Im März schien wieder alles beim Alten zu sein. Die hohen Temperaturen zogen Kunden auf die Terrassen von Gaststätten. Die Covid-Check-Abschaffung an Restauranttüren verwechselte so manch einer mit der Garantie, eine omicronfreie Zone zu betreten. Durstige prosteten mit Bier, Wein oder Crémant. Hungrige stopften sich Pizza, Samosas oder Tapas in den Mund. Aber die ersten Handy-Nachrichten mit schlechten Witzen begannen alsbald zu zirkulieren: „Gehen wir noch ins Restaurant bevor es unbezahlbar wird?“. Die Energie- und Lebensmittelpreise spitzen sich zu und Kleinunternehmen wie Restaurants müssen bei einer Indextranche Kosten kurzfristig neu berechnen.
„D’Präisser klammen an allen Beräicher a mir wëssen, dass et nach esou wäert weidergoen“, sagt die Geschäftsführerin Deborah Ceccacci von Chez Toni in Schifflingen gegenüber Land. Wer sich in diesem Wirtschaftszweig umhört, stößt auf Ungewissheit. Es sei schwierig vorauszusehen, was dem Gastronomiegewerbe noch bevorstehe, so Ceccacci. Der Spielraum, um die Preissteigerung an die Konsumenten weiterzuleiten, sei eng. Die junge Geschäftsführerin geht davon aus, dass die Preise erst mal nicht über drei Prozent steigen können, damit die Kunden nicht ausbleiben. Das Problem hierbei: „Eis Margen ginn zréck an déi sinn an dësem Secteur schonn nët héich.“ Die ehemalige RTL-Moderatorin Deborah Ceccacci hat erst vor fünf Monaten die Pizzeria Chez Toni übernommen. „Das Familienunternehmen besteht nun seit fünfzig Jahren. Es war ein Wunsch von mir, das Restaurant weiterzuführen, auch wenn dies nach der Pandemie nicht einfach ist.“ An Chez Toni ist seit neun Jahren zudem eine Nudelfabrik angegliedert, die von dem Koch des Lokals mitgeführt wird. Ceccaci sieht die Nudelproduktion derzeit mit Preissteigerungen von 20 Prozent konfrontiert, die vor allem auf die Energiepreise zurückzuführen sind. Die kriegsbedingten Engpässen stehen noch aus.
Im Februar schrieb das Statec, die Lebensmittelinflation habe sich erheblich beschleunigt und erreichte zu Jahresbeginn 3,2 Prozent. Insgesamt 0,6 Prozentpunkte trägt die Preissteigerung in der Lebensmittelindustrie zur Gesamtinflation bei. In der restlichen Eurozone steigen die Preise noch schneller als derzeit in Luxemburg; unbehandelte Lebensmittel erreichen gar einen Anstieg von 5,2 Prozent. Seit Pandemiebeginn ist ein rasanter Anstieg der Weltmarktpreise für Grundnahrungsmittel (laut FAO-Index) zu beobachten. Im Februar 2022 lagen die Preise im Schnitt um 40 Prozent höher als vor den Shutdown-Phasen. Für Öle wurde gar ein Preisanstieg von 100 Prozent im Vergleich zum Vorkrisenniveau festgestellt. Und das Getreide verbuchte einen fünfzigprozentigen Anstieg gegenüber der Vorcoronazeit.
Mit Blick auf den hohen Anteil der Getreideproduktion aus Ländern wie Russland und der Ukraine, die auf unbestimmte Zeit nicht auf dem Weltmarkt vertrieben werden, ist ein weiterer Preisanstieg nicht zu verhindern. Hinzu kommt eine verminderte Düngemittel-Produktion und steigende Marktpreise von vor allem Mitteln wie Phosphor und Kali. Im Verlauf der Pandemiejahre haben sich die Preise für Stickstoffdünger bereits quasi vervierfacht, mit einer ruckartigen Preiserhöhung von weiteren 40 Prozent seit der russischen Invasion in der Ukraine, wie der Lëtzebuerger Bauer mit Verweis auf den Green Markets Düngemittel-Preisindex berichtet. Hohe Kosten in der landbaulichen Produktion und dessen nachgelagertem Bereich ziehen sich derzeit durch die Betriebsmittel wie im Transport-, Verarbeitungs- und Verpackungswesen.
„Oh Mam, dat hält net op; d’Inflatioun derapéiert“, platzt es aus dem Horesca-Generalsekretär François Koepp heraus. „Die Preise in der Glasproduktion für Weinflaschen haben sich beispielsweise verdoppelt. Im Januar sind die Kosten in den Wäschereien um 17 Prozent gestiegen. Die Versicherungen, die Geräte und die Wartungsverträge werden teurer. Von Zwischenhändler zu Zwischenhändler wird ein Zuschlag verbucht. Wir sind in einer gefährlichen Situation, wer jetzt keine stramme Buchhaltung führt, wird diese Krise nicht meistern können“, sagt Koepp ohne Punkt und Komma.
Obwohl die Saatausfälle im Osten noch nicht auf der Rechnung stehen, sieht sich die Restaurantszene jetzt bereits mit Getreideengpässen konfrontiert. Im Moment sei der Markt angespannt, das italienische Restaurant Partigiano in der Straßburger könne derzeit Mehl nur für zwei-drei Wochen im Voraus bestellen, erklärt Geschäftsleiter Alexandre de Toffol. Das Partigiano bezieht sein Mehl aus Italien, „da wir für die neapolitanische Pizza ein Mehl benötigen, das wir nicht in der Region bestellen können“. Der Koch bestätige seinerseits einen Preisanstieg von 30 Prozent für Fleischwaren. „Extrem“ sei überdies der aktuelle Preis von Bratöl, „fir d’Fritten an esou“, heißt es aus der Küche. „Auch der Preis von Gegenständen aus Inox ist gestiegen“, beteuert de Toffol. Bisher wurden die Preise auf der Speisekarte noch nicht angepasst, aber nur ein paar Wochen könne das Partigiano den Kostenanstieg der Kundschaft vorenthalten.
Das Restaurant Casa Fabiana hat die Preise bereits erhöht. Durch die indexbedingte Lohnkostenerhöhung, die im ersten Trimester anfiel, wurde ein Zuschlag von 0,60 Cents beim Mittagstisch eingeführt. „Den Preisanstieg für die einzelnen Waren habe ich noch nicht berechnet“, erläutert Fabiana Bartolozzi, Inhaberin des Lokals und ehemalige Gemeinderätin. Aber auch sie merke, dass die Rechnung beim Großhändler in die Höhe schoss. „Neu ist ebenfalls, dass die Zwischenhändler nun einen Mindestbetrag bei der Bestellung verlangen. Andernfalls werden 10 bis 20 Euro für den Transport berechnet“, so die Inhaberin des Bio-Restaurants.
Seit Beginn der Pandemie litt das Gastgewerbe an einem schmuddel Image, nachdem das „Kitzloch“ im österreichischen Skigebiet Ischgl Anfang 2020 als einer der Ausgangspunkte für die vielen Infektionen in Europa gehandelt wurde. Als die Gaststätten und Restaurants nach dem ersten Lockdown wieder öffnen durften, wurde – mal zu Recht mal zu Unrecht – aus unterschiedlichen Ecken mit dem Finger auf die Branche gezeigt: Hedonisten würden sich hier auf Kosten der Vulnerabelen amüsieren. Darüber hinaus wurde das Gastgewerbe als besonders belastender Wirtschaftszweig betrachtet: Denn jeder Monat, in dem die Tische leer blieben und die Bedienung zu Hause, koste ein Zehntel Prozent BIP – nachgelagerte Sektoren eingenommen, – rechnete das Statec vergangenes Jahr vor. Beihilfen von bis zu 1 250 Euro pro Selbstständigem und Arbeitnehmer konnte die Branche beantragen. In den knapp 2 800 Unternehmen des Horeca – Hotels, Restaurants und Cafés – arbeiten rund 20 000 Menschen.
Bei Wirtsstuben brachen die Einnahmen im ersten Pandemiejahr um über 60 Prozent ein im Vergleich zu 2019. Im gleichen Zeitraum schrumpften sie für Restaurants und Kantinen um 40 Prozent, wie das Statec berechnet hat. Eine Zunahme an Haushalts-Ausgaben war lediglich im Take-away zu beobachten. Eine Zunahme, die die fehlenden Einnahmen jedoch nicht wettmacht: Sie lag bei 25 Prozent. Profitiert hat hingegen die Haushaltsgeräte-Industrie; die Untersuchung des Statec stellt fest, dass Haushalte ihre Ausgaben von 106 Euro auf 170 hochschraubten.
Zur Vollständigkeit des Bildes zählt aber auch, dass viele Betreiber und Angestellte dieses Wirtschaftszweiges selbst zum Prekariat gehören. Im Vergleich zu anderen Arbeitsplätzen bleibt die rechtliche Absicherung und das Einkommen in dieser Branche häufig zurück. Die Margen in diesem Wirtschaftszweig werden auf sechs-acht Prozent geschätzt. Nicht immer sind die Arbeitsabläufe planbar und Spätschichten können die Gesundheit und Lebenszufriedenheit beeinträchtigen, wie die Soziologin an der Universität Basel, Jacqueline Kalbermatter, in ihrem Artikel „Der alltägliche Kampf in der verborgenen Stätte der Restaurants“ schreibt. Daneben kommt dem Personal gelegentlich wenig Wertschätzung entgegen, in einem oftmals stressigen Arbeitsumfeld, in dem Angestellte stets freundlich sein sollen.
Ordentlich geführte Lokale federn diese Unsicherheiten ab. Und sie stehen nicht für rücksichtsloses Vergnügen, – viel eher für gutes Essen, gute Gespräche und guten Wein. Es wurde Zeit, dass die Gastronomie wieder auftauen kann. Doch nun sieht sich das Gewerbe mit einer neuen Herausforderung konfrontiert. Und wie es diese Woche gemeldet wurde, stehen bereits die nächsten Engpässe auf dem Obst- und Weinmarkt an. In Frankreich war es zu Beginn des Monats so kalt wie seit 1947 nicht mehr. Erste Obstbauern melden, dass ihre Pflaumen, Aprikosen und Kiwis die Kälte wohl nicht überstanden haben.