Nora Wageners Sprache ist dicht, reich an außergewöhnlichen Metaphern, düster und bisweilen zornig. Ihre Figuren sind Außenseiter, die scheinbar unbeteiligt und dennoch von Zwängen bestimmt durch die Welt streunen. Mit ihrem vor nur wenigen Wochen mit dem Servais-Preis 2017 ausgezeichneten Erzählband Larven (Hydre Éditions), 16 Kurzgeschichten über fragile Figuren, die in einer kaputten Welt nach Halt suchen, legt die 1989 in Luxemburg geborene Autorin, die Kreatives Schreiben in Hildesheim studiert hat, abermals ein Werk vor, das ihr Talent zeigt, Situationen minutiös einzufangen und Außenseiter markant zu beschreiben. Bereits 2014 hatte sie den Prix Arts et Lettres für Menschenliebe und Vogel, schrei (Op der Lay, 2011) gewonnen.
In dem Kurzgeschichtenband Larven greift sie ähnlich schräge Typen auf wie in ihrem Band E. Galaxien (Conte Verlag, 2015). So gleicht der Protagonist in „Goldfischbrei“, dessen Verhalten hart am Rande eines Psychopathen angesiedelt ist, einer trostlos umherirrenden Gestalt aus E. Galaxien. Aus enttäuschter Liebe wird er einen Goldfisch zermalmen und ihn per Post an seine finnische Verflossene, eine Tierschützerin, schicken. Wageners Figuren gehen scheinbar unbeteiligt und doch ruhelos durch die Welt und lassen sich aus Abscheu in die Isolation treiben. Wie Fabian in „Goldfischbrei“, der sein ausgerissenes Herz betrachtet: „Es liegt auf der Küchenablage, pumpt müde vor sich hin. Bei jedem Ausatmen röchelt und raschelt es: schick ihr Wild! Totgefahrenes Wild!“
Die Metaphorik von Insekten und geschlüpften Tieren oder der Zwang, jene Kriechtierchen zu bekämpfen, zieht sich denn auch wie ein roter Faden durch Nora Wageners Geschichten. In „Dann hättest Du auch Larven“, dem Herzstück ihres prämierten Kurzgeschichtenbandes, sieht die Protagonistin ihrem krebskranken Vater beim Sterben zu – voller Verachtung gegenüber einem einst tyrannischen Mann, der nun am Krebs dahinsiecht: pietätlose, tagebuchähnliche Einträge, die unter die Haut gehen. Die Geschichte ist der Auftakt einer Serie pathologischer Miniaturen. In „Dies ganze Putzen“ schildert die Protagonistin akribisch ihren Putzzwang als Resultat einer gestörten Kindheit. An anderer Stelle nennt sie es „Dreckhasserei“. Putzen erscheint als Ersatzhandlung, um dem Leben eine äußere Ordnung und einen Sinn zu geben. Bisweilen treibt sie diesen Zwang derart auf die Spitze, dass man das Gefühl bekommt, ihre Figuren könnten sich aus der Welt putzen und ihre Existenz geradezu auswischen. In „Schwestertier“ wird ein ambivalentes Verhältnis zu einer Schwester, zwischen Anziehung und Hass, inszeniert – „ein Seelenkrampf“! Der Putzzwang hält auch hier die Protagonistin gefangen. „Der eigene Seelensoldat hat nie gegen den Staub gewonnen“, heißt es da etwa.
Die Kurzgeschichten in Larven, von denen einige bereits in renommierten Literaturzeitschriften erschienen sind, zeugen aber auch von der Vielseitigkeit von Wageners Prosa. So ist „Im Herbst eine Liebe“ ein sechsseitiger Monolog (ein einziger Satz!), dessen Protagonistin ungewiss dem Leben und der Liebe entgegentaumelt. In „Schassdomm“ (unter anderem bereits in Forum erschienen) verleiht sie ihrem Ekel über die Luxemburger Konsumgesellschaft Ausdruck. Ein verliebtes Paar wandert an einem Samstagnachmittag durch die überfüllte Großgasse und sucht schließlich Zuflucht im Renert. In „Mit Gott und einer Fichte reden“ wehrt sich ein Tannenbaum entschieden dagegen, geschmückt zu werden. Die sprechende Fichte erweist sich als selbstbestimmter Baum, der dafür sorgen wird, dass ein geknechteter Junge aus der Tyrannei seines Vormunds befreit wird.
Wagener Mangel an Fantasie und surrealer Situationskomik vorzuwerfen, wäre wahrlich weit gefehlt. Ebenso wie der Vergleich ihres Stils mit dem bedeutungsschwangeren Geschwafel eines Wilhelm Genazino. Dafür ist sie einfach zu zornig auf die Welt und gleichermaßen nüchtern selbstreflektiert. „Da will man fluchen und ein angetrunkener, bärtiger Autor sein, und bleibt dennoch eine Frau mit einer viel zu kleinen Faust im Mund“, lautet ihre Reminiszenz an Bukowski. Ihre Wut auf die Welt kanalisiert sie ausdrucksstark in Worte und kleidet sie in fantasievolle, bisweilen sehr dichte Metaphern. Ihre Wortkreationen rütteln auf. Ihr Stil ist einzigartig und unprätentiös. Die seltsamen Figuren ihrer Geschichten sind kaum zu greifen. Sie ziehen sich zurück in ihren Kokon oder lassen sich schutzlos gegenüber der Grausamkeit der Welt treiben, eben wie Larven, die, soeben entschlüpft, in ihrem Stadium verharren und befremdet in die verkommene Welt blicken.