkerung zu sein – und damit gleichzeitig auch ein Synonym für die völlige Klassenlosigkeit. Dacia wendet sich an pragmatische, rational eingestellte Kunden mit einem ausgeprägten Preisbewusstsein, die die vernünftigste Möglichkeit der persönlichen Mobilität für sich beanspruchen.

Der französische Konzern – nach VW und PSA (Peugeot, Citroën) die Nummer drei unter den europäi-schen Autobauern – übernahm den rumänischen Hersteller bereits im Jahr 1999. Zunächst wurde nur in den Werken Mioveni und Pitesti der von den Franzosen entwickelte Logan gebaut, der auf den osteuropäischen Märkten für rund 5 000 Euro verkauft wurde. Sukzessive setzte sich die Marke, aber auch die Bereitschaft westeuropäischer Kundschaft, Preisbewusstsein dem Statusdenken vorzuziehen, durch. Der Wirtschaftskrise sei Dank.

Dacia wurde zu einem akzeptablen Grund dafür, dass eingefleischte Gebrauchtwagenkäufer mit fliegenden Fahnen in das Lager der Neuwagen-Besitzer überwechselten. Und deshalb gilt der Besitz von Neufahrzeugen, die nicht mehr als 7 000 Euro kosten, inzwischen nicht mehr als optischer Nachweis schleichenden Konsumverfalls, sondern als Beleg für scharf kalkuliertes Denken beim Autokauf. Schlaumeier statt Billigheimer. Dacia-Fahrer und ihr Bild in der öffentlichen Wahrnehmung haben sich gewandelt.

Doch die „französischen Rumänen“ wollen es nicht beim derzeitigen Status Quo des Fuhrparks belassen. Die Losung heißt „Attacke“, das Modellangebot wird ausgeweitet. Auf dem Genfer Frühjahrssalon Anfang März will Dacia den Nachweis liefern, auch in bisher unbekannten Segmen­ten antreten zu können. Und den bisher eingeschlagen Erfolgsweg fortsetzen zu wollen. Am Lac Leman, wo traditionell das Autojahr und dessen Trends und Tendenzen eingeläutet werden, wird der sportliche vielseitige SUV Dacia Duster eines der interessantesten neuen Modelle sein.

Das nach dem Logan und Sandero dritte Fahrzeugkonzept ist der erste Dacia mit Allradantrieb. Der etwa 1 200 Kilogramm schwere Fünftürer verfügt über 200 Millimeter Bodenfreiheit. Er wird entweder von einem 1,6 Liter Benziner mit 110 PS oder vom Renault Diesel 1,5 dCi mit 85 oder 105 PS angetrieben werden. Als erster Dacia wird der 4,31 Meter lange Duster mit 470 Liter Kofferraum auch ein elektronisches Stabilitätsprogramm (ESP) in der Aufpreisliste haben. Geschätzter Kostenpunkt für das neue 4x4-SUV sind etwa 15 000 Euro. Dacia hat aber bereits angekündigt, eine noch kostengünstigere frontgetriebene Version anbieten zu wollen. Schließlich hat man nicht nur einen guten Ruf bei preisbewussten Kunden, sondern auch eine glänzende Bilanz in der Kasse zu verteidigen.

Jürgen C. Braun
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