Es gebe keine Hinweise dafür, dass Familienministerin Corinne Cahen (DP) gegen den Deontologiekodex der Regierung verstoßen habe, so Premier Xavier Bettel auf parlamentarische Anfragen der Deputierten Fernand Kartheiser (ADR) und Diane Adehm (CSV). Ergo sei ein Rücktritt durch nichts zu rechtfertigen. Im April hatte sich Cahen in einer E-Mail über den ihrer Meinung nach mangelnden Einsatz des hauptstädtischen Geschäftsverbands UCVL beklagt, ihm (ungebeten) Vorschläge unterbreitet, wie von der Tram-Baustelle betroffene Geschäfte besser unterstützt werden könnten und zudem nebenbei Eigeninvestitionen in ihr eigenes Schuhgeschäft thematisiert. Den Appell hatte Cahen als Ministerin unterschrieben und von der offiziellen Regierungs-Mailadresse verschickt.
Dass Bettel Cahen vom Verdacht eines ethischen Fehltritts freispricht und sich dabei auf den Regierungskodex beruft, sagt aber weniger über die Qualität und Bewertung ihres Handelns aus, als über Bettels Lesart und die Lücken respektive Schwächen besagten Kodexes, ursprünglich erstellt, um Interessenkonflikte und Korruption zu verhindern. Laut dessen Präambel sind Regierungsmitglieder gehalten, keine Interessenkonflikte zwischen ihrem öffentlichen Amt, ihrem Privatleben und ihren politischen Aktivitäten entstehen zu lassen. Artikel vier präzisiert „kein Interessenkonflikt, der ihre Unabhängigkeit beeinträchtigen könnte [...] “.
Dass Cahen, die vor ihrer politischen Karriere ein Schuhgeschäft geleitet hatte und früher als Händlerin selbst UCVL-Vorsitzende war, sich berufen fühlt, sich zur Lage der Geschäftsinhaber im Bahnhofsviertel zu äußern, ist aus ihrer Sicht nachvollziehbar. Dass sie dies als Ministerin und via offiziellem Mail-Account tut, hat aber Gschmäckle. Artikel sechs des Kodexes legt fest, dass alle Mittel, die Regierungsmitglieder qua Amt zur Verfügung gestellt bekommen, für die Ausübung ihrer Missionen reserviert sind. Was hat das Mail an den UCVL mit Cahens Funktion als Ministerin für Familie, Integration, Senioren und Großregion zu tun?
So entsteht der Eindruck, Cahen könnte eigene Interessen im Auge gehabt haben. Dass es der DP-Politikerin zuweilen schwerfällt, zwischen privatem Business und öffentlichem Amt zu trennen, bewies sie, als sie die CSV-Kampagne Wou dréckt de Schong? mit einem Facebook-Post „Kaaft Är Schong bäi [...] dann drécken si net méi“ konterte. Insofern überrascht es, dass Bettel, von Haus aus Jurist, hier keinen Verstoß erkennen kann. Weil es laut Kodex der Premier ist, der den Ethikrat mit der Prüfung uneindeutiger Fälle beauftragt, hat Bettel das Recht, zu dieser Konklusion zu kommen. Nur: Ist sie richtig und politisch klug? Als Cahens Parteikollege hätte er besser getan, erst gar keinen Verdacht der Parteilichkeit aufkommen zu lassen, den Ethikrat einzuberufen und diesen urteilen zu lassen. So sendet der Minister zwei Signale: Dass es nicht weiter schlimm ist, sich als Ministerin fürs (Privat-)Geschäft einzusetzen und sich dabei Regierungskanälen zu bedienen. Und dass sogar die wenigen Passagen, in denen der Kodex präzise ist, keine Wirkkraft haben.
Bettel ist mit seiner großzügigen Lesart nicht allein: Nicht nur die Ministerkollegen Etienne Schneider (LSAP) und François Bausch (Grüne) sprangen Cahen bei. In sozialen Netzwerken ergreifen politische Freunde Partei für Cahen und wollen an der Interessenvermischung nichts Schlimmes finden. Dabei muss es nicht gleich eine Affäre vom Kaliber eines Gartenhauses sein, verbunden mit einem Rücktritt, um das Vorgehen zu verurteilen. Corinne Cahen selbst scheint zumindest teilweise einzusehen, dass sie zu weit gegangen ist. Auf Facebook räumte sie ein, dass es „sicher nicht richtig war“, die Nachricht von ihrem beruflichen Account verschickt zu haben, und „ich bedauere das“.