Als zwischen dem 1. und dem 10. Dezember 1997 in Kioto jener Klimaschutzgipfel zusammentreten sollte, auf dem schließlich das Kioto-Protokoll verabschiedet wurde, debattierte man hierzulande schon Monate vorher den CO2-Einsparbeitrag Luxemburgs.Wenn am kommenden Montag in Bali jener Gipfel beginnt, derdie Weichen stellen soll für ein Kioto-Nachfolgeabkommen, wird über den Luxemburger Beitrag dazu zumindest öffentlich noch nicht diskutiert worden sein. Am 22. Oktober 1997 fand es der seinerzeitige Umweltminister Johny Lahure vor der Abgeordnetenkammer „normal“, dass die damaligeCSV-LSAP-Regierung sich ein Einsparziel von – zunächst – minus 30 Prozent gegeben hatte: „Wann een déi héchsten Emissioune pro Kapp huet, da muss een och deen héchsteBäitrag leeschten“. Als am Dienstag vergangener Woche im Parlament eine Aktuelle Stunde zu „Bali“ stattfand, wich Umweltminister Lucien Lux der Frage nach den konkretenpolitischen Optionen Luxemburgs aus. Dabei hatte Lux einen Tag vorher dem Tageblatt erzählt, das Großherzogtum stoße pro Kopf 20 Prozent mehr Treibhausgase aus als die USA.
Ein Post-Kioto-Abkommen aber wird inBali auch noch nicht verhandelt, und Staaten wie die USA, Australien oder China werden sich kaum schon bis Mitte Dezember verbindlich zu Emissionssenkungen bereit erklären, die so weit gehen wie die EU vorschlägt: minus 30 Prozent gegenüber 1990, bis zum Jahr 2020. So lange das nicht der Fall ist, gilt die einseitige Verpflichtung derEU auf minus 20 Prozent, die der Ratsgipfel Anfang März einging. So lange aber wird nicht klar sein, welchen Anteil jeder Mitgliedstaat am Ende leisten wird. Vor allem diejenigen, die Mühe haben, ihre Kioto Ziele zu erfüllen, wie etwa Luxemburg. Weshalb das Thema dann doch anhaltend aktuell ist.
Kurz nach dem EU-Ratsgipfel vom März hatte es geheißen, die Mitgliedstaaten würden bis zum Herbst mit der EU-Kommission ihre jeweiligen Anteile am neuen burden sharing aushandeln. Diese Verhandlungen mit der Kommission hat es so noch nicht gegeben. Stattdessen will sie ein Paquet énergie et climat vorlegen, das mehrere Direktivenvorschläge enthält, und verhandelt werden soll anschließend. Herauskommen sollte das Paquet ursprünglich am kommenden Mittwoch, aber vor kurzem vertagte die Kommission sich auf den 23. Januar 2008. „Sie fürchtete, dass mitten im Bali-Gipfel die Einigkeit zerbrechen könnte“, weiß der grüneEuropaabgeordnete Claude Turmes. Wie Anfang des Jahres schon, als die EU-25 über Prozentwerte für CO2-Absenkung und die Förderung erneuerbarer Energien stritten, sich nicht auf Ziele einigen konnten, die für alle gleichermaßen verbindlich gewesen wären, und das Reduktionsziel der Kommission von minus 30 Prozent abhängig gemacht wurde von der Kooperation anderer entwickelter Staaten. Für Luxemburg stritten Energieminister Jeannot Krecké und Umweltminister Lux mit und wiesen auf die „Besonderheiten“des Landes hin.
Das dürfte sich im Januar wiederholen. Bereits vergangene Wocheschickte Lucien Lux einen langen Brief an Kommissionspräsident Barroso und erklärte „unsere Situation“. Tenor: Man tue, was man könne. „Den CO2-Zuteilungsplan an energieintensive Betriebe, der von der Kommission gekürzt worden war, wurde von der Fedil akzeptiert. Die Erhöhungen der Treibstoffakzisen haben dazu geführt, dass wir beim Tanktourismus einen Stopp beobachten. Wirhaben eine CO2-abhängige KFZ-Steuer eingeführt, wir unterstützen voluntaristisch den Kauf emissionsarmer Autos ab Anfang 2008 mit 750 Euro.“ Nicht zu vergessen die neue Wärmeschutzverordnungfür Gebäude und die geplante großzügige Förderung der Altbausanierung. „Es war diese Regierung, die sich einen konkretenAktionsplan zum Klimaschutz gegeben hat“, sagt der Umweltminister. „Eigentlich hätte das schon 1997 passieren müssen.“
Wie auch immer: Der Ende Oktober veröffentlichten alljährlichenStatstik des Uno-Klimasekretariats zufolge lag im Jahr 2005der Treibhausgasausstoß im Großherzogtum um 0,4 Prozent über dem des Jahres 1990. Im Vergleich der Mitgliedstaaten von Old Europe ist das der nach Spanien und Österreich drittschlechtesteZwischenstand auf dem Weg zum Kioto-Ziel. ImJahr 2010, soschätzen von der EU-Kommission Anfang dieser Woche veröffentlichte Projektionen, werde Luxemburg nicht 28 Prozent weniger emittieren als 1990, sondern zwölf Prozent mehr. Einsparmaßnahmen werden das Ergebnis dann voraussichtlich nur um 2,7 Prozentpunkte verbessern, die verbleibenden 37,3 Prozentpunkte werden durch Beteiligung an auswärtigenProjekten „erkauft“ werden müssen, hat die Regierung nach Brüssel gemeldet. Kein Mitgliedstaat plant, relativ zu seinem Kioto-Ziel derart starken Gebrauch von den so genannten flexiblen Mechanismen zu machen. Und dieser Sachstand ist für Luxemburg im Hinblick auf eine neue EUKlimaschutzstrategie nicht der günstigste.
Wenn es auch noch keine Verhandlungen mit der Kommission umdie Post-Kioto-Szenarien gegeben hat, wurden jedoch Gespräche geführt. Dem Vernehmen nach will die Kommission nach 2012 die Nutzung der flexiblen Mechanismen limitieren lassen, vor allem die der Clean Development Mechanisms zur Beteiligung an Klimaschutzprojekten in Entwicklungsländern. Noch deutlicherabsehbar ist, dass sie zur Berechnung der nationalen Beiträge zumburden sharing ab 2012 das Pro-Kopf-BIP als Wichtungsfaktor nutzen will. Nicht, um Luxemburg bestrafen zu können, das das weltweit höchste Pro-Kopf-BIP und die weltweit höchstenPro-Kopf-Emissionen hat, sondern um einen Interessenausgleich zwischen alten und neuen Mitgliedstaaten herbeizuführen. Als Anfang des Jahres um Emissionslimits ab 2012 verhandelt wurde, machten die neuen Mitgliedsländer lautstark Wirtschaftswachstumswünsche geltend, die nicht zu stark enttäuscht werden dürften. Und immerhin ist die unilaterale 20-Prozent-Selbstverpflichtung der EU nicht denkbar ohne dieneuen Staaten:Wegen des wirtschaftlichen Strukturwandels bringen sie jede Menge „heiße Luft“ in die Union: Spielraum für mehr Emissionen. Bulgarien etwa hat sich minus acht Prozent zum Kioto-Ziel gesetzt, wird 2010 aber wahrscheinlich auf minus 37 Prozent kommen, Estland anstelle minus acht auf minus 57 Prozent,ein großes Land wie Polen anstelle minus sechs auf minus 28 Prozent. Wobei Polen 1990 mehr CO2 emittierte als Frankreich. In diesem Zusammenhang Sonderwünsche aus dem wirtschaftlich ohnehin prosperierenden Luxemburg durchzusetzen, wird nicht leicht sein. Auf dem Tisch der Kommission liegt beispielsweisedie Anregung, für den internationalen Straßengüterverkehr verkauftes Diesel nicht mehr in nationale Emissionsbilanzen einzurechnen, sondern in eine „europäische“.
„Mauscheleien mit der EU-Kommission aber müssen aufhören“, sagtBlanche Weber, die Präsidentin des Mouvement écologique. „Wir brauchen endlich eine Trendwende. Aber davon ist überhaupt nichts zu sehen.“ Das Problem sei nicht nur, dass die Regierung neue Straßenbauprojekte plane und „jeder Südgemeinde eine Umgehungsstraße bauen will“, sondern dass das Klimaproblem als Ganzes noch immer nicht genügend in der Politik berücksichtigt werde. „Wir sind es mittlerweile leid, über EU-Szenariennachzudenken. Grundlegend ändern muss sich in Luxemburg sooder so etwas.“ Roger Spautz von Greenpeace Luxemburg argumentiert ähnlich: „Die NGOs wurden regelmäßigzur Teilnahme an Klimaschutz-Workshops eingeladen, aberdie Vorschläge, die sie dort machten, wurden nie zurückbehalten.“ Greenpeace hatte 2003 mit einem Schweizer Consultant eine Energiestrategie vorgelegt, die Luxemburg nicht nur „auf den Kioto-Zielpfad“ bringen, sondern das Land zum „Vorbild“ machensollte. An vorderster Stelle des Zehn-Punkte-Maßnahmenkatalogs fanden sich freilich die Einführung einer Energiebesteuerung sowie die Abschaffung des „Tanktourismus“ durch Angleichung der Spritakzisen an die der Nachbarländer.
Unrealistische grüne Ideen? – Die Lage ist komplex. Dass „eigentlich nur im Verkehr und beim Treibstoffexport viel Spielraum zur CO2-Einsparung besteht“, meint der Energieexperte und Fedil-Generalsekretär René Winkin. Das sei vor allem ein Problem der Staatsfinanzen. „Da muss man wissen, was man will. Mit Blick auf die Zeit nach 2012 bin ich mir nicht sicher, dass man einfach wird sagen können, das Treibstoffgeschäft sei Teil der Luxemburger Wirtschaft.“ Das heißt: Bliebe es bei den starken Emissionen aus dem Tanktourismus, müssten sie wohl kompensiert werden. Seinen viele Millionen schweren Kioto-Fonds zur Investition in auswärtige Projekte würde der Staat damit so schnell nicht los. Umwelt- und Transportminister Lux räumt ein, dass „wir erst jetzt das IVL mit dem Klimaschutz zusammen zu denken beginnen.“ Die landesplanerischen Sektorpläne für schützenswerte Landschaften und für den Transport sollten die Basis sein, auf denen anschließend die Besiedelung mit Wohnungen und Aktivitätszonen geplant wird. „Da hin zu kommen, war alles andere als selbstverständlich.“ Insgesamt stellt Lux fest: „Wir ergreifen viele Einzelmaßnahmen, wir greifen nach jedem Strohhalm.“ Und wahrscheinlich werde man erst ab 2012 so weit sein, dass CO2-Senkungsmaßnahmen an einen Zeithorizont geknüpft und überprüfbar gemacht würden.
Was eine nicht geringe Kritik an den Amtsvorgängern auch aus der eigenen Partei ist. Aber es fragt sich, wie ausgeprägt in der gesamten politischen Klasse die Bereitschaft ist, sich ernsthaft der EU-weit „ungünstigstenEnergiebilanz“, so Wirtschaftsminister Jeannot Krecké im Land-Gespräch am 2. März 2007, anzunehmen,die angesichts weiter steigender Preise für Energieprodukte droht,teuer zu stehen zu kommen. Anleitung könnte der Energieeffizienz-Aktionsplan liefern, der demnächst vorgestelltwerden soll. Eine EU-Direktive schreibt vor, bis 2016 die Energieeffizienz in allen Bereichen, die nicht dem Emissionshandel unterliegen, pro Jahr um einen Prozentpunkt zu verbessern. Aber wenn das Treibstoffgeschäft als Finanzquelle schwächer sprudeln wird, stellen sich noch viel weiter reichende Probleme, derenLösung womöglich eine umfassende Reform der Staatsfinanzen erfordert.
Doch weder der verdeckt geführte Vorstoß der Regierung zurErhöhung der Besteuerung privat genutzter Firmenwagen, noch die Reaktion der größten Oppositionspartei, deren Präsident Claude Meisch noch am Mittwoch dieser Woche im Interview mit der Parteizeitung Journal so weit ging zu sagen: „Die Regierungführt ihren Feldzug gegen die Mittelschicht weiter“, sind Anzeichenfür einen souveränen Ansatz, auch mit Fiskalhilfe aus dem falschen Energie-Schlaraffenland herauszuführen. Dass Fraktionssprecher und Ex-Umweltminister Charles Goerens findet, ein „durchdachtes, transparentes und aufkommensneutrales Ökosteuerkonzept“ sei auch im Sinne der DP, deutet an, dass die Parteispitze sich diesbezüglich zumindest in der Taktik noch nicht einig ist.
Dass es beide Mehrheitsparteien waren, die in der parlamentarischenFinanzkommission über einen „ökofiskalen Anstrich“ des Steuersystems lieber doch nicht jene Diskussion wollten, die Premier und Finanzminister Jean-Claude Juncker bei den Debatten zum Staatshaushalt 2007 vor einem Jahr in die Kommission hatte verweisen lassen, zeigt, dass es der LSAP nicht viel anders geht alsder Koalitionspartnerin – beide müssten den ihnen nahe stehendenGewerkschaften erklären, wie Energiesteuern sozial gerecht seinkönnten. Lediglich déi Gréng wollen vorpreschen und Post-Kioto „auf jeden Fall zum Wahlkampfthema“ machen, kündigt Fraktionssprecher François Bausch an. „Alle Parteien müssen den Leuten sagen, was ab 2012 auf sie zukommen wird.“ Dass die Grünen sich damit unbeliebt machen könnten, fürchtet Bauschnicht, „sonst könnten wir uns gleich auflösen, und wie die Dinge liegen, werden wir längerfristig Recht behalten“. Bleibt abzuwarten, ob die Öko-Partei, die am kommenden Montag dem Gipfeltreffen von Bali und dem Klimaschutz eine Pressekonferenz widmen will, dort dasWort „Energiesteuer“ in den Mund nehmen wird, denn es ist nicht ausgeschlossen, dass die DP darauf nur wartet.