Schon ziemlich müde waren die wenigen verbliebenen Abgeordneten am Mittwoch. Schließlich hatten sie schon einen dreistündigen „Débat de consultation“ über die Sekundarschulreform über sich ergehen lassen. Doch die anschließende Beratung über die neue Nato-Strategie versprach, den Charme eines theologischen Disputs über Engel zu bekommen: alle redeten fleißig mit, aber niemand hatte sie gesehen. Denn das elfseitige Papier für die Zeit bis 2020, das Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen am Donnerstag vergangener Woche den Außen- und Verteidigungsministern in Brüssel vorlegte, damit es der Nato-Gipfel am 19. und 20. November in Lissabon gutheißt, ist einstweilen noch... geheim.
Dabei ist das Thema nicht ohne Bedeutung für die Luxemburger Politik. Selbst wenn die Expertengruppe unter Ex-US-Außenministerin Madeleine Albright, die ihr erstes Seminar vor einem Jahr in Senningen hatte, Zbigniew Brzezinski nicht folgte, der eine Abkehr vom Einstimmigkeitsprinzip gefordert hatte, damit Zwergstaaten wie Luxemburg die anderen 27 Mitgliedstaaten nicht daran hindern können, in den Krieg zu ziehen.
Nach dem Verschwinden des lieb gewonnenen Ennemi aus dem Kalten Krieg sucht sich das nordatlantische Miltärbündnis bis hin zu Umweltschutz, Entwicklungshilfe, Terrorismus, Computerviren, Migration, Energieversorgung und Nation building neue Probleme in der ganzen Welt, die es wenn schon nicht lösen, so doch wenigstens militarisieren kann. Die Luxemburger Politik reagiert gewohnt schizophren: Pragmatisch sind sich alle Parteien einig, dass Luxemburg zu klein ist, um Einfluss auf die Geschicke der Nato zu nehmen. Und ideologisch gibt es gleichzeitig entlang der Rechts-Links-Achse abgestufte Meinungsverschiedenheiten: vom stramm rechten Ex-Offizier der ADR und dem ehemaligen Armeeminister der CSV, die der Nato volle Unterstützung beziehungsweise volles Vertrauen entgegenbringen, über den jungen, liberalen Spaßpolitiker, der mehr Opposition gegen die Regierung als gegen die Nato abliest, und den kritisch staatserhaltenden Grünliberalen bis zum Bedenkenträger der LSAP, der die bittere Pille mit frommen Wünschen versüßen will, und dem linken Rufer in der Wüste, der vorschlägt, die Nato solle es dem Warschauer Pakt gleichtun.
Dann ist da noch das liebe Geld. Selbst in Luxemburg, wo sich in den letzten zehn Jahren die Staatsausgaben verdoppelt, die Militärausgaben aber verdreifacht haben. Aber Einsparungen bei den Militärausgaben sind prinzipiell kein Thema. Nur die Handelskammer hatte vor vier Jahren einmal ein kleines Kapitel „Reporter un certain nombre de dépenses militaires“ in ihr Haushaltsgutachten eingeschoben. Sie hat den Versuch nie wiederholt.
Dabei steckt den Abgeordneten noch der Schreck über das 2005 von CSV, LSAP und DP zu damals 120 Millionen Euro votierte Militärflugzeug A400M in den Knochen, dessen Preis nun die 200 Millionen Euro erreicht. DP-Fraktionssprecher Xavier Bettel verlangte deshalb einen Kostenvoranschlag für das geplante Raketenabwehrsystem. Und er wollte wissen, wieso die Regierung ihre ablehnende Haltung gegenüber einem solchen von US-Präsident Barack Obama schon einmal für unsinnig erklärten Schutzschirm aufgegeben habe, der Europa angeblich vor iranischen Raketenangriffen schützen soll.
Außenminister Jean Asselborn (LSAP) gab zu verstehen, dass die Nato den Raketenschirm aufbauen soll, bloß damit die USA es nicht im Alleingang mit Polen und der Tschechei mache. Außerdem könne sich Luxemburg nicht als einziges Land querlegen. Was die Schiffe mit Raketenabwehrsystemen im Schwarzen Meer und im Mittelmeer kosten und wie hoch der Luxemburger Anteil ausfallen werde, wisse derzeit aber niemand.
Auch Verteidigungsminister Jean-Marie Halsdorf (CSV) war dafür, dass die Nato spart. Aber selbstverständlich bei den anderen. Insbesondere wenn die Zahl der Nato-Agenturen von 14 auf drei gesenkt wird, müsse das so „ernsthaft und transparent“ geschehen, dass die Namsa in Capellen am besten verschont bleibt. Denn sie sei nicht nur wirtschaftlich wichtig, sondern auch als nationaler Beitrag zur gemeinsamen Verteidigungsanstrengung.
Meinungsverschiedenheiten gibt es über die künftige Zweckbestimmung der Nato. Während auf der Rechten Jean-Louis Schiltz (CSV) und Fernand Kartheiser (ADR) pragmatisch dafür plädierten, das alles nicht so eng zu sehen, war Ben Fayot (LSAP) auf den versprochenen „Beistandskatalog“ gespannt, der auflistet, wann der Bündnisfall eintritt. Bettel und Braz zeigten sich bei der Vorstellung beunruhigt, dass die ganze Nato zu den Waffen greifen soll, wenn ein Computervirus auftaucht.
Während Ben Fayot meinte, dass die Nato ruhig versprechen könnte, einige Atomwaffen abzurüsten, warf Fernand Kartheiser der Regierung gerade vor, unnützerweise einen Brief mitunterschrieben zu haben, der gegen die französische Force de frappe gerichtet sei, statt die diplomatischen Beziehungen zu Paris wieder zu verbessern. Dagegen riet Jean-Louis Schiltz, den Atomstreit zu nutzen, um sich noch einmal als Vermittler zwischen Frankreich und Deutschland zu versuchen. Doch weil er wohl gerade an den ausweglosen Afghanistankrieg gedacht hatte, klagte Ben Fayot, dass selbst ein UN-Mandat nicht immer ausreicht, um „Akzeptanz“ für einen Krieg zu erreichen.