Es gibt einen Politikbereich, über den die Vorstellungen der CSV in ihrem Wahlprogramm sich stark genug von denen der drei nächstgrößeren Parteien unterscheiden, dass daraus ein Wahlkampfthema entstehen könnte: die Landesplanung. Immerhin ein Bereich, zu dem die OECD im Herbst 2007 ein eigenes Examen territorial für Luxemburg verfasste und dem der Wirtschafts- und Sozialrat ein eigenes Kapitel in seinem auf Krisenanalyse und Krisenbewältigung orientierten Jahresgutachten 2009 widmete.
Wahrscheinlich jedoch wird es diese dramatische Zuspitzung im Wahlkampf nicht geben. Die Zusammenhänge sind so komplex, dass sich daraus kaum griffige Slogans ableiten lassen. Vermutlich kommt deshalb im Wahlprogramm der ADR der Begriff „Landesplanung“ überhaupt nicht vor.
Was in diesem Bereich LSAP, DP und Grüne programmatisch so stark von der CSV trennt, die derzeit den Landesplanungsminister stellt, könnte man die Haltung gegenüber einem zentralistischen Planungsansatz nennen. Vor knapp drei Wochen wurde der Vorentwurf zum Plan sectoriel Logement veröffentlicht: Neben dem Dokument über die Transportinfrastrukturen, dem über schützenswerte Landschaften sowie dem über Gewerbegebiete liegen damit alle vier „primären“ staatlichen Planungsdokumente als avant-projet vor, die die Prinzipien des IVL-Konzepts praktisch umsetzen sollen. Sie „bis Ende 2010 komplett und definitiv in rechtskräftige Texte“ zu fassen, kündigt die CSV im Kapitel „Zesumme plangen“ ihres Wahlprogramms an. Und sie verspricht, „dabei die kommunalen Instanzen möglichst gut zu informieren, damit diese Pläne sich optimal mit den laufenden kommunalen Planungen, vornehmlich den neuen Gemeindenutzungsplänen (PAG) artikulieren können“ (S. 74).
Was plausibel und logisch klingt, ist für den Grünen Camille Gira, Mitglied im parlamentarischen Innen- und Landesplanungsausschuss, die Konsequenz davon, dass Minister Jean-Marie Halsdorf (CSV) es versäumt habe, „Vertrauen mit seinen Partnern herzustellen“. Denn laut Landesplanungsgesetz sollte es nicht nur eine staatliche Planung geben, über deren Ergebnisse die Gemeinden anschließend „möglichst gut“ informiert werden.
Sondern auch eine Regionalplanung, für die sich die Gemeinden innerhalb von sechs Planungsregionen zu Planungssyndikaten zusammenschließen und gemeinsam „von unten her“ planen.Wo Gira Recht hat, hat er Recht: Sektorplanung und Regionalplanung sollten parallel und zwischen beiden ein Informationsaustausch erfolgen; so ist das Landesplanungsgesetz in der Tat gedacht. Das IVL-Konzept erkennt den Regionalplänen „eine besonders große Bedeutung“ (S. 113) zu, und der Koalitionsvertrag der CSV-LSAP-Regierung kündigt im Abschnitt „Aménagement du territoire“ an: „Le gouvernement prendra des initiatives nécessaires pour que les six plans directeurs régionaux (...) soient réalisés dans les meilleurs délais.“ Die Einrichtung thematischer Arbeitsgruppen werde angeregt, und „les efforts du secteur communal visant à créer un climat propice à la coopération régionale“ würden unterstützt (S. 65).
In ihrem Wahlprogramm 2004 hatte auch die CSV versprochen, „die Ausarbeitung von Regionalplänen aktiv [zu] unterstützen“ (S.97). Bisher aber gibt es lediglich ein regionales Planungssysndikat: ProSud in der Südregion. Die CSV will denn in den nächsten fünf Jahren auch nur „den Regionalplan der Südregion (...) zum Pilotprojekt aus[zu]gestalten“.
Dagegen wollen LSAP, DP und Grüne alle sechs Regionalpläne, die im Landesplanungsgesetz vorgesehen sind, ausarbeiten lassen. Besonders ausführlich äußert die LSAP sich, die es „bedauerlich“ nennt, dass „bislang nur an den sektoriellen Plänen und nicht gleichzeitig an den regionalen Entwicklungsplänen gearbeitet wird“, und verspricht, „regionale Entwicklungsgesellschaften“ einzurichten (S. 77). Es gebe ein „Misstrauen, dass zur zentralistischen Planung übergegangen werden soll“, sagt LSAP-Präsident Alex Bodry, Landesplanungsminister von 1989 bis 1999.
Steht damit ein eher dirigistischer Ansatz einer CSV, für die das Ministerium, das die Tutelle über die Gemeinde ausübt, stets ein strategisches Ressort war, Modernisierungsbestrebungen einer rot-blau-grünen Koalition gegenüber? Den Eindruck könnte man haben. Aber so Unrecht hat Minister Halsdorf mit seiner Behauptung, „die regionale Zusammenarbeit funktioniert noch nicht und für Regionalplanung sind die Gemeinden noch nicht bereit“, offenbar auch nicht: „Wenn von unten gar nichts kommt, ist es sinnlos, Regionalplanung von oben her zu initiieren“, sagt Alex Bodry. Vor fünf Jahren hatte er Halsdorfs Vorgänger Michel Wolter vorgehalten, solche Initiativen nicht oft genug ergriffen zu haben (d’Land, 30.4.2004). Heute muss Bodry einräumen, dass im ProSud, dessen Vizepräsident er ist, sich die 12 Mitgliedsgemeinden kürzlich nicht einmal auf einen einheitlichen Tarif für den gemeinsam betriebenen Nachtbus einigen konnten. „Dass wir in der nächsten Legislaturperiode einen Regionalplan entwickeln wollen, ist eine richtige Bewährungsprobe.“
Für Camille Gira ist das ein Grund mehr, zur regionalen Kooperation anzuregen: Der Minister hätte spätestens nach den Gemeindewahlen 2005 eine Tour über Land unternehmen und den Schöffenräten noch der kleinsten Gemeinden das IVL-Konzept bekannt machen müssen. Außerdem müsste die Regierung bestimmte staatliche Zuwendungen gezielt regionalisieren: „Wieso bespricht man nicht zum Beispiel die Umsetzung der Sportstätten-Fünfjahresplanung mit den Gemeinden einer Region, fragt: ,Was haben wir, was wollen wir, wer macht was?‘, und verteilt dann die Mittel?“ Mit solchen Anreizen ließen alle Gemeinden sich für mehr regionale Zusammenarbeit und ebenfalls für Regionalplanung gewinnen, ist er überzeugt. Weshalb die Grünen auch die Einrichtung eines Regionalfonds fordern, die DP ebenfalls.
Aber spätestens an dieser Stelle wird die Lage komplexer: Regionale Fonds einzurichten, war in den Debatten im parlamentarischen Sonderausschuss zur Territorialreform für die LSAP ein größeres Problem gewesen als für die CSV. Die Sozialisten sorgten sich, dass einem Geldfluss in eine „Region“, die als Körperschaft nicht definiert ist, schließlich doch die Einführung einer neuen Ebene zwischen Staat und Gemeinden hätte vorausgehen können. Etwa in Form jener regionalen Établissements publics, deren Einrichtung Jean-Marie Halsdorf im Frühjahr 2005 in seinem Vorschlag zur Territorialreform zur Diskussion gestellt hatte und die nicht demokratisch legitimiert gewesen wären. Die aber womöglich die zurzeit dominierende Position der LSAP in den Proporzgemeinden hätten schwächen können. Bezeichnenderweise spricht sich die CSV in ihrem Wahlprogramm ebenfalls für einen Regionalfonds aus. Und der Landesplanungsminister betont gegenüber dem Land, dass vor zwei Jahren, als der Regierungsrat schon einmal über Regionalfonds diskutierte, nicht nur Haushaltsminister Luc Frieden Bedenken angemeldet hatte: „Kein sozialistischer Minister war damals dafür!“ Heute ist die LSAP es.
Das Beispiel zeigt jedoch, wie schnell die Debatte um ein komplexes Ressort wie die Landesplanung von politischem Kalkül an ganz anderer Stelle beeinflusst werden kann. Regionalplanung, zu der vielleicht ein Regionalfonds noch angeregt hät-te, konnte in der zu Ende gehenden Legislaturperiode auch deshalb schwerlich stattfinden, weil die Regierung den Pacte logement aufzulegen beschloss.
Denn statt ein Konzept zu einer Reform der Gemeindefinanzen zu formulieren, die es 39 laut IVL als „zentralen Orten“ mit ausgewählten kritischen Massen bevorzugt zu entwickelnden Gemeinden erlaubt hätte, stärker zu wachsen, entschied die Regierung sich nach dem wohnungsbaupolitischen Schuldbekenntnis von Premier Jean-Claude Juncker für einen Pacte logement mit prinzipiell allen Gemeinden. Wenn es einen Moment gab, in dem Jean-Marie Halsdorf im Kabinett nicht stark genug auftrat, dann jenen, in dem er gegen Fernand Bodens Wohnungsbaupakt-Vorschläge Einwände vorzubringen versuchte, sich aber zurückhielt, als der Premier Boden unterstützte.
Für das politische Verständnis von Landesplanung hatte das Folgen: Als Halsdorf 2007 mit Romain Diederich, dem Chef der Landesplanungsdirektion, über Land tourte und die Leitlinien des IVL-Konzepts erklärte, ging wenig später auch Daniel Miltgen, der leitende Beamte des Wohnungsbauministeriums, mit dem Wohnungsbaupakt auf die Reise. So mancher Bürgermeister äußerte damals: „Herr Halsdorf und Herr Diederich haben uns vom IVL erzählt. Das haben wir nicht richtig verstanden. Dann kam Herr Miltgen, sprach vom Wohnungsbaupakt und versprach uns Geld. Das verstanden wir.“
Für Camille Gira ist das Instrument Wohnungsbaupakt landesplanerisch so „schlimm“, dass er sich fragt, wie die LSAP ihm habe zustimmen können. Für Alex Bodry aber enthält der Pakt so viele gute Ansätze, dass er sie alle auf die wohnungsbaupolitischen Versprechen der Sozialisten im Wahlkampf 2004 zurückführt und sagt: „Der Pacte logement war im Grunde unsere Idee.“ Für die weitere Landesplanung aber ist sie nicht ohne Risiko: Dass eine landesweit angebots-orientierte Grundstückspolitik, die allen Gemeinden Wachstumsanreize gibt, völlig IVL-konträr ist, wollte man dadurch mindern, dass den 39 bevorzugt zu entwickelnden Gemeinden ein 50-prozentiger Aufschlag auf die Einwohnerzuwachsprämie zuerkannt wurde. Das Problem ist nur, dass in der aktuellen Krise, in der jeder Schöffenrat mit Bangen Aufschluss über die Entwicklung der Gewerbesteuer erwartet, ein Einwohnerwachstum, das ein Pacte logement honoriert, auch für Gemeinden lebenswichtig werden könnte, von denen aus sich kein Plan sectoriel Transports eine Ausweitung des Autoverkehrs wünscht: „Für eine Regionalplanung brauchte man deshalb“, sagt Camille Gira, „nicht nur Mittel, um bestimmte Gemeinden wachsen zu lassen, sondern auch, um die anderen nicht wachsen zu lassen.“
So dass in der nächsten Legislatur eine planerische Zusammenarbeit auf regionaler Ebene gerade im ländlichen Raum womöglich wichtiger wird, als sich heute absehen lässt. Pragmatisch, „weil wir unter 30 Mitarbeitern nur zehn Planer haben“, so der Minister, ist das Landesplanungsministerium, abgesehen von der mit dem Syndikat ProSud, planerische Kooperationen in Schwerpunktgebieten mit Gemeinden im Großraum Hauptstadt, im Alzettetal sowie mit den Nordstad-Gemeinden eingegangen und will künftig die bestehenden oder geplanten Naturparks Öewersauer, Our, Müllerthal und Haff Réi-mech ebenfalls zur Planung heranziehen. „Wir decken dann zwei Dittel des ländlichen Raums ab“, sagt der Minister.
Ob das reicht, fragt sich natürlich. Aber andererseits ist es nicht ausgeschlossen, dass jene Entwicklungsgesellschaft als Katalysator für die regionale Planung dienen kann, deren Einrichtung alle großen Parteien in ihren Wahlprogrammen versprechen, und die die Gemeinden beim Erwerb von Grundstücksreserven und deren Erschließung unterstützen soll. Dass mit Hilfe dieser Entwicklungsgesellschaft, die regionale „Antennen“ erhalten könnte, ein landesweites Flächenmanagement möglich werden soll und sich zu diesem Prinzip der Sektorplan Wohnungsbau bekennt, der unter Fernand Bodens Federführung entstand, ist einer der großen landesplanerischen Durchbrüche der zu Ende gehenden Legislaturperiode. Diskutiert wurde eine solche Gesellschaft schon mehrfach. Vorgesehen war ihre Einführung im ersten Vorentwurf zum neuen Gesetz über die Kommunalplanung, der 2004 noch unter der Regie von Halsdorfs Vorgänger Wolter entstand. Gekippt wurde sie auf Betreiben des Präsidenten des Fonds du Logement, Daniel Miltgen. Denn nicht selten sind strategische Meinungsverschiedenheiten zwischen den Parteien kaum kleiner als die innerhalb der CSV selbst.