Es geht um Herzblut und um Übergriffe. Zwischen diesen beiden Polen schwankt Regisseurin Elfi Mikesch in Fieber, ihrem neuesten Werk, einer luxemburgisch-österreichischen Koproduktion von Amour Fou. Vor allem aber geht es um ihre Kindheit, auch wenn sie das nivellieren möchte, und um die Aufarbeitung des Verhältnisses zum eigenen Vater. Franziska wächst Anfang der Fünfzigerjahre in einer österreichischen Kleinstadt auf. Das Elternhaus ist geprägt vom Vater, der einige Jahre als Fremdenlegionär in Marokko, Algerien und Syrien war. Eine Zeit, die ihn auch Jahre später noch gefangen hält, und in die Franziska durch Fotos ihres Vaters eintaucht. Sie schafft sich einen großen, starken Vater mit Heldentaten und Entdeckerfahrten in ferne Länder. Doch dieser faszinierende Mensch ihrer Träume und Wünsche steht in starkem Kontrast zum gewalttätigen, unberechenbaren und fieberkranken Vater der Realität. Jahre später macht Franziska eine Reise in die Kindheit ihres Vaters, um sich ihm nähern, um ihn anzunehmen und aus seinem Schatten herauszutreten – mit zwiespältigen Folgen für Franziska. Fieber ist die Aufarbeitung eines Vater-Tochter-Konflikts und feierte im Panorama der diesjährigen Berlinale seine Premiere. Ein Gespräch mit der Hauptdarstellerin Eva Mattes über Kinder-Eltern-Beziehungen und Rebellion.
d’Land: Frau Mattes, Fieber ist von der Biografie der Regisseurin geprägt. Wie gelingt es Ihnen als Darstellerin eine Distanz zu bewahren, wenn die Person, deren Leben sie porträtieren, hinter der Kamera steht?
Eva Mattes: Elfi Mikesch hat selber eine gute Distanz zu diesem Thema, zu ihrem Vater. Der Film ist ja nicht nur autobiografisch. Sie hat großen Wert darauf gelegt, dass man weiß, dass das nicht eins-zu-eins die Figur ihres Vaters ist. Für mich ist das ganz anders. Ich nähere mich dem an, aber auf meine Weise. Meine Rolle führt mich zurück in die Kindheit und ich erlebe – im Film – noch einmal, wie das war mit dem Vater. Damals.
Schaut man auf Frauen-Biografien der Nachkriegszeit, dann ist der Konflikt mit dem Vater und der Vater-Generation ein großes Thema. Haben auch Ihre persönlichen Erfahrungen in den Film hineingewirkt?
Nein. Gar nicht. Ich habe mich mehr mit meiner Mutter auseinandergesetzt. Mit ihr bin ich aufgewachsen und sie war wirklich wichtig in meinem Leben. Meine Eltern haben sich früh getrennt und so war mein Vater nicht in diesem Maße präsent. Sicherlich habe ich auch einiges von ihm. Seitdem er gestorben ist, denke ich mehr an ihn. Auch zärtlich. Da ist ein Kontakt entstanden, den ich sehr schön finde.
Wie aber ist das, wenn der Vater kein Held, sondern Täter ist? Hätte Sie das zur gleichen Distanz, zur gleichen Aufarbeitung geführt wie die Filmrolle?
Möglicherweise. Ich habe mich mit jener Zeit stark auseinandergesetzt, aber mehr über meine Mutter. Meine Eltern waren während des Zweiten Weltkriegs in Berlin. Dass sie nicht gegen die Nazis rebelliert haben, nicht im Untergrund waren oder was auch immer, sondern Mitläufer waren, habe ich nie verstanden. Dagegen habe ich eine Zeit lang sehr rebelliert und habe meiner Mutter richtig zugesetzt …
… und Ihr Vater?
Mein Vater, den ich nach der Trennung meiner Eltern hin und wieder traf, hatte ein besonders Gespür für mich und hielt bereits im Vorhinein dagegen, wenn ich eine Anti-Haltung gegen das hatte, was er toll fand. Da war er sehr feinfühlig. Aber er hat auch Sachen gesagt, die ich unerträglich fand.
Waren Sie ein rebellischer Mensch?
In gewisser Weise schon. Gerade in der Auseinandersetzung mit meiner Mutter habe ich mir schon Gedanken darüber gemacht und gefragt, was war denn damals im Zweiten Weltkrieg? Meine Mutter war damals ein Filmstar und arbeitete bei der Ufa. Sie drehte den Film Der Postmeister mit Heinrich George. Das war ihre Glanzzeit. Und in dieser Glanzzeit lebte sie später auch noch. Das begann ich zu hinterfragen. Ich wollte herausfinden, was damals war, warum sie nichts tat. Ich habe dann mit 25 die Dokumentation gemacht Eva Mattes: Fragen an die Mutter.
Als Aufarbeitung der Mutter-Tochter-Beziehung?
Es sollte eigentlich ein Porträt über meine Mutter und mich werden, aber als wir den Film machten, merkte ich, dass das Quatsch ist. Ich habe dann 50 Fragen aufgeschrieben und sie meiner Mutter gestellt. Das war sehr hart und für meine Mutter auch sehr verletzend. Ich habe dann erst viele Dinge über sie erfahren, zum Beispiel, dass sie im Krieg Gedichte schrieb und darin eine Haltung besaß. Zum Teil auch kindlich naiv. Aber ich möchte klarstellen, dass ich nicht nur rebellisch bin. Ich bin auch brav. Manchmal viel zu sehr.
Wie ist es bei Ihren Kindern?
Die heutige Jugend hat es schwer zu rebellieren. Wogegen sollen die noch rebellieren, wenn wir Erwachsenen heute so verständig sind? Rebellion hat auch was Gutes, indem man gegen das Alte, das Nichtbewegliche angeht, um zu etwas Neuem zu kommen.
Mit Ihnen über Rebellion zu reden, bedeutet auch über die Berlinale 1970 zu sprechen. Was geschah damals?
Damals lief der Film O.K. von Michael Verhoeven im Wettbewerb. Es gab all die Sektionen, wie Forum und Panorama, noch nicht. O.K. war ein Film gegen den Vietnamkrieg, der zu dieser Zeit noch geführt wurde. Durch den Film fühlte sich der damalige Jury-Präsident George Stevens aus den USA in seiner amerikanischen Ehre verletzt und sagte, O.K. müsse raus aus dem Wettbewerb. Daraufhin haben sich alle anderen Filmemacher mit dem Film solidarisiert und sagten, dann gehen wir auch. Worauf das Festival platzte und ohne Preisverleihung zu Ende ging. Das war mein erstes Berlinale-Erlebnis. Ich war damals 15 Jahre alt, fand alles großartig und aufregend, habe allerdings nur die Hälfte von dem verstanden, was da vor sich ging. Dennoch war es für mich der rote Teppich in meinen Beruf. Ich fing an mit Fassbinder zu arbeiten, bekam den Bundesfilmpreis für diese Rolle.
Haben Sie damals gemerkt, was ein Film bewirken kann?
Damals direkt nicht, aber heute – im Nachhinein betrachtet – sehr wohl.
Ist das Kino heute auch noch rebellisch? Einen Festivalabbruch wird es wohl kaum noch geben und das Publikum ist auch eher devot.
Ich weiß nicht, ob man unbedingt einen Skandal auslösen muss. Über dreißig Jahre habe ich mit Peter Zadek am Theater zusammengearbeitet, der provokant inszenierte, aber nicht unbedingt den Skandal suchte. Ich weiß nicht, wie das bei Lars von Trier ist. Ich habe seinen letzten Film noch nicht gesehen, will ihn auch nicht sehen, weil ich bestimmte Szenen von Brutalität nicht sehen kann und nicht sehen möchte. Dann brauche ich mich auch nicht darüber aufzuregen.
Sie waren 15 bei Ihrer ersten Berlinale, Carolina Cardoso, die in Fieber die junge Franziska spielt, ist in etwa dem gleichen Alter. Welchen Rat möchten Sie ihr geben für ihre weitere Karriere?
Einen Rat, den ich jeder jungen Schauspielerin und jedem jungen Schauspieler gebe: Du musst für die Schauspielerei brennen, begeistert sein, fiebern. Wenn du das nicht hast, lass es bleiben.