Mittwoch, 23. Januar 2019, neun Uhr morgens. Im knapp wohnzimmergroßen Saal 3.06 des Bezirksgerichts Luxemburg im dritten Stock im Dachstuhl des Gerichtsgebäudes sind fast alle Stühle besetzt, als die Richter anfangen, die für den Tag anberaumten Zivilsachen aufzurufen. Den Parteinamen nach zu urteilen, geht es um Familienangelegenheiten. Die Einregistrierungsbehörde und ein Privatunternehmen liegen wegen Mehrwertsteuerbeträgen im Klinsch, eine andere Firma streitet mit dem Firmenregister. Wenn die Richter eine neue Sache aufrufen, springen hier und da durch den Saal junge Anwälte von den Stühlen auf, die erfahrenere Kollegen vertreten. Es sind längst nicht alle Parteien anwesend, die aufgerufen werden. Seufzend ziehen die Richter dann unverrichteter Dinge die Gummibänder um die überquellenden Akten. Es ist ein ständiges Kommen und Gehen, nie ist die Tür länger als ein paar Minuten geschlossen. Wer keine Affäre mehr auf dem Programm hat, nimmt seine Sachen und geht, um prompt von neuen, in den Saal drängenden Anwälten ersetzt zu werden, die beginnen auf engstem Raum ihre Wintermäntel, Hüte, Mützen und Schals abzulegen, um ihre Roben überzustreifen.
Um 9.08 Uhr öffnet sich die Tür erneut und eine junge Anwältin führt drei Männer ohne Roben in den Saal, die dem Äußeren nach zu urteilen von weiter her kommen und die sich ein wenig verloren auf vereinzelten Stühlen setzen. Ihnen folgt ein prominenter Anwalt für Immobilienrecht, der allen noch verfügbaren Platz im Raum in Beschlag nimmt. Die Richter begrüßen ihn freudig, erlaubt ihnen sein Auftauchen doch noch Fortschritte in der Tagesordnung. Er entschuldigt sein Zuspätkommen weniger, als dass er kindisch nörgelt, es sei wirklich nicht seine Schuld, wenn die Leute autofahren würden wie „des cons“. Er braust kurz auf, verlässt dann wieder den Saal, an seiner Stelle nehmen zwei andere Anwälte Platz, die gerade hereingekommen sind, in Begleitung zweier Klienten, deren Frisuren und Kleidungsstil an die der Powerplayers in der US-Serie House of Cards erinnert.
Um 9.24 Uhr ruft der Vorsitzende Richter sie auf und beginnt eine Zusammenfassung der vorliegenden Rechtssache. Es geht um die Anerkennung, die Exequatur, mehrerer US-Gerichtsurteile, die den Klägern die Zahlung von Schadenersatz durch die Beklagten zusprechen. Letztere kennen die Rechtswirksamkeit der Urteile aber nicht an, da sie unter anderem der Meinung sind, besagte US-Gerichte seien nicht kompetent, sie zu fällen, die Rechte der Verteidigung seien nicht gewährleistetet gewesen und die Urteile würden daher gegen die „internationale luxemburgische öffentliche Ordnung“ verstoßen, fasst der Richter die Positionen zusammen. „Juristisch gesehen eine sehr interessante Sache.“ Ohne Mikrofon kann man ihn durch das ständige Öffnen und Schließen der Tür, das Geraschel durchblätterter Akten und gestapelter Winterkleidung kaum hören.
Der Anwalt der Klägerparteien steht auf. Mit fester Stimme erinnert er sich, wie am 11. September 2001 seine Sekretärin im Büro erzählte, gerade sei ein Flugzeug in einen der beiden Türme des World Trade Center in New York eingeschlagen. Einer dumpfen Ahnung folgend, sei er nach Hause gegangen, habe das Fernsehen eingeschaltet und gesehen, wie ein weiteres Flugzeug in den zweiten Turm eingeschlagen sei. Ganz abgesehen vom Leid der 3 000 Opfer dieser Anschläge – die Hinterbliebenen von rund 100 von ihnen vertritt er hier –, verlange man in einem viel engeren Rahmen die Anerkennung der Gerichtsprozeduren, die in den USA zehn Jahre gedauert hätten. Die Beklagten hätten darauf verzichtet, sich während dieser Prozeduren zu verteidigen, und es wären ausreichend Beweise vorgelegt worden, um ein Urteil zu fällen. Das Urteil sei rechtskräftig, das Luxemburger Gericht könne es anerkennen, so wie dies auch bei anderen Urteilen der Fall sei. Die Immunität der Beklagten könne nicht geltend gemacht werden, da Zivilpersonen zu Schaden gekommen seien und das nicht etwa im Rahmen eines internationalen bewaffneten Konflikts, sondern durch barbarischen Terror. Seine Klienten, die Angehörigen der Opfer vom 11. September 2001, sind am Mittwochmorgen nicht nur durch ihn vertreten. Auch ihr US-Anwalt ist im Saal, Lee Wolosky, der unter Präsident Barack Obama Sonderbotschafter für die Schließung des US-Gefangenenlagers in Guantánamo auf Kuba war und nun wieder als Anwalt praktiziert.
Die drei verloren wirkenden Männer, die das Geschehen auf Französisch aufmerksam aber verständnislos verfolgen, vertreten die Beklagte, die iranische Zentralbank. Deren Gelder, in Milliardenhöhe, haben die Kläger Anfang 2016 beim Clearing-Haus Clearstream beschlagnahmen lassen, in Erwartung, dass die US-Urteile, die ihrer Forderung auf Schadensersatz für ihre Verstorbenen stattgeben, in Luxemburg anerkannt werden. Im Durcheinander des kleinen Gerichtssaals sind die Iraner hinter den Anwalt der amerikanischen Terroropfer geraten, während die US-Anwälte im House-of-cards-Look hinter dem Verteidiger der Iranischen Zentralbank sitzen.
Um 9.51 Uhr erhält der Anwalt der Beklagten, darunter nicht nur die Iranische Zentralbank, sondern auch die Islamische Republik Iran selbst, sowie mehrere iranische Ministerien und Würdenträger das Wort. Zuallererst erinnert er daran, dass der Iran die Anschläge vom 11. September strengstens verurteilt habe, Anschläge, zu denen der Iran keine Verbindung habe. Die Urteile, um deren Anerkennung es hier gehe, beruhten darauf, dass der Iran auf der von der US-Regierung geführten Liste von Staaten stehe, die ihrer Meinung nach Terrorismus finanzieren. Deshalb hätten die US-Richter keinen Spielraum gehabt, anders zu entscheiden. Durch diese Besonderheit des US-Rechts und -Gesetzes sei die Immunität des Iran als souveräner Staat aufgehoben worden, während wirkliche Belege für eine Implikation des Irans in der Finanzierung der Anschläge nicht vorgelegt worden seien. Die internationale Rechtsprechung aber sage, dass ein souveräner Staat und seine Instanzen ihre Immunität nicht allein auf der Basis von Anschuldigungen einbüße, und er zieht zum Vergleich einen Prozess um deutsche Verbrechen in Griechenland während des Zweiten Weltkriegs heran. Ein souveräner Staat, argumentiert er, könne nicht ohne sein Einverständnis von einem anderen Staat gerichtet werden. Ein junger Anwalt, der bisher keinen Platz ergattert hat und nicht weiß, ob er samt Winterparka bleiben soll oder nicht, beginnt sich hinten im Saal bei einem Berufskollegen zu erkundigen, ob das hier wohl noch länger dauert. Der Vertreter der iranischen Zentralbank gibt zu bedenken, dass das amerikanische Gesetz zur Aufhebung der Immunität der ihnen terrorverdächtigen Staaten das Prinzip der Gewaltentrennung zwischen Exekutive und Justiz verletze, es handele sich dabei um eine Erweiterung der Außenpolitik und sie diene dazu, geopolitische Interessen durchzusetzen.
Während der Sauerstoff im Raum knapp wird, beginnt der Richter, Fragen zu stellen. Es entsteht eine Diskussion darum, ob eine Implikation des iranischen Staates in die Anschläge – für die Kläger ist sie belegt, für die Beklagten eine ungehörige Unterstellung – ein Akt, eine Ausübung der souveränen Staatsrechte oder ein Verwaltungsakt darstelle und in welchem Falle die Immunität eines Staates spielt, wenn Zivile zu Schaden kommen. Ein junger Anwalt der Kläger argumentiert sehr ernsthaft und viel Latein verwendend. Der bisher unschlüssig herumstehende junge Berufskollege entscheidet sich zu bleiben und schiebt sich mit seinem dicken Parka durch die Reihen auf einen freien Stuhl. Der Hauptanwalt der Kläger hebt noch einmal hervor, dass es sich bei den Zeugen, die in den USA ausgesagt haben, der Iran sei in die Finanzierung und Organisation der Anschläge involviert gewesen, um qualifizierte Leute handele. Offensichtlich gebe es keine offenen Quellen wie Zeitungsberichte, um die Verwicklung des Iran zu belegen. Man solle sowohl die Emotionen als auch die Politik aus der Sache heraushalten. Schon legt der Richter einen Termin für eine Urteilsverkündung fest.
Hinten in der letzten Stuhlreihe steht eine junge Frau auf. Die Vertreterin der Staatsanwaltschaft will auch noch etwas zur Sache sagen. Um sie herum starren Anwälte gelangweilt auf ihre Akten oder auf ihre Smartphones. Sie hat das Vertrauen der ausländischen Investoren auf dem Schirm. Es stehe viel auf dem Spiel, sagt sie, angesichts der großen Summen, die am Luxemburger Finanzplatz von ausländischen Kunden hinterlegt würden. Die internationale luxemburgische öffentliche Ordnung sei betroffen. Man kenne im Luxemburger Recht keine automatische Verantwortung wie in den USA. „Es ist tendenziös zu sagen, andere Staaten sind impliziert.“ Sie könne nicht prüfen, ob der Iran in die Anschläge involviert sei. Sie könne auch die Beweise nicht überprüfen, die dies belegen sollen. Die US-Urteile nicht anzuerkennen, laufe darauf hinaus zu sagen, es handele sich um Scheinbeweise. Das Gegenteil zu sagen, fährt sie fort, sei auch schwierig, wenn ein Staat Opfer eines Attentats geworden sei. Sie empfehle deshalb „prudence de justice“. Das sei zwar „eine feige Herangehensweise“, aber ohne Möglichkeit, die Fakten zu prüfen, habe sie keine andere Antwort. Der Richter bestätigt den 26. März als Termin, an dem er bekanntgeben wird, ob er die US-Terrorliste in Luxemburg durchsetzt oder die Milliardeninteressen der Anleger am Finanzplatz schützt. Es gibt ein kurzes Durcheinander, während die Amerikaner, die Iraner und ihre Anwälte den Saal verlassen. Dann wird die nächste Sache aufgerufen.