Der immer zurückhaltend, fast niedergeschlagen wirkende Minister Jean-Marie Halsdorf ist nicht der Typ, von dem man sich erwartet, dass er mit der Faust auf den Tisch schlägt. Deshalb war das Verteidigungsministerium, das er vor bald drei Jahren übernahm, nicht gerade ein Geschenk für ihn. Denn wo mehr als im Kriegshandwerk sind Hierarchie, Disziplin, Ordnung, Gehorsam und Autorität verlangt? Doch bei der rezenten Weihnachtsfeier auf Herrenberg musste er in den sauren Apfel beißen und der Truppe eine öffentliche Standpauke halten: Die Armee sei „krank“, die Atmosphäre „unmöglich“, es fehle an „festen rechtsstaatlichen Regeln“, so dass er als Minister verhindern müsse, dass die Armee „durch diese Zustände zerstört wird“. Die Krise in der Armeeführung war nämlich wenige Tage zuvor öffentlich geworden. Soldaten hatten mit einem Spruchband und einer Flugschrift dagegen protestiert, dass „den Här Generol“ das Sankt-Nikolaus-[-]Gebäck, die „Boxemännercher“, gestrichen hatte, während er einen Tag später zu einem Festessen in der Offiziersmesse lud, samt drei Kellnern in „gebügelter Weste“, einem Tellerwäscher und zwei Wachsoldaten, so der Tagesbefehl des Oberst des Ausbildungszentrums.
Die Armee eines Kleinstaats muss ihren ersten Kampf immer gegen die Lächerlichkeit führen. Deshalb kann es nicht überraschen, dass auch eine Meuterei meist aus dem Register des Dorftheaters zu stammen scheint. Doch in Wirklichkeit wurde so nur öffentlich, dass die Führungskrise weitergeht, die Jean-Marie Halsdorf vor genau einem Jahr für beendet erklärt hatte. Damals hatte er den von seinem Vorgänger Jean-Louis Schiltz abgesetzten und durch ein Gerichtsurteil wieder in sein Amt eingeführten Generalstabschef zum zweiten Mal abgesetzt und dessen Nachfolger nach einem provisorischen dritten Generalstabschef zum zweiten Mal zum neuen Generalstabschef ernannt. Anders als von dem in Ungnade gefallenen und manchmal als starrköpfig beschriebenen ehemaligen Generalstabschef hatten sich die CSV-Minister von dem für umgänglicher gehaltenen neuen Generalstabschef erwartet, dass er einen guten Draht zu seinem politischen Vorgesetzten pflegt und wieder Ruhe in die Truppe bringt. Aber Fehlanzeige: Die Standpauke, die Halsdorf auf dem Herrenberg halten musste, galt in erster Linie dem Generalstabschef, dem Oberst des Ausbildungszentrums und anderen Offizieren. Der Minister warf ihnen vor, dass die „unmögliche Atmosphäre“ in der Armee darauf zurückzuführen ist, „wie die Hier[-]archie funktio[-]niert“. Und die Hierarchie ist noch immer von Willkür und persönlichen Rivalitäten, vom Ennemi in den eigenen Reihen geprägt, die der Minister so lange tolerierte, wie nichts an die Öffentlichkeit drang.
Überraschender ist schon, wie wenig politische Reaktion darauf erfolgt, wenn ein Verteidigungsminister feierlich ankün[-]digt, dass er die Armee vor der Zerstörung retten müsse. Denn die Affären der vergangenen Jahrzehnte lehren, dass die Armee als ausführendes Organ des staatlichen Gewaltmonopols eine politisch heikle Einrichtung in der parlamentarischen Demokratie bleibt. Mit ihren intern umstrittenen Auslands[-]einsätzen und ihren extern umstrittenen Investitionen, etwa in ein Militärflugzeug A400M, soll sie daneben international den Beweis erbringen, dass auch ein Kleinstaat diplomatisch ernst zu nehmen sei. Und schließlich gibt, trotz selektiver Sozialpolitik, jeder einzelne Steuerzahler dieses Jahr 288 Euro für die Armee aus. Noch die eine oder andere Operettenmeuterei gegen den „Här Generol“, und die Steuerzahler fragen sich, ob sie nicht endlich die seit 1989 versprochene Friedensdividende kassieren und sich für 288 Euro einen Flachbildschirm im Winterschlussverkauf leisten sollen.