Die Tripartite ist am Ende, die Zukunft gehört der Bipartite

Pattsituation

d'Lëtzebuerger Land vom 16.12.2011

Während ihrer wöchentlichen Kabinettsitzung will die Regierung heute den Aufschub der für nächstes Frühjahr erwarteten Indextranche und sämtlicher bis zu den Wahlen fällig werdenden auf jeweils Oktober beschließen. Eine Tranche jährlich ist im Interesse der Unternehmerverbände, und die Gewerkschaften hatten schon in der Bipartite vor einem Jahr versprochen, dass sie darüber zumindest für 2012 mit sich reden lassen wollen. Am Dienstag gab OGBL-Präsident Jean-Claude Reding noch einmal gegenüber der Presse zu verstehen, dass sie damit einverstanden seien, wenn es Teil einer Reihe sozial- und wirtschaftspolitischer Maßnahmen sei.

Nur mit den Unternehmern wollten die Gewerkschaften nicht mehr reden. Sie nahmen einen Themenkatalog zum Anlass, den der Unter-nehmerdachverband UEL für zwei für Montag und Mittwoch dieser Woche einberufene Unterredungen an Arbeitsminister Nicolas Schmit geschickt hatte, um ein Ultimatum zu stellen: Falls die UEL ihren Katalog nicht bis gestern Donnerstag 14 Uhr zurückziehe, nähmen OGBL, LCGB und CGFP nicht an der für heute Freitag geplanten Tripartite teil. Die UEL lehnte erwartungsgemäß ab,  Premier Jean-Claude Juncker sagte am gestrigen Donnerstagnachmittag die von ihm für heute einberufene Tripartite-Sitzung wieder ab. Im Parlament hatte er am Mittwoch entschlussfreudig angekündigt: „Ob Tripartite oder nicht, die Entscheidungen fallen diese Woche.“

Die wichtigsten Vorschläge der Unternehmer drehten erwartungsgemäß um die Verbilligung der Arbeitskraft. Ganz oben in dem Themenkatalog stehen ein zweijähriger Indexstopp samt Lohmäßigung sowie eine Studie über die restlose Desindexierung der Wirtschaft und stattdessen ein neues Modell der Lohnfestsetzung. Von der für den 1. Januar 2013 vorgesehenen Anpassung des gesetzlichen Mindestlohns an die allgemeine Lohnentwicklung sollte abgesehen werden. Stattdessen sollte der Mindestlohn an die Nachfrage nach unqualifizierten Arbeitskräften angepasst werden. Für die Beschäftigung von Arbeitslosen sollte ein „Kombilohn“ nach deutschem Vorbild eingeführt, das heißt der gesetzliche Mindestlohn sollte zur Hälfte vom Staat bezuschusst werden. Daneben sollten die Referenzperioden zur Arbeitszeitberechnung auf vier Monate und 54 Stunden wöchentlich ausgeweitet werden, um so Überstundenentschädigungen zu sparen. Andere Vorschläge befassten sich mit einer Flexibilisierung der befristeten Arbeitsverträge und Maßnahmen zur Reduzierung der Krankmeldungen.

Die meisten Forderungen der UEL waren keineswegs neu. Die einen tauchten bereits in den 100 Maßnahmen zur Förderung der Wettbewerbsfähigkeit auf, welche die UEL vor den Kammerwahlen 2009 zusammengestellt hatte, andere in der im Juni 2010 veröffentlichten Broschüre Comment sortir ensemble de la crise, und die neusten wurden seit Herbstbeginn 2011 in Umlauf gebracht.

Was die Gewerkschaften an meisten an den Unternehmerforderungen störte, ist die Taktik: Sie seien „maximalistisch“. Die Tripartite-Runde habe im September begonnen und sollte nach Wunsch der Regierung nun zu Ende gehen. Deshalb sei jetzt die Zeit der Kompromisse am Verhandlungsende gewesen und nicht der maximalistischen Einstiegsforderungen eines Verhandlungsbeginns. „Wenn man so vorgeht, will man keine Einigung“, meinte Jean-Claude Reding.

CGFP-Generalsekretär Romain Wolff warf den Unternehmern vor, mit „exzessiven Maximalforderungen das Luxemburger Sozialmodell kaputt“ zu machen. „Wir legen Kompromisse vor und stoßen bei der Gegenseite auf Beton“, klagte LCGB-Präsident Patrick Dury. Jean-Claude Reding erinnerte daran, dass die Unternehmer seit einem Jahr den Wirtschafts- und Sozialrat am Funktionieren hinderten und nur in die Krankenkassengremien zurückgekehrt seien, weil sie befürchteten, dass ohne sie entschieden werde.

UEL-Direktor Pierre Bley betonte zuerst gegenüber der Presse, dass von einer Provokation keine Rede sein konnte. Der Dachverband habe lediglich Vorschläge gemacht, die der wirtschaftlich schwierigen Situation angemessen seien und einzig das Ziel verfolgen, die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft zu verbessern, die Lohnstückkosten zu bremsen und die Arbeitslosigkeit zu senken. Zwei Tage später gab Bley dann den Vorwurf zurück: Die Gewerkschaften hätten einen Vorwand gesucht, um nicht ein Triparite-Abkommen unterzeichnen zu müssen, das ihren Mitgliedern schwierig zu vermitteln gewesen wäre.

So sind Regierung und Sozialpartner in den vergangenen Tagen wieder zum Prinzip der Bipartite zurückgekehrt, bloß dass sie die bilateralen Gespräche, anders als vor einem Jahr, nicht so nennen. Nachdem die Regierung bei den Sozialpartnern sondiert hatte, wie weit sie gehen konnte, übernahm sie am Ende ihre politische Verantwortung. Die geplante Tripartite zur feierlichen Ratifizierung der Regierungsdialoge mit den Sozialpartnern musste dann mangels Teilnehmern entfallen. Schließlich lehrt die Geschichte, dass die Tripartite nur Sinn macht, wenn alle Beteiligten den Endruck haben, dass sie auch etwas herausschlagen konnten: sozialer Friede und Zuschüsse gegen Beschäftigungs- und Standortgarantie oder Indexmanipulation gegen  Einheitsstatut.

Dass die Tripartite vergangenes Jahr und dieses Jahr erneut scheiterte, ist wohl auf die politische Pattsituation im Land zurückzuführen. Vergangene Woche veröffentlichte das Tageblatt die Ergebnisse seiner jüngsten Wählerumfrage: Seit den Kammerwahlen von 2009 prophezeien die halbjährlichen Umfragen eine kontinuierliche Erosion der CSV-Macht, zuerst seit dem zweiten Halbjahr 2010 den regelmäßigen Verlust eines Sitzes im Zentrumsbezirk, dann seit dem ersten Halbjahr 2011 auch eines Sitzes im Osten. Nun würden die Konservativen erstmals auch einen Sitz im Südbezirk und damit insgesamt drei Parlamentssitze verlieren. Das wäre die härteste Wahlniederlage seit 1989 – als die Gesamtzahl der Parlamentsmandate gesenkt worden war.

Auch der Koalitionspartner LSAP muss seit dem zweiten Halbjahr 2010 kontinuierlich mit einem Sitz weniger im Süden rechnen, nur dass der Verlust derzeit durch den Gewinn eines Sitzes im Norden kompensiert würde. Dadurch bliebe den Sozialisten zwar die Schmach der CSV erspart, aber sie verbuchten schon 2009 ihr schlechtestes Ergebnis seit 1945.

Da die Arbeiterbevölkerung im Südbezirk erfahrungsgemäß am empfindlichsten auf sozialpolitische Veränderungen reagiert, darf man die Sympathieverluste der beiden Regierungsparteien wohl zu einem gro-ßen Teil auf die Krisenpolitik und die dieses Jahr durchgeführten Steuererhöhungen zurückführen. Das macht die Regierung sicher nicht entschlussfreudiger, wenn es heißt, den Forderungen der Unternehmerverbände nachzukommen, um so mehr als auch innerhalb der Parteien Meinungsverschiedenheiten bestehen.

Das wissen die Gewerkschaften, denen es zudem gelungen ist, mit einer gemeinsamen Front von OGBL, LCGB und CGFP bis weit ins bürgerliche Wählerlager vorzudringen, um im Direktgespräch mit der Regierung eine kleine Entschädigung für die Verschiebung der Indextranchen auszuhandeln. Premier Jean-Claude Juncker hatte deshalb bereits mehrfach staatliche Kompensationen als „selektive Familienpolitik“ für Niedrigverdiener in Aussicht gestellt. 

Seit der Regierungskrise vor einem Jahr wissen die Unternehmer ihrerseits, dass sie mit einem Premier Jean-Claude Juncker und einer LSAP von dieser Koalition nicht viel mehr als eine Aufschiebung der Indextranchen zu erwarten haben. Anders als die Gewerkschaften behaupten, wollten auch die Unternehmer eine Einigung in der Tripartite – aber sie glaubten nicht, dass sie eine bekämen. Deshalb sollten Maximalforderungen diese Pattsituation nach außen verdeutlichen und einen Trostpreis herausschlagen – das soll jetzt eine Ausweitung der zeitlich befristeten Arbeitsverträge sein.

Damit aus den Maximalforderungen ein realistisches Programm, ähnlich wie in manchen anderen europäischen Ländern, wird, ist aber nicht nur der Druck der weit liberaleren Wirtschafsregierung im Euro-Raum nötig, sondern wohl auch eine neue Koalition hierzulande. Das heißt einer Regierungsbeteiligung der seit ihrer Erneuerung wieder wirtschaftsliberaleren DP oder der Grünen, die sich in Deutschland als Wegbereiter liberaler Reformen des Arbeits- und Steuerrechts bewährten.

Romain Hilgert
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