Mythos Tripartite Ein Raum mit Kronleuchtern und Gobelins im Hôtel Saint-Maximin. Dutzende Männer drängen sich Schulter an Schulter an einen langen Tisch. In der Mitte sitzt der Staatsminister mit seiner Regierung. Ihm gegenüber Gewerkschaftsfunktionäre und Arbeitgeberbosse. Und an den Rändern die jeweiligen Lakaien. Sie rauchen, trinken Kaffee und schwitzen. Was in diesem Raum geschieht und gesagt wird, bleibt in diesem Raum. Aber am Ende wird der Staatsminister vor die Presse treten und verkünden, man habe nach zähem Ringen und Verhandeln sich im Konsens einigen können.
Das Bild der großen Tripartite-Runde wirkt wie eine Erinnerung an die Welt von gestern. Dabei hat sich die „Konsensfabrik“, wie Jean-Claude Juncker (CSV) den Koordinierungsausschuss einmal genannt hat, tief in der politischen Kultur des Landes verankert. Die Tripartite-Runde im Hôtel Saint-Maximin war die Luxemburger Version des War Rooms in Stanley Kubricks Dr. Strangelove – ein Ort, an dem sich die Mächtigen des Landes zurückziehen, wenn es ernst wird, um die Dinge unter sich zu regeln. Dass es sich dabei um einen vormodernen Ort handelt, der verfassungsrechtlich bedenklich ist, hat der Staatsrat schon bei der Gründung des Tripartite-Ausschusses im Dezember 1977 angemahnt. Aber um Verteilungskämpfe auf der Straße zu verhindern und im Interesse der nationalen Einheit konnte man schon einmal ein Auge zudrücken.
Seit dem Ende des Systems Juncker (mitsamt der sogenannten offenen Tripartite) und mit Beginn der einstigen Fensteröffner von Gambia hat die große Tripartite-Runde allerdings nicht mehr stattgefunden; manche sagen, das Kriseninstrument sei lediglich im Standby-Modus, andere sagen, es sei definitiv Geschichte. Doch auch jenseits des Koordinierungsausschusses hat sich das System der Tripartite als Luxemburger Modell im Staat institutionalisiert: Es gibt ein halbes Dutzend Gremien, an denen die Regierung, Arbeitnehmer- und Arbeitgeberverbände teilnehmen vor allem in der Sozial- und Gesundheitspolitik oder im Bereich des Arbeitsrechts.
Buck unchained Er will das ändern: Nicolas Buck, enfant terrible einer Verleger-Familie, früherer Fedil-Vorsitzender und seit Anfang des Jahres Präsident der UEL. Gleich bei seiner ersten Sitzung im Comité permanent pour le travail et l‘emploi (CPTE) im September hat er für einen Eklat gesorgt. Arbeitsmister Dan Kersch (LSAP) sowie den Gewerkschaften hat er unmissverständlich mitgeteilt, was er von der Funktionsweise dieses Gremiums hält: Nichts. Oder wie er es dem Land mit einem Lächeln sagt: „Wir sind dort 40 Jahre gefickt worden.“ Buck sieht ein Ungleichgewicht im CPTE zwischen Regierung und Sozialpartnern; LSAP und OGBL seien sich schon im Vorfeld einig. Die Arbeitgeberseite werde vor vollendete Tatsachen gestellt, ihr bleibe nichts Anderes übrig als den „Konsens“ mitzutragen. „Das ist das übliche Spiel im obskuren CPTE“, so Buck. Doch das wollen sich die Arbeitgeber nicht länger bieten lassen und fordern eine neue Methode des Sozialdialogs.
Breite Schultern, maßgeschneiderter Anzug, keine Krawatte – Buck wirkt wie ein Posterboy einer neuen Unternehmergeneration. Er hat auf natürliche Art einen Schalk im Nacken sitzen, aber sein breitbeiniges Auftreten und seine Chuzpe hat er sich auch angeeignet. Er durchlief das englische Bildungssystem, das, wie er in einem Artikel im Luxemburger Wort einmal gesagt hat, weniger auf Wissensvermittlung setzt, sondern vielmehr auf „Erwerb von Selbstbewusstsein“. Dieser Typus des nimmer zweifelnden Großmauls scheint gerade en vogue zu sein an der Spitze von Politik und Wirtschaft.
Dabei kann sich nicht jeder Unternehmer der UEL mit dem forschen Stil und der klaren Sprache des neuen Präsidenten anfreunden. Unter vorgehaltener Hand äußern manche ihre Abneigung gegenüber den schrillen Tönen. Buck ist sich dessen bewusst. Aber er weiß auch, dass sie alle seine Analyse des dysfunktionalen Sozialmodells in Luxemburgs teilen, und er deshalb ihren Rückhalt hat. Tatsächlich war es Teil des Wurth’schen Erbfolgeplans, die Posten an der Spitze von UEL und Chambre de Commerce zu teilen. Michel Wurth hatte lange Jahre beide Posten in Personalunion ausgeführt und die Schwachstellen dieser Machtkonzentration erkannt. Als Chef der regierungsnahen Handelskammer musste er die politischen Entschlüsse mittragen, als Vorsitzender der Unternehmerorganisation UEL musste er sie gegebenenfalls verwerfen. Der frühere CSV-Minister Luc Frieden kann nun als Vorsitzender der Handelskammer den Standort Luxemburg als verlängerter Arm der Regierung in der Welt verkaufen, und Nicolas Buck hat einen Blankoscheck für knallharte Lobbyarbeit im Interesse der Unternehmer.
Politischer Lobbyismus Der scheidende OGBL-Präsident André Roeltgen will deshalb die neue Position der UEL und den Eklat im CPTE nicht auf Nicolas Buck reduzieren. „Das Ganze hat System“, so Roeltgen. „Es geht darum das Luxemburger Sozialmodell zu unterwandern und die Gewerkschaften zu verdrängen.“ Schon seit Jahren habe das Patronat insgeheim nicht mehr viel übrig für das Luxemburger Sozialmodell. André Roeltgen hat gemeinsam mit Patrick Dury (LCGB) und Romain Wolff (CGFP) deshalb sofort zur Gegenwehr ausgeholt und für den 19. November eine Protestaktion im Hotel Alvisse organsiert. Dass die Gewerkschaften sich für ihre Aktion ausgerechnet die Lobby eines Hotels ausgesucht haben, ist für die Unternehmerseite eine süffisante Pointe.
Tatsächlich gesteht auch Buck, dass der angedrohte Rückzug im CPTE keine Entscheidung im Affekt gewesen war, sondern dahinter eine „Agenda“ stecke. Die Arbeitgeber wollen das aktuelle Sozialmodell mit Verhandlungen in dem Dreiergremium aufbrechen. „Natürlich soll es noch Sozialdialog geben“, so Buck, „aber die Betonung liegt auf Dialog.“ Denn in den Tripartite-Gremien werden aktuell politische Texte verhandelt, obwohl das diesem Gremium überhaupt nicht zustehe. „Wir sind genauso eine politische Lobbyorganisation wie die Gewerkschaften“ sagt Buck. „Wir wollen Politik beeinflussen, haben aber eigentlich keine Legitimität, auch Gesetze zu verhandeln.“
Die „neue Methode“ von Buck beruht demnach auf dem Bejahen eines rein gewerkschaftlichen oder unternehmerischen Lobbyismus jenseits von Konsensgremien. Die Tripartite-Ausschüsse sollen in ihre Schranken versetzt werden. Dadurch soll gleichzeitig die Eintracht zwischen Dan Kersch und Gewerkschaften gestutzt werden. Was Buck mit viel Verve als „neue Methode“ fürs 21. Jahrhundert verkauft, ist dabei nicht grundlegend verschieden von der Unternehmerposition seit Gründung der Dreiergespräche. Bereits 1981 sagte der damalige Finanzdirektor der Arbed Norbert von Kunitzki: „Die Tripartite ist nichts Anderes als ein Instrument zur Beratung der Regierung.“
Fortsetzung des Arbeitskampfes mit anderen Mitteln Roeltgen sieht das Luxemburger Modell an einem Scheideweg. Und er verneint vehement, dass es sich um die klassische Krisenrhetorik handelt. Denn vielmehr sei seit Jahren ein Rückgang der korporatistischen Bewegung zu erkennen. Weniger als die Hälfte des Salariats arbeite noch unter dem Schutz eines Kollektivvertrags. Und bei den Sozialwahlen im Frühling hat sich gezeigt, dass auch weniger als die Hälfte der Personaldelegierten in den Betriebsräten gewerkschaftlich aktiv ist. Die Gewerkschaften fühlen sich demnach zunehmend angeschlagen. Dabei hat der langjährige OGBL-Präsident John Castegnaro die Legitimität des Dreiergremien noch Anfang der 1980-er Jahre an der Repräsentativität festgemacht: „Die wirkliche Legitimierung der heutigen Tripartite fußt auf der historischen Tatsache, dass Gewerkschaften in Luxemburg traditionell Massenorganisationen sind: Rund 70 Prozent der Luxemburger Arbeitnehmer sind gewerkschaftlich organisiert, die Gewerkschaften sind also anerkannt repräsentative Salariatssprecher.“
Zudem geht der Trend in die Richtung, dass die Gewerkschaften weiter an Mitglieder verlieren. Die Unternehmen binden ihre Mitarbeiter lieber direkt an sich und drücken die Gewerkschaften als Dritte hinaus. Das wird vor allem bei Start-Ups oder sonstigen Firmen im Dienstleistungssektor deutlich: Unternehmen locken ihre zukünftigen Mitarbeiter mit Work-Life-Balance, mit Erholungsräumen, einer progressiven und diversen Kultur sowie der Möglichkeit, schnell ins Management aufzurücken – aber niemand soll bitte auf die Idee kommen, einen gewerkschaftlichen Betriebsrat zu organisieren.
Die neue verstärkte Bindung zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber erhält manchmal geradezu retrograde Züge: Einige Handwerksunternehmen in Luxemburg planen, Häuser für ihre Mitarbeiter zu errichten, fast so wie die Arbeiterkolonien Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts. Was als gut gemeintes Angebot vor dem Hintergrund eines überhitzten Immobilienmarkts gepreist wird, entpuppt sich als trojanisches Pferd. Dass dadurch erneut ein asymmetrisches Verhältnis von Herr und Knecht wie in Zeiten des Feudalismus entsteht, müsste eigentlich selbst den größten Apologeten der neoliberalen Zeit klar sein.
Da die Gewerkschaften weniger in den Betrieben vertreten sind und weniger Kollektivverträge abschließen können, versuchen sie ihren Einfluss mehr über das Arbeitsrecht im CPTE geltend zu machen. Buck nennt sie deshalb spöttisch „Fachidioten des Arbeitsrechts, die aus 360 Seiten des Code du travail 460 Seiten machen wollen“. Er bedauert jedoch, dass die Gewerkschaften im Sinkflug sind. „Denn auch wir wollen starke Sozialpartner.“ Der UEL-Präsident hat auch Ideen, wie die Gewerkschaften wieder aufblühen könnten: Etwa durch die Abschaffung der automatischen Indexmodulierung oder auch durch die Schwächung der LSAP. „Je mehr Entscheidungen die Politik im Sinne der Arbeitnehmer trifft, desto weniger sehen Arbeitgeber Sinn darin, einer Gewerkschaft beizutreten“, so seine simple Gleichung. Das klingt fast schon nach Mitleid. Aber wie einst der Autor Ernst Klee schrieb: „Im Mitleid steckt nicht nur Überheblichkeit, Mitleid ist ein Todesurteil.“