Ob es die wahre Liebe gibt, daran scheiden sich die Geister. Auch daran, wie sich Liebe denn nun wirklich anfühlt und wo sie herkommt, aus dem Kopf, dem Bauch, der Hüfte. Das Thema hat sich im Laufe der Menschheitsgeschichte zum wohl größten Fundus aus Kunst und Philosophie, Literatur und Musik entwickelt, zum Widersprüchlichsten, das man sich heute vorstellen kann: „Love is free, free is love“, singen die Beatles, „Liebe ist für alle da“ laut Rammstein, „Old love, new love, every love but true love – love for sale“ heißt es im Cole-Porter-Musical The New Yorker. Auch Thierry van Werveke und Marc Limpach haben sich Gedanken darüber macht, was Liebe ausmacht. Vor einem halben Dutzend Jahren hatten sie am Théâtre National du Luxembourg einen szenischen Themenabend mit Liedfragmenten und Textzitaten geplant. Zur Umsetzung des Projekts sollte es nicht mehr kommen. Thierry van Werveke starb am 11. Januar 2009.
In dieser Saison hat Limpach die Idee erneut aufgegriffen, die literarische und musikalische Fundgrube durchforstet und gemeinsam mit der Regisseurin Anne Simon passend zum Valentinstag das Programm My funny Valentine – e Lidder- a Poesieowend am TNL vorgestellt. Mit auf der Bühne: die luxemburgischen Jazz-und Chanson-Diven Shlomit Butbul, Sascha Ley und Nora Koenig, Anne Kaftan am Saxophon, Judith Lecuit am Cello, der Bassist John Schlammes und der Pianist Georges Urwald, sowie die Singschauspieler Serge Tonnar, Luc Feit, Jules Werner und Marc Limpach selbst. Das Projekt fand als Benefizveranstaltung zugunsten der Fondation Thierry van Werveke statt, sowie von dropIn, einer Anlaufstelle des Luxemburger Roten Kreuzes für Prostituierte.
Natürlich dreht sich alles um das stärkste der menschlichen Gefühle und um die schönste Sache der Welt. Am Tresen und an Wirtshaustischen, rund ums Klavier oder auf der Schaukel sitzend, sinnieren und beraten, necken und streiten die Darsteller über Sinn und Unsinn der Liebe: „Quand je pense à Fernande / Je bande, je bande / Quand je pense à Félicie / Je bande aussi / … / La bandaison papa /Ça ne se commande pas.“ Man gibt sich humoristisch und sarkastisch, dann wieder gefühlvoll und melancholisch, etwa wenn Serge Tonnar ’t si vill schéi Rousen an der Stad singt, tief, rauchig, elektrisierend oder Shlomit Butbul das jiddische Lied Vergiss mich nicht mit einer durch und durch sensiblen Stimme.
Es geht auch um Vergänglichkeit, das schmerzhafte Eingeständnis, dass Liebe eine Illusion sein kann. Nora Koenig rezitiert ihrem Gegenüber, Marc Limpach, das Kiwius-Gedicht Im ersten Licht ins Gesicht: „Wenn wir uns gedankenlos getrunken haben / Aus einem langen Sommerabend / In eine kurze heiße Nacht… / Und wenn ich dann im ersten Licht / Deinen fetten Arsch sehe / … / Verstehst du, / Deinen trüben verstimmten ausgeleierten Arsch, / Dann weiß ich wieder, Dass ich dich nicht liebe.“ Und gleich darauf lässt man mit Jacques Brels Ne me quitte pas ganz brutal die Angst vor dem Alleinsein zum Ausdruck bringen.
Die Lieder und Texte von Shakespeare und Henrik Ibsen, Nick Cave und Rammstein, Brecht, Kreisler, Mühsam, Enzensberger oder Heinz Erhardt sind viel mehr als eine Sammlung von losen Fragmenten. In My funny Valentine fügen sie sich ein in eine durch und durch ehrliche Inszenierung rund um die Liebe. Hinter dem an den Song von Rodgers und Hart angelehnten Titel des TNL-Projekts verbirgt sich ein romantischer und poetischer, verträumter und nachdenklicher, sinnlicher und prickelnder Abend zum Lachen und zum Weinen: „My funny valentine / Sweet comic Valentine / You make me smile with my heart / Your looks are laughable / Unphotographable / Yet you’re my favourite work of art.“