Das Kind in der Schule

Zweischneidig

d'Lëtzebuerger Land vom 17.12.2009

Durch frühes Fördern Kindern aus sozial benachteiligten Familien Chancen auf eine bessere Ausbildung zu ermöglichen, hofft Unterrichtsministerin Mady Delvaux-Stehres. Am Mittwoch stellte sie die Ergebnisse der Pirls-Zusatzstudie Leselux 2008 über die Lesegewohnheiten von Luxemburger Sechstklässlern vor, die insgesamt die Erkenntnisse der Grundschulstudie Pirls 2006 bestätigen: Luxemburgs Grundschüler können gut lesen, allerdings hängt die Lesekompetenz sehr von Herkunft und Elternhaus ab .

Verstärkt auf die Frühförderung setzen, will nicht nur das sozialistisch geführte Unterrichtsministerium. Die christlich-soziale Familienministerin begründet den von ihr via Chèques service gepushten Ausbau von Kinderbetreuungsstrukturen ebenfalls damit, das soziale Gefälle zwischen sozial besser und schlechter gestellten Familien verringern zu wollen.

Politisch paradox mutet dabei an, dass ausgerechnet eine konservativ-wirtschaftsliberale Partei wie die CSV, die sonst stets die traditionelle Familie als Keimzelle der Gesellschaft hochhielt, nun die Speerspitze eines neuen Trends bildet: die staatliche Kinderbetreuung massiv auszubauen (aber ohne klare Qualitätsvorgaben) und die Bildungselemente in der Früherziehung zu verstärken. Als Argumente dienen die bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie, mehr Frauenerwerbstätigkeit, und eben die gerechtere Förderung des kindlichen Potenzials.

Die Entdeckung des kompetenten Kindes, wie es der dänische Bildungsforscher Jan Kampmann bei einem Vortrag an der Uni Luxemburg formulierte, ist kein Luxemburger Phänomen. Sie geschieht nicht zufällig in einer Zeit, in denen Staaten europaweit ihre Sozialpolitiken umbauen. Statt passiv Hilfe zu empfangen, heißt es heute Fördern und Fordern, lebenslanges Lernen für die Wissengsellschaft ist angesagt, der Staat flankiert, interveniert und aktiviert. Der Einzelne als seines Glückes Schmied. Von Kindesbeinen an?

Das Bild ist nicht schwarz-weiß. Es ist das unbestreitbare Verdienst von Bildungsstudien wie Pirls und Pisa, die Selektivität des Schulsystems schonungslos benannt zu haben. Der neue Fokus, Kinder individueller zu fördern, ist aus Gerechtigkeitsgründen begrüßenswert. Das Kind als Individuum wahrzunehmen, es in seiner Handlungsfähigkeit zu stärken – auch im Lernen – sind berechtigte Anliegen, die in der UN-Kinderrechtskonvention von 1989 ihre Entsprechung finden. Sie ist zweifellos eine Errungenschaft: weil sie unveräußerliche Rechte festhält, elementare Schutzbedürfnisse definiert und durch ihren Akzent auf das Kind als Subjekt zugleich paternalistischen Vereinnahmungen eine Absage erteilt.

Aber erstens ist nicht überall, wo Partizipation drauf steht, auch Partizipation drin. Die Beteiligung von Kindern an sie betreffenden Entscheidungsprozessen hat in Luxemburg Seltenheitswert und reduziert sich meist auf Alibiaktionen und Eintagsevents. Zweitens setzt Partizipation ein gewisses Maß an Autonomie voraus, und um das zu lernen, sind die Bedingungen sehr unterschiedlich. Gerade Kinder aus sozial benachteiligten Familien tun sich häufig schwerer mit offenen Unterrichtskonzepten und partizipativen Ansätzen. So dass Vorsicht geraten ist, um hier nicht in die Falle zu tappen und alte Ausschlüsse auf anderem Weg zu reproduzieren. Drittens stellt sich die Frage, wie weit der Anspruch auf kindliche Eigenverantwortung reichen darf, und wem er eigentlich dient. Wenn mit Hilfe des Staates die Kleinen immer früher auf Autonomie und Handlungsfähigkeit getrimmt werden, wo bleibt am Ende dann das Kind?

Ines Kurschat
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